Aktuelle Herausforderungen für die Werkfeuerwehren: Interview mit Raimund Bücher

Henkel mit Hauptsitz in Düsseldorf ist ein börsennotierter deutscher Hersteller von Industrie- und Konsumgütern mit weltweiten Marken und Techniken in drei Geschäftsfeldern: Laundr...

Raimund Bücher ist Leiter der Werkfeuerwehr Henkel sowie von BASF Personal...
Raimund Bücher ist Leiter der Werkfeuerwehr Henkel sowie von BASF Personal Care and Nutrition. Er ist außerdem Vorsitzender des Bundesverbands Betrieblicher Brandschutz WFV-Deutschland

Henkel mit Hauptsitz in Düsseldorf ist ein börsennotierter deutscher Hersteller von Industrie- und Konsumgütern mit weltweiten Marken und Techniken in drei Geschäftsfeldern: Laundry & Home Care (Wasch-/Reinigungsmittel), Beauty Care (Schönheitspflege) und Adhesive Technologies (Klebstoffe). 2017 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von rund 20 Mrd. Euro. Es beschäftigt weltweit 53.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dipl.-Ing. Raimund Bücher ist Leiter der Werkfeuerwehr Henkel sowie von BASF Personal Care and Nutrition. Er ist außerdem Vorsitzender des Bundesverbands Betrieblicher Brandschutz WFV-Deutschland. Unser wissenschaftlicher Schriftleiter Heiner Jerofsky sprach mit Raimund Bücher über die Herausforderungen beim Sicherheitsmanagement eines Weltkonzerns.

GIT SICHERHEIT: Herr Bücher, Sie sind seit 1989 bei der Werkfeuerwehr. Sie waren von 2000 bis 2010 Leiter der Werksicherheit bei Henkel – und seit 2010 sind Sie Leiter der Werkfeuerwehr. Damit zählen Sie zu den erfahrensten Sicherheitsexperten in der deutschen Großindustrie. Welche Bedeutung haben Unternehmenssicherheit und Gefahrenabwehr für Ihr Unternehmen, die Mitarbeiter, für die Produktion und das Image?

Raimund Bücher: Alle Aktivitäten der Prävention und Vorbeugung – dem Kerngeschäft einer Werkfeuerwehr – sollen dazu dienen, Schaden vom Unternehmen und damit auch von den Menschen am Standort fern zu halten. „Business Continuity“ ist das Schlagwort: Das bedeutet, dass im Falle eines Ereignisses alle Maßnahmen der Gefahrenabwehr dazu dienen, die Produktion schnellstmöglich wieder verfügbar zu machen. Hier geht es auch um die Aspekte Nachhaltigkeit und Responsable Care: Henkel kümmert sich verantwortlich. Dabei geht es auch um den Schutz des Rufs, bei dem auch die Werkfeuerwehr eine Rolle spielt. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass Henkel zu den Gründungsmitgliedern von TUIS zählt, dem Transport-Unfall-Informations- und Hilfeleistungssystem der Chemischen Industrie. Wir beteiligen uns also bundesweit an der qualifizierten und schnellen Hilfeleistung bei Transport- und Lagerunfällen sowie bei akuten Gefahrensituationen im Zusammenhang mit chemischen Produkten.

Wie haben Sie Ihre Sicherheitsabteilung organisiert und gibt es so etwas wie eine firmeneigene Sicherheitsphilosophie?

Raimund Bücher: Die Werkfeuerwehr gehört heute zur Organisationsabteilung Corporate Health, Safety & Security. Dort sind Kollegen der Corporate Security genauso vertreten wie die Kollegen des lokalen Werkschutzes, der Werkfeuerwehr, des Umwelt- und Arbeitsschutzes, wie auch des werksärztlichen Dienstes. Wir haben bei Henkel weltweit gültige Standards definiert, die den gemeinschaftlichen Auftritt in Brandschutz, Werkschutz, Umweltschutz und Gesundheitsschutz sichern sollen.

Seit über 100 Jahren hat der Chemie-Konzern Henkel in Düsseldorf-Holthausen eine eigene Feuerwehr. Wie viele Alarme, Brände, technische Hilfeleistungen und RTW-Einsätze haben Sie durchschnittlich jedes Jahr mit wie vielen voll ausgebildeten Brandschützern und Rettungsassistenten zu bewältigen?

Raimund Bücher: Im Jahr 2017 verzeichneten wir am Standort in Düsseldorf-Holthausen 187 Feueralarme, davon 41 Brände. Außerdem war die Werkfeuerwehr 140 Mal zur technischen Hilfeleistung eingesetzt. 162 Mal war der Rettungsdienst im Einsatz, 228 Mal leistete die Werkfeuerwehr Unterstützung im Rahmen von TUIS. Die Werkfeuerwehr hält das ganze Jahr über rund um die Uhr 21 Funktionen zur Gefahrenabwehr bereit. Dafür beschäftigt die Werkfeuerwehr heute 87 Mitarbeiter – davon arbeiten 80 Mitarbeiter im 24-Stundendienst. Alle Kräfte sind als Rettungsassistenten und Rettungssanitäter auch in der Notfallrettung (Rettungsdienst) im Einsatz.

Welche Spezialfahrzeuge hat die Werkfeuerwehr am Standort Holthausen im Einsatz? Werden Ihre Brandschützer und Ihr Rettungsdienst auch im Bedarf außerhalb des Werkes eingesetzt?

Raimund Bücher: Die Werkfeuerwehr hat Fahrzeuge im Einsatz, die den Schutzzielen des Standortes in Düsseldorf dienen. Abgestimmt auf die Risiken hier am Standort, bedienen wir Löschfahrzeuge für die industrielle Brandbekämpfung, Fahrzeuge für den Einsatz mit Chemikalien und die für die technische Hilfe. Am Standort halten wir für den Rettungsdienst zudem zwei Rettungswagen und ein Notarztfahrzeug parat. Im Rahmen von TUIS kann es durchaus zum Einsatz außerhalb des Werkes kommen, wenn die Werkfeuerwehr zur Unterstützung angefordert wird. Grundsätzlich gilt als oberste Priorität der Schutz des Werkes – aber wenn wir gefragt werden, leisten wir Hilfe. Wir arbeiten dann beispielsweise mit der Düsseldorfer Feuerwehr zusammen. Alle Einsätze im Rahmen von TUIS sind Teil unserer Responsable-Care-Philosophie.

Können Sie unseren Lesern Aufgaben und Belastung Ihrer Notruf- und Serviceleitstelle beschreiben? Wie schnell müssen Feuerwehr und Ersthelfer am Einsatzort sein?

Raimund Bücher: Die Konzern-Notruf- und Serviceleitstelle KNSL ist Anlaufstelle für alle Bedarfe aus Brand- und Werkschutz. Sie bearbeitet Meldungen aller Art weltweit, bewertet Meldungen aus der Anlagentechnik wie Brandmelder, Löschanlagen oder Werkschutzanlagen und ist Anlaufstelle für Notrufe aller Art. Bei Ereignissen für Feuerwehr und Werkschutz ist die KNSL Führungsmittel und dann zuständig für Alarmierung, Benachrichtigung und Dokumentation im Ereignis. Wir sind seitens der Bezirksregierung Düsseldorf verpflichtet, innerhalb von fünf Minuten erste Maßnahmen einzuleiten. Vorgaben hinsichtlich Zeit, Qualifikation, Mindeststärke etc. sind im Anordnungsbescheid der Bezirksregierung vorgeschrieben.

Lassen Sie uns einen Blick auf den vorbeugenden Brandschutz in einem großen Chemiekonzern wie Henkel werfen – wie schaffen Sie es, dass alle Bediensteten die Gefahren kennen und sensibilisiert bleiben?

Raimund Bücher: Wir schulen jährlich bis zu 1.500 Mitarbeiter in den verschiedensten Themen wie in der Ersten Hilfe, als Brandschutz- und Ersthelfer, in der Handhabung von Feuerlöschern usw. Deshalb sind Betriebe wie der unsere anders zu sehen als öffentliche Gebäude. Neben der Brandschutzorganisation mit Themen wie Fluchtwegsicherung und Gefahrenabwehrpläne, Brandschutzordnung, Räumungskonzepte etc. ist unser gut unterwiesenes Personal ein steter Vorteil für die Prävention. Natürlich gibt es baurechtliche Regeln, die für uns wie für jedes andere Gebäude, etwa ein Verwaltungsgebäude, gelten. Im Unterschied setzen wir aber viel stärker auf Schulung und Training von Mitarbeitern. Wir übererfüllen im eigenen Interesse und aus eigenem Antrieb auch die entsprechenden Vorgaben aus den Arbeitsschutzrichtlinien. Gerade bei Entstehungsbränden ist es ein gewaltiger Vorteil, wenn die Mitarbeiter trainiert und geschult sind.

Wie schätzen Sie die aktuelle die allgemeine Sicherheitslage für Chemiekonzerne ihrer Größe ein? Stehen Sie dazu auch in Kontakt zu Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes?

Raimund Bücher: Wir beobachten die Lage sehr intensiv. Sicherheitslagen, besondere Risiken, erkenne ich derzeit aber nicht. Wir sind ständig in engem Kontakt zu den Behörden. Die Zusammenarbeit ist sehr gut, so dass wir auch immer sehr gut informiert sind. Diese Kooperation und der ständige Kontakt mit den Sicherheitsbehörden ist übrigens auch Teil unseres Selbstverständnisses als verantwortungsvoll agierendes Unternehmen.

Sie haben kürzlich auf dem „Securitas Sicherheitstag“ in Leipzig über Herausforderungen und die Visionen von Werkfeuerwehren in Deutschland referiert. Welche Themen waren Ihnen hier besonders wichtig?

Raimund Bücher: Mir war es besonders wichtig, zu zeigen, dass eine erfolgreiche Arbeit der Werksfeuerwehren nicht nur gut abgestimmte Prozesse und klar definierte Erfolgskriterien braucht – ich wollte vor allem darauf hinweisen, dass Personal nach wie vor ein Schlüsselthema für uns ist. Wir müssen uns auch im Hinblick auf die Demografie Gedanken machen über die Schulung von Kompetenzen, aber auch bezüglich der Arbeitszeiten. Auch die allgegenwärtige Digitalisierung ist eine Herausforderung. Feuerwehren müssen den Umgang mit smarten Geräten einüben, sich mit Datenzugriff und -logistik befassen. Der Komplex „Smart-Home aus Sicht der Feuerwehr“ muss immer mehr durchdacht und einbezogen werden.

Herr Bücher, Sie sind ja auch Vorsitzender des Bundesverbands Betrieblicher Brandschutz und Werkfeuerwehrverband WFV-Deutschland. Was sind derzeit Ihre wichtigsten Arbeitsthemen?  

Raimund Bücher: Als Interessenverband der Unternehmen bearbeiten wir ja praktisch alle Themen des Betrieblichen Brandschutzes. Fragen der Qualifikation des Personals, Umweltthemen, Ausstattung etc. gehören dazu, aber auch normative Fragen etwa des baulichen Brandschutzes. Wir vertreten unsere Mitglieder, die Unternehmen, in den entsprechenden Gremien – und achten auch darauf, dass keine übermäßigen Anforderungen an sie gestellt werden. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Diskussion um die Löschwasserrückhaltung, die bisher fast nur für Tanklager erforderlich war. Dieses Erfordernis soll nach dem Willen des Gesetzgebers jetzt ausgeweitet werden auf beliebige Gebäude und Flüssigkeiten an einem Standort. Das würde aus unserer Sicht eine extreme Überforderung vieler unserer Unternehmen bedeuten.

Herr Bücher, lassen Sie uns bei dieser Gelegenheit noch ein weiteres Thema ansprechen, das in derzeit im Zusammenhang mit dem Einsatz von Feuerlösch-Sprays diskutiert wird: Wie stehen Sie zum Hickhack rund um die ASR – zunächst gab es eine Änderung zugunsten des Einsatzes von Feuerlösch-Sprays, dann wurde diese Änderung urplötzlich praktisch wieder zurückgenommen? 

Raimund Bücher: Die jüngste Empfehlung des „Ausschuss für Arbeitsstätten“ (ASTA) widerspricht ganz klar dem Stand von Wissenschaft und Technik – und sie widerspricht in ärgerlicher und verwunderlicher Weise der ausdrücklich formulierten fachlichen Meinung der deutschen Feuerwehren. Wir sehen die Feuerlöschsprays ganz klar als wichtiges Element des Brandschutzes an – zwar weniger im industriellen Umfeld, aber umso mehr in Gebäuden der Verwaltung, Schulen, Kindergärten usw. Mit einer handlichen Dose in der Nähe kann jeder direkt auf entstehende Brände reagieren – viel besser als mit einem Feuerlöscher, der bestenfalls 30 Meter entfernt steht. Im Mai haben wir diese klare und ausgewogene Einschätzung im Rahmen des Expertenkreises zur ASR auch bereits verabschiedet – der ASTA sollte dies eigentlich so in das Verfahren einbringen. Stattdessen hat der ASTA nun in seiner Empfehlung diese Grundaussagen genau umgekehrt. Er will den Einsatz von Feuerlöschspraydosen ausschließen und erklärt sie als unzulässig. Dieser soll sogar ausgeschlossen sein, wenn dies aus der konkreten Gefährdungsbeurteilung möglich wäre, weil die Schutzziele der ASR auch mit Feuerlöschdosen erreichbar wären – so sieht es die ASR ansonsten nämlich vor. Der ASTA hat die Meinung des Expertenkreises eigenmächtig und ohne Rücksprache ad absurdum geführt. Die Folge wird eine Verstärkung der Unsicherheit sein – gerade bei kleineren Unternehmen, Handwerkern, aber auch in Kranken­häusern.

Was war Ihre Reaktion gegenüber der ministerialen Ebene – und welche Antwort gibt es von dort?

Raimund Bücher: Wir haben an Hubertus Heil, den zuständigen Minister für Arbeit und Soziales geschrieben – eine Antwort haben wir bis jetzt noch nicht erhalten. In unserem Schreiben bitten wir ausdrücklich darum, dafür zu sorgen, dass die Empfehlung des ASTA zurückgezogen wird. Wir haben betont, dass die Veröffentlichung einer solchen Empfehlung für untragbare Verunsicherung führen würde: Anders als Experten im betrieblichen Brandschutz kann nicht jedes Unternehmen die Zeit für die Klärung der Frage aufbringen, ob es nun Löschspraydosen einsetzen darf oder nicht.

Herr Bücher, herzlichen Dank für dieses sehr interessante, offene und spannende Gespräch. Zum Abschluss eine persönliche Frage: Wie verbringt ein so stark beschäftigter Manager eigentlich seine Freizeit?

Raimund Bücher: Ich bin zum Beispiel in der Neuapostolischen Kirche als Gemeindevorsteher aktiv. Und seit zwei Jahren widme ich mich der Malerei.

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