Zu wenig Geld für Sicherheit und Brandschutz - ein Kommentar von Dr.-Ing. Wolfgang J. Friedl
Der Ruf nach neuen, strengeren Gesetzen, Bestimmungen und Vorgaben wird immer dann laut, nachdem etwas passiert ist; und meist auch lediglich von denen, die von den Mehrkosten di...
Der Ruf nach neuen, strengeren Gesetzen, Bestimmungen und Vorgaben wird immer dann laut, nachdem etwas passiert ist; und meist auch lediglich von denen, die von den Mehrkosten dieser Veränderungen nicht bzw. nicht direkt betroffen sind. Auf der anderen Seite leben wir in einem Land mit extrem vielen und hochwertigen gesetzlichen Bestimmungen, denn auch EU-weit genießen wir sicherheitstechnisch das höchste Ansehen. Umso peinlicher und unangenehmer ist es, wenn dann - sozusagen beim Vorzeigeschüler - doch etwas passiert. Brandschutz ist erst mal unproduktiv, amortisiert sich nicht und somit sind Ausgaben für baulichen, anlagentechnischen und organisatorischen Brandschutz unbeliebt.
Brandschäden werden nicht immer von den Versicherungen beglichen, denn bei grober Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz wird weniger oder gar nichts gezahlt. Der § 26 des Versicherungsvertragsgesetzes sagt aus, dass die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit der Versicherungsnehmer trägt. Diese sog. Beweislastumkehr bedeutet, dass nicht die Staatsanwaltschaft oder die Versicherungen beweisen müssen, dass man sich fahrlässig, grob fahrlässig oder gar vorsätzlich verhalten oder einen Brandschaden billigend in Kauf genommen hat, sondern dass die Unternehmen nun darlegen müssen, dass sie sich korrekt verhalten haben.
Nun fordern alle Bauordnungen in Deutschland folgendes: „Gebäude müssen so beschaffen sein, dass der Entstehung eines Brands und der Ausbreitung von Feuer und Rauch vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind." (Auszug aus den 16 deutschen LBO´s). In dieser umfassenden, intelligenten Formulierung werden also verschiedene, richtige und wichtige Schutzziele vorgegeben ohne jedoch konkret aufzuzeigen, wie diese im individuellen Einzelfall zu erreichen sind. Weiter sagt die Bauordnung, dass Gebäude für beeinträchtigte Personen als (ungeregelte) Sonderbauten gelten, für die es individuell weitere, andere, ggf. höhere Vorgaben gibt als für andere Gebäude mit weniger Gefährdung.
Direkt nach dem Brand in der Behindertenwerkstatt hörte man Vertreter des Unternehmens im TV sagen: „Wir haben alle Vorgaben eingehalten." Verständlich, aber wenig glaubhaft - dann wären nämlich die 14 Menschen den Vorschriften entsprechend gestorben und das widerspricht dem o. a. Satz! Die beiden wichtigen Ziele der Bauordnung, nämlich Rauch an der Ausbreitung zu hindern und die Rettung von Menschen ermöglichen, hat man hier unzweifelhaft 14 mal nicht erreicht. Andere, wenig qualifizierte Menschen fordern in den Medien den pauschalen Einbau von Sprinkleranlagen in Behindertenwerkstätten. Beides ist unsinnig.
Jetzt geht es darum, sich zu entschuldigen, was nichts anderes heißt als nachzuweisen, dass man keine juristische Schuld trägt. Die Staatsanwaltschaft wird prüfen müssen, welche Bestimmungen gelten, was bei der Genehmigung des Gebäudes gefordert wurde und ob das eingehalten wurde. Die Bauordnung, einschlägige technische Regeln, das Brandschutzkonzept und die Gefährdungsbeurteilung werden hierzu wohl primär heran gezogen werden. Der Herr Staatsanwalt wird wohl auch vergleichbare Unternehmen (auch von anderen sozialen Unternehmen) in Augenschein nehmen und - gemeinsam mit dem Richter - voraussichtlich zu einer abschließenden Meinung kommen, die von den Fachleuchten nicht immer so einstimmig gesehen werden.
Um sich zu entschuldigen, Schuld von sich zu nehmen oder um sich - wie der Jurist sagt - zu Exkulpieren, muss man nachweisen, welche gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen und Auflagen Gültigkeit haben und dass man diese umgesetzt hat. Bei 14 Toten - zuletzt gab es so viele Tote in Deutschland beim Flughafenbrand in Düsseldorf - wird das voraussichtlich schwer werden. Sehr schwer. Wahrscheinlich sogar unmöglich.
Wie würde denn die Sicherheit optimal in einem Gebäude aussehen, in dem körperlich und bzw. oder geistig eingeschränkte Menschen arbeiten? Man wird präventiv bauliche, anlagentechnische und organisatorische Maßnahmen ergreifen, die wie Zahnräder ineinander greifen und funktionieren: Im Normalfall ohnehin und im Brandfall unbedingt! Man wird darüber hinaus einen effektiven abwehrenden Brandschutz umsetzen. Konkret heißt das hier: Der erste Fluchtweg für alle Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsbereichen ist bekannt, kurz, frei, zugänglich und funktionsfähig. Der zweite Fluchtweg ist baulich gegeben und er besteht nicht aus den Leitern der Feuerwehr, man ist hier auch nicht auf Treppen angewiesen, sondern auf Ausgänge bzw. auf Rampen, die körperlich beeinträchtigte Personen auch selber nutzen können. Es gibt auch genügend gesunde Helfer, die jetzt schnell vor Ort sind, um andere Menschen heraus bringen, die Türen schließen, die ein Feuer löschen können (Fahrbare Löscher, Wandhydranten, Feuerlöscher) - was „genügend" ist, wird man jedoch unterschiedlich auslegen, denn hier gibt es keine exakten Vorgaben. Schließlich geht es ja auch immer um Geld, das in Deutschland knapp und für soziale Einrichtungen noch knapper ist.
Anlagentechnisch ist es unbedingt wichtig, automatische und manuelle Brandmelder zu installieren; dies ist wesentlich sinnvoller als der pauschale Ruf (Ja, das gab es tatsächlich nach der Katastrophe!) nach einer (sehr teuren und dennoch uneffektiven) Komplettsprinklerung. Lager, Produktion, Sozialbereiche, Verwaltung und weitere Nutzungseinheiten sind mit feuerbeständigen Wänden gegenseitig abgetrennt - Wände, die diesen Namen auch verdienen: Will sagen, die Leitungs- und Rohrdurchführungen sind geschottet und die Türen mindestens feuerhemmend und selbstschließend.
Organisatorisch sowie anlagentechnisch wird man dafür sorgen, dass besondere Gefahren, die durch Gase oder auch brennbare Flüssigkeiten, aber auch durch Stäube, nicht Realität werden können: Im Extremfall wird man eben eine gefährliche Unternehmensart in der Behindertenwerkstätte abschaffen oder Stoffe substituieren. Die Betriebssicherheitsverordnung fordert ein Explosionsschutzdokument, aus dem deutlich hervor geht, wie man mit primären und sekundären Schritten eine Explosion verhindert und wenn es doch zu einer Explosion gekommen ist, so hat man offensichtlich zweimal versagt. Organisatorisch wird weiter dafür gesorgt, dass viele befähigten Personen jederzeit vor Ort sind, um Menschen zu betreuen, beruhigen und ihnen effektiv zu helfen: Jetzt, und nicht in 5 Minuten - wenn es für viele bereits zu spät ist.
Die Behindertenwerkstatt ist ein sogenannter ungeregelter Sonderbau, in dem besonders viele und besonders hilfebedürftige Personen anwesend sind. Panik bricht im Brandfall schon bei den sogenannten gesunden Menschen aus und somit natürlich auch oder vielleicht noch mehr bei kranken Personen. Viele Betreuer, kleine Brandbereiche, sichere Refugien, gute Betreuung am Fluchtort (Schutz vor Kälte und Regen) sind hier bitte selbstverständlich. Das kann - nein, muss - man auch mal üben, sagt zumindest die hier gültige Arbeitsstättenverordnung. Man kann den Hebel an verschiedenen Stellen ansetzen - etwa auch daran, ob man brennbare Gase in die Nähe dieser Menschen hätte bringen dürfen. Auch wird man fragen dürfen und müssen, ob man bereits Räumungsübungen durchgeführt hat und welche Verbesserungsvorschläge man abgeleitet hat aus diesen Übungen. Oder eben man stellt fest, dass man solche Übungen noch nie gemacht habe - vielleicht mit der wenig intelligenten Begründung, bis jetzt sei ja nie etwas passiert. Anlagentechnisch wäre auch eine gute, effektive Entrauchung wesentlich wichtiger für den Personenschutz als eine Sprinklerung. Und bei solchen Gebäuden ist es exorbitant wichtig, dass man - analog der Hochhaus-Bauvorgaben - auf brennbare Gebäudesubstanzen im Isolationsbereich der Wände und Dächer komplett verzichtet. Weiter ist ein Stromausfall - vgl. München am Dienstag, den 13.11.12 (morgens für ca. 60 Minuten für einige 100.000 Menschen, auch im Straßenverkehr!) im Bereich des Realistischen, ja wir werden zukünftig so was deutschlandweit häufiger erleben, darin sind sich alle Experten einig. Also muss man ggf. auch für Notstrom im Gebäude sorgen, denn durch Stromausfall kann es evtl. zu gefährlichen Situationen kommen. Das fordert der Gesetzgeber ggf. indirekt, nicht aber direkt!
Nun haben religiöse Gruppen, die Automobilbauer, die Versicherungsindustrie usw. unterschiedliche Interessen und diese versuchen sie mit Lobbyarbeit durchzusetzen. Das an sich ist nichts Verbotenes und auch erst mal nichts unanständiges. Diese Gruppen verfügen über mehr oder weniger Geld und diese Lobbyarbeit kann noch mehr Geld bringen bzw. einsparen helfen. Leider haben Kinder, Kranke, Behinderte und alte Menschen nicht die Möglichkeit wie milliardenmächtige Konzerne, ihre Interessen durchzusetzen und somit sind die Konsequenzen klar: Für den Brandschutz im teuren Lager oder in wichtigen Produktionsanlagen steht mehr Geld zur Verfügung als in sozialen Einrichtungen.
Ein Berufsfeuerwehrmann, der Brandverhütungsbegehungen durchführt, sagte kürzlich - inoffiziell natürlich, dass er bei den brandschutztechnischen Begehungen von Krankenhäusern bereits zwischen privaten und öffentlichen Beeinem mehr als betr treibern erheblich unterscheiden muss. Das sollte offen machen - und wird sicherlich von allen Verantwortlichen weit von sich gewiesen!
Das grundsätzliche Problem wird sein, dass die Betreiber von Kindergärten, Krankenhäusern und natürlich auch von Behindertenwerkstätten und deren Wohngebäude wenig, manchmal auch zu wenig Geld für so unproduktive Dinge wie Sicherheit und Brandschutz zur Verfügung haben. Und leider setzen sich auch einige Gewerbeaufsichtsämter und Berufsgenossenschaften nicht so durch, wie sie das könnten oder müssten. Man kann ja auch an dem Interesse der Medien sehen, welchen Stellenwert 14 Tote in einem Flughafen (Düsseldorf, 1996!) haben und welches Interesse an ebenso vielen Toten in einer Behindertenwerkstatt (2012!!) herrscht. Desillusionierend!
Baulich muss man das Lager von brennbaren Stoffen so ausbilden, dass ein Brand dort keine Menschen außerhalb gefährdet. Das bedeutet eine effektive Entrauchung, ggf. eine Löschanlage, immer aber eine bauliche Trennung und eine Brandschutztür sowie das Einhalten der Technischen Regeln Gase. Also kann man den Zugang zum Lager z. B. so ausbilden, dass er über einen Flur oder durch eine Schleuse führt, oder eben lediglich übers Freie möglich ist.
Wer glaubt, dass die Eröffnung des Flughafens in Berlin an einer simplen Entrauchungsanlage für Jahre verschoben wird, der ist - sorry! - infantil. Wer glaubt, dass nach dieser Katastrophe sich grundlegendes brandschutztechnisch effektiv verbessern wird, ist dies ebenfalls. Fakt ist, wir brauchen keine neuen, strengeren Gesetze. Wir müssen die Bestehenden kennen und anwenden. Das reicht aus. Würde ausreichen! Fakt ist auch, dass wir tolle und viele Retter hatten, die selbstlos ihr Leben riskierten, um viele weitere Menschen vor schrecklichem zu bewahren. Für viele waren sie rechtzeitig da, für 14 Menschen nicht - deren Angehörige werden diese Aktivitäten und Maßnahmen jedoch nicht als „effektiv" einstufen.
Meist gelesen
Phoenix: der erste Barfuß-Sicherheitsschuh auf dem Markt
Baak bringt mit "Phoenix" nach fünf Jahren Entwicklungsarbeit den ersten Barfuß-Sicherheitsschuh auf den Markt.
Konzernsicherheit und Krisenmanagement bei Carl Zeiss
Risikobasierter Sicherheitsansatz: "Wer alles schützen will, schützt nichts." GIT SICHERHEIT im Interview mit Sven Franke, Head of Security, Crisis Management & BCM bei Carl Zeiss.
Kommunale Sicherheit: Gespräch mit der Düsseldorfer Ordnungsdezernentin Britta Zur
Öffentliche Sicherheit der Stadt Düsseldorf im Zusammenspiel von Ordnungsamt und Polizei: Ordnungsdezernentin Britta Zur im Interview über die Kriminalitätsentwicklung, Gefahrenabwehr und Fußball-EM 2024.
Globale Konzernsicherheit bei der BMW Group
CSO Alexander Klotz ist für die globale Konzernsicherheit bei BMW Group zuständig. GIT SICHERHEIT hat sich mit ihm über Aufgaben und potentielle Bedrohungen unterhalten.
Wie Unternehmen und Polizei zusammenarbeiten
GIT SICHERHEIT im Interview mit Julia Vincke, Leiterin Unternehmenssicherheit BASF, und Bettina Rommelfanger, Polizeivollzugsbeamtin am Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA BW).