Wie Prävention und Innovation einen schwäbischen Global-Player durch die Krise führen
Das Unternehmen Pilz ist ein auf sämtlichen Kontinenten tätiges, technologisch führendes Unternehmen der sicheren Automatisierungstechnik. Weltweit arbeiten 1.370 Mitarbeiter für d...
Das Unternehmen Pilz ist ein auf sämtlichen Kontinenten tätiges, technologisch führendes Unternehmen der sicheren Automatisierungstechnik. Weltweit arbeiten 1.370 Mitarbeiter für das Unternehmen im schwäbischen Ostfildern und in 24 internationalen Tochtergesellschaften und Außenstellen. Regina Berg-Jauernig und Matthias Erler von GIT SICHERHEIT sprachen mit Renate Pilz, Susanne Kunschert und Thomas Pilz unter anderem über die strategischen Antworten des Unternehmens auf die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise sowie über die jüngsten Innovationen des Hauses.
Frau Pilz, Frau Kunschert, Herr Pilz, Ihr Unternehmen hat seit seiner Gründung wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen großartigen Aufschwung erlebt - aber auch einige Krisenzeiten überstanden. Trifft Sie die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise?
R. Pilz: Wir sind von dieser Krise keineswegs unberührt. Für die deutschen Maschinenbauunternehmen spricht man ja sogar von Auftragsrückgängen zwischen 40 und 70 %. Wir mussten in unserem eigenen Unternehmen einen Rückgang des Auftragseingangs in Höhe von 32 % hinnehmen. Das ist gewaltig. Vom Wiederanlaufen der Wirtschaft ist derzeit nichts zu spüren. Auch nach unserem Eindruck ist in Deutschland derzeit noch kein Silberstreif zu erkennen.
Stellen Sie Unterschiede bei Ihren Niederlassungen in den anderen europäischen Ländern fest?
R. Pilz: Durchaus. In Frankreich, Italien und in den nördlichen europäischen Ländern ist die Auftragslage noch recht ordentlich. Auch in Asien ist die Lage aus unserer Sicht nicht ganz so schlimm. In Europa stehen vor allem Spanien und Portugal besonders schlecht da. In Deutschland ist die Lage vor allem wegen der Exportabhängigkeit und wegen der Bedeutung der Automobilindustrie ungünstig.
T. Pilz: In Deutschland ist es deshalb für mich sehr gut nachvollziehbar, dass die Bundesregierung bei Opel geholfen hat und bei Arcandor nicht. Denn vom Automobilbau hängen die in Deutschland produzierenden Maschinen- und Anlagenbauer sowie deren Zulieferer ab. Es geht hier tatsächlich um die Stärkung des Produktionsstandortes Deutschland.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein - und inwieweit sehen Sie sich in der Lage, als Unternehmen strategisch gegenzusteuern?
S. Kunschert: Wir stellen uns der Entwicklung vor allem durch ständiges Beobachten und durch ein sehr zeitnahes Controlling, wie auch bis lang. Wir haben Notfallpläne entwickelt und passen diese immer wieder an, so dass wir sozusagen ganz natürlich und schrittweise mit der Entwicklung mitgehen. Dabei werden unsere Mitarbeiter ständig über den Stand der Dinge informiert, so dass sie jederzeit wissen, wo wir stehen. So gehen wir, wie ich meine, sehr ruhig und gut mit der Krise um. Allerdings haben wir auch schon immer sehr krisenbewusst gelebt. Biblisch gesprochen haben wir in den „sieben fetten Jahren" schon für die „sieben mageren Jahre" vorgesorgt. Auch im Umgang mit dem Betriebsrat haben wir uns mit Zurückhaltung und einer konservativen Haltung durchsetzen können. Dank unseres zeitnahen Controllings und guten Wirtschaftens können wir als gesundes Unternehmen mit der Krise umgehen. Absehen, wann die Lage sich verbessert, können wir aber alle nicht.
R. Pilz: Diese Politik der Transparenz, von der meine Tochter gerade sprach, ist sehr wichtig. Es ist für die Mitarbeiter sehr wichtig, dass sie nicht von den Ereignissen überrollt werden oder erst in der Zeitung von ihnen lesen müssen. Das schürt nur Ängste.
S. Kunschert: Für uns galt immer: Man kann nur sparen, wenn's einem gut geht. Man muss dann, wie es schon in den Kinderbüchern von Janosch heißt, rechtzeitig „Speck ins Kischtle" stecken, um auch für schlechte Zeiten gerüstet zu sein.
T. Pilz: Wir waren ja während der Boomzeiten in der Situation, dass es etwa seitens der Gewerkschaften teilweise exorbitante Forderungen gab, gegen die wir auch innerhalb unseres Unternehmens und insbesondere gegenüber unserem Betriebsrat stark mit dem Gedanken der Prävention argumentiert haben. Wir fühlten uns auch durch den Arbeitgeberverband damals nicht mehr gut vertreten, so dass wir ausgetreten sind. Wir haben daher heute einen gut gefüllten „Vorratsspeicher", so dass wir hoffen, die Krise ohne Entlassungen durchstehen zu können. Außerdem profitieren wir heute von der bei uns bereits vor einiger Zeit eingeführten Lean-Production-Strategie. So sind wir trotz der unvermeidbaren Kurzarbeit in der Lage, unsere Lieferfähigkeit aufrechtzuerhalten.
Forschung und Entwicklung in der Automatisierungstechnik sowie viele innovative Produkte haben Sie zum Marktführer in diesem Bereich gemacht. Welche Techniken bewegen diesen Markt und Ihr Unternehmen derzeit
vor allem?
T. Pilz: Wir haben das Glück, dass wir zur rechten Zeit mit der nächsten Generation an Steuerungen auf den Markt gekommen sind. Jetzt, in der wirtschaftlich schwierigen Zeit, eröffnet uns dies ungeahnte Möglichkeiten. Denn die Maschinenbauer sind jetzt nicht damit beschäftigt, ihre Maschinen vom Hof zu bekommen, sondern mit der Frage, wie man der Maschine einen Mehrwert geben kann. Hier ist die Steuerungstechnik ein elementarer Bestandteil. So ist auch die Entwicklung neuer Produkte ein Beitrag zur Krisenbewältigung und wir können dadurch heute technisch bessere Produkte anbieten als unsere Wettbewerber.
R. Pilz: Jetzt macht sich bezahlt, dass wir viele Restrukturierungsmaßnahmen in den guten Zeiten getroffen haben. Die verbesserte Effizienz unserer Organisation und Prozesse helfen uns jetzt sehr.
Sind Sie sich bei solchen strategischen Entscheidungen eigentlich immer einig gewesen?
S. Kunschert: Ja, absolut. Auch deshalb, weil wir alle drei mit unserem auf dem christlichen Glauben stehenden Fundament eine gemeinsame Basis haben. Wir haben außerdem festgestellt, dass die Arbeit an der Effizienz in allen Bereichen auch unseren Mitarbeitern bei ihrer Weiterentwicklung hilft.
Schon Ihr Mann, Frau Pilz, hatte ja das Bild des unternehmerisch mitdenkenden Mitarbeiters vor Augen. Ist das noch heute Bestandteil der Firmenphilosophie?
R. Pilz: Ja absolut. Mein Mann war schon damals ausgesprochen visionär was das betrifft. Er förderte ein Unternehmer-Ethos bei seinen Mitarbeitern - das ist noch heute ein wesentlicher Bestandteil unserer Unternehmenskultur. Übrigens ging auch bereits die Internationalisierung unseres Unternehmens auf meinen Mann zurück. Auch das Anstreben der Technologieführerschaft war seine Idee.
Lassen Sie uns einmal einen näheren Blick auf Ihre jüngsten Innovationen in der Steuerungstechnik sprechen, das Automatisierungssystem PSS4000. Worum handelt es sich hier genau?
T. Pilz: Bei PSS4000 handelt es sich um unser neues Automatisierungssystem, mit dem sich Aufgaben der Sicherheit und der Maschinensteuerung ebenso lösen lassen, wie für die Bereiche Motion Control, Diagnose und Visualisierung. Unser Ziel ist es, die Dezentralisierung von Steuerungsfunktionen zu vereinfachen und den Aufwand des Engineering zu reduzieren. Dabei ist vor allem die Software interessant. Zum einen gibt sie dem Programmierer eine zentrale Sicht auf seine Automatisierungsaufgabe trotz möglicher verteilter Steuerungsstrukturen, entkoppelt von der Hardware. Sie ermöglicht außerdem den mechatronischen Ansatz. Man kann jetzt in Modulen denken. Unsere Software, PAS4000 genannt, erlaubt es vorhandene oder programmierte Komponenten zu Modulen zusammen zu fügen, die man dann, äquivalent zur Mechanik, zu vollständigen Einheiten zusammensetzen kann.
Können Sie ein Beispiel für eine Applikation nennen?
T. Pilz: Nehmen wir z. B. den Hersteller einer Backstraße. Denkt er in Modulen, kann er diese einfach wiederverwenden, also z. B. das Ofenmodul unverändert einsetzen, auch wenn sich die Hardwarestruktur geändert haben sollte, weil eventuell weitere Module durch dieselbe Steuerungseinheit bearbeitet werden müssen oder die Ausbringung der Anlage sich geändert hat und dadurch eine veränderte Hardware erfordert. Da wir mit PAS4000 hardwareunabhängig arbeiten können und eine Zuweisung der Module zur Steuerungshardware wie CPU's und I/O-Ebene erst sehr spät erfolgen muss, bekommt der Backstraßenhersteller ein sehr flexibles Werkzeug in die Hand, um auf die Kundenanforderungen flexibel reagieren zu können.
Das eröffnet noch weitere Möglichkeiten innerhalb Ihres Produktportfolios?
T. Pilz: Unsere Steuerungssoftware wurde ebenfalls hardwareunabhängig entwickelt und als sog. Plattform aufgesetzt. Damit haben wir die Möglichkeit, unsere Software auf unterschiedlichsten Zielsystemen wie Steuerungshardware, Visualisierungshardware, und - was noch geplant ist - Umrichterhardware laufen zu lassen. Eine durchgängige E/A-Plattform, mit Hilfe derer sowohl Sicherheits- als auch Standardsignale eingesammelt werden können, bildet die Basis der Schnittstellen zur Peripherie. Das bietet dem Kunden erstmalig die Möglichkeit, eine Automatisierungsaufgabe ganzheitlich mit Pilz-Systemkomponenten zu lösen. Von unserer früheren Selbstbeschränkung auf Sicherheitskomponenten haben wir uns gelöst. Unser Ethernet basierendes Protokoll Safetynet p, bildet dafür die Kommunikationsplattform. Durch die hohe Performance von Safetynet p wird es möglich, Programmteile auf verschiedene Steuerungseinheiten zu verteilen. Es verbindet unsere Komponenten zu einem System. Wir sind jetzt in der Lage, dem Markt sowohl Gesamtlösungen als auch Komponenten anzubieten.
Welche neuen Märkte möchten Sie sich mit diesem Produkt erschließen?
T. Pilz: Wir entwickeln grundsätzlich eine branchenunabhängige Grundlösung. Diese können wir dann unter Berücksichtigung spezifischer Funktionen z. B. in Form von Softwarebausteinen der jeweiligen Industrie anpassen.
R. Pilz: Für uns ist vor allem der Maschinenbau interessant - und nach wie vor auch die Automobilindustrie. Wir bedienen insgesamt etwa
30 Branchen, darunter die Holzbearbeitung, die Metallbearbeitung, Nahrungsmittel, Pressen, Verpackungsindustrie, etc. Deshalb haben wir auch eine sehr starke Applikationsabteilung.
T. Pilz: Gerade beim Thema Pressen ist für uns die Umrichtertechnologie sehr wichtig: Die Sicherheit im Umrichter, die wir auch in einem Nachrüstpaket dem Markt anbieten. Wir können für unsere Kunden eine sichere elektrische Presse realisieren. Damit sind wir sehr interessant für Systemintegratoren, die unser Konzept nehmen und umsetzen können, aber auch für Endnutzer, die Pilz als Technologiepartner sehen, um ihren Maschinenpark zu sichern und effizienter zu machen.
Dazu zählt auch die Energieeffizienz - Stichwort „Green IT"?
R. Pilz: Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, den wir auch in unsere Unternehmensziele mit aufgenommen haben.
T. Pilz: Unsere Hardware hat alles schon an Bord, um ökologisch zu sein. Der Umrichter an sich ist viel ökologischer als ein Getriebemotor. Auch eine Energierückspeisung kann in die jeweilige Applikation eingebaut werden. Dies muss nur umgesetzt werden. Hier hat der Systemintegrator alle Möglichkeiten. Sehr wichtig ist für uns derzeit noch das Thema Mechatronik: Bei einer so simplen Applikation wie einem Türschloss kann man, wenn es um Schutzeinrichtungen geht, Elektronik und Mechanik vereinen und damit ein Zuhaltungskonzept anbieten, das bisher so noch nicht möglich war. Mit neuen Technologien bieten wir auf diese Weise Innovationen auf alten Gebieten.
Lassen Sie uns noch über ein weiteres neues Produkt kurz sprechen - das neue PNOZmulti Mini.
R. Pilz: Das PNOZmulti Mini ist ein Sicherheitsschaltgerät in kompakter Bauform, das für kleinere Applikationen gedacht ist. Insbesondere
für Stand-alone-Maschinen ist es eine optimale Lösung. Im Paket mit unserer Sensorik bieten wir dem Anwender eine Komplettlösung für die Sicherheit. Zusammen mit dem am Markt bekannten konfigurierbaren Steuerungssystem PNOZmulti und den Steuerungen PSSuniversal multi im Rahmen von PSS4000 können wir eine durchgängige Steuerungslösung anbieten. Das Besondere: der Anwender kann die unterschiedlichen Hardwareklassen mit ein- und demselben Softwaretool auf einfache Weise konfigurieren.
T.Pilz: Bei neuen Produkten ist es uns technisch gesehen sehr wichtig, dass wir nicht wie eine Heuschrecke von Blatt zu Blatt hüpfen, sondern dass wir Kontinuität darstellen. Das zeigt auch die Stellung des PNOZmulti Mini in unserem Produktportfolio. Wir betreiben immer eine konsequente Weiterentwicklung. Es geht uns also nicht nur um die neueste Technologie um ihrer selbst willen, sondern um eine geführte Technologieentwicklung im Sinne unserer Unternehmensausrichtung.
Eine Frage zum Abschluss: Die von Ihnen beschriebene technologische Weiterentwicklung hängt ja stark ab von der Rekrutierung geeigneter Mitarbeiter. Vor Jahren mussten Sie bis nach Irland gehen, um dort genügend Leute für die Forschung und Entwicklung zu finden - heute steuert Irland einen großen Teil für Ihre Forschungsaktivitäten bei. Fehlt es in Deutschland an technischem und wissenschaftlichem Nachwuchs?
S. Kunschert: Nein, die Situation bei uns ist schon sehr gut. Allerdings gab es damals in Irland eine kräftige Bildungsoffensive. Die Entscheidung, nach Irland zu gehen, hing aber vor allem mit unserer regionalen Lage zusammen: Der Wettbewerb um gut ausgebildete Mitarbeiter ist hier einfach extrem hoch - wir haben z. B. Firmen wie Porsche, Siemens und Bosch, um nur einige zu nennen. Wir betreiben deshalb schon immer Personalmarketing und haben auch jetzt ein neues, kreatives und den Gegebenheiten angepasstes Konzept entwickelt, um gute Leute von den Hochschulen und Fachhochschulen zu bekommen. So haben wir kontinuierlich die Marke Pilz auch als Arbeitgeber-Marke aufgebaut.
Frau Pilz, Frau Kunschert, Herr Pilz,
herzlichen Dank für das Gespräch.
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