Berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen – Auswahlkriterien für den Einsatz

In der modernen Industrie sind berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen (BWS) unverzichtbar, um die Sicherheit von Bedienern und Maschinen zu gewährleisten. Doch wann ist der Einsatz einer BWS sinnvoll und welche Arten gibt es? Unsere Experten Dirk Heeren, Safety-Experte bei Sick, Marcel Wöhner, Chief Technical Officer bei Pilz, und Tobias Keller, Business Development Coordinator bei K.A. Schmersal, geben Einblicke in die Auswahlkriterien und die verschiedenen Technologien, die hinter diesen Sicherheitslösungen stehen. Erfahren Sie mehr über die Vorteile und Herausforderungen von BWS und wie sie in unterschiedlichen Anwendungen eingesetzt werden können, um maximale Sicherheit und Effizienz zu gewährleisten.

Berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen – Auswahlkriterien für den...
© GIT SICHERHEIT/Wiley VCH

Werden Schutzeinrichtungen an Maschinen außer Kraft gesetzt, steigt die Gefahr für Arbeitsunfälle. Insbesondere während der Instandhaltung beim Betreiber werden Schutzeinrichtungen an Maschinen häufig manipuliert, zum Beispiel wenn der bereitgestellte Funktionsumfang für bestimmte Tätigkeiten nicht ausreicht oder Schutzeinrichtungen als störend empfunden werden.

Die Artikel-Serie in Kooperation von VDMA Elektrische Automation und GIT SICHERHEIT beleuchtet verschiedene Arten von Schutzeinrichtungen und geht der Frage nach, wann welche Schutzmaßnahme/n sinnvoll bzw. erforderlich sind und worauf es bei Auswahl und Einsatz zu achten gilt.

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Dirk Heeren, Safety-Experte bei der Sick Vertriebs-GmbH
© Sick AG

GIT SICHERHEIT: Herr Heeren, Herr Wöhner, Herr Keller wann ist eine nicht-trennende (berührungslose), wann eine trennende Schutzeinrichtung das Mittel der Wahl?

Dirk Heeren: 
Eine berührungslos wirkende Schutzeinrichtung (BWS) sollte immer dann gewählt werden, wenn regelmäßige oder häufige Bedienereingriffe notwendig sind. Dies gebietet die Ergonomie. Eine BWS ist allerdings nicht sinnvoll, wenn die gefahrbringende Bewegung nicht rechtzeitig gestoppt werden kann oder aber die Gefahr z. B. durch Emissionen oder herausschleudernde Gegenstände / Substanzen entsteht. Davor kann eine BWS nicht wirksam schützen und es sollte eine trennende Schutzeinrichtung geplant werden.

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Marcel Wöhner, Chief Technical Officer – Subsidiary Germany bei Pilz
© Pilz GmbH & Co KG

Marcel Wöhner: Beim Umgang mit BWS ist es wichtig zu beachten, dass sie willensunabhängig und barrierefrei funktionieren. Ein wesentlicher Vorteil besteht darin, dass sie den Arbeiter oder Bediener bei der Ausführung seiner Aufgaben nicht behindern und bei einer Unterbrechung sofort wirken, indem sie die Maschine abschalten.

Allerdings ist dem Bedienpersonal nicht immer klar, wann genau die Schutzeinrichtung aktiv ist und welches Ereignis sie auslöst. Wenn ein unsichtbares Schutzfeld unterbrochen wird, bemerkt der Mensch dies möglicherweise nicht. Dadurch kann es zu Gewöhnungseffekten kommen, und das Arbeiten im Gefahrenbereich wird zur Selbstverständlichkeit. Bei einer Überbrückung oder Fehlfunktion der BWS können jedoch verheerende Folgen eintreten. Im Unterschied dazu tragen trennende Schutzeinrichtungen dazu bei, das Bewusstsein für den Gefahrenbereich aufrecht zu erhalten. Außerdem bleibt es eine bewusste und aktive Entscheidung der Bediener, eine trennende Schutzeinrichtung zu öffnen und damit die Sicherheitsfunktion auszulösen bzw. den Maschinenprozess zu unterbrechen.


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Tobias Keller, Business Development Coordinator bei K.A. Schmersal
© K.A. Schmersal/Andreas Fischer

Tobias Keller: Eine gute Gedankenstütze, um die richtige Entscheidung für eine trennende oder nicht-trennende Schutzeinrichtung zu treffen ist auch die Beantwortung der Frage, ob es sich um eine Gefahrenstelle oder Gefahrenquelle handelt.

Während sich die Gefahr bei einer Gefahrstelle, wie das Wort ja schon sagt, auf einen bestimmten Punkt bzw. Raum beschränkt, ist die Gefahrenquelle der Ursprungspunkt für eine sich ausbreitende Gefährdung. Die Gefahr kann sich von hier aus mehr oder minder unkontrolliert ausbreiten. Um eine Gefahrenquelle handelt es sich beispielsweise beim herausschleudern eines Werkstücks aus einer Drehbank.Hier ist es recht ersichtlich, dass eine nicht-trennende Schutzeinrichtungen nicht den gewünschten Effekt erzielen würde. Hier muss eine trennende Schutzeinrichtung mit entsprechender Rückhaltewirkung her.

Welche Arten von berührungslos wirkenden Schutzeinrichtungen gibt es?

Tobias Keller:
Die Normen unterscheiden zwischen aktiven optoelektronischen Schutzeinrichtung – Active Opto-electonic Protective Device (AOPD) –, diffuse Reflexion nutzende aktive optoelektronische Schutzeinrichtung – Active Opto-electronic Protective Device using Diffuse Reflection (AOPDDR) – und Kamerabasierten Schutzeinrichtungen – Vision Based Protective Device (VBPD). Grundsätzlich kann man diese dann aber im allgemeinen Sprachgebrauch in Lichtschranken, -gitter und -vorhänge (AOPD), Laserscanner (AOPDDR) und Safety-Kameras (VBPD) unterteilen, was der Verständlichkeit sicherlich zuträglich sein dürfte.

Marcel Wöhner: BWS werden oft als Synonym für optische Sicherheitssensoren verwendet. Die Produktnorm IEC 61496 klassifiziert berührungslose Schutzeinrichtungen in den Stufen 1 bis 4. Diese Klassifizierung entspricht dem steigenden Schutzanspruch. Neben Lichtgittern und Laserscannern kommen auch andere Technologien als BWS zum Einsatz, darunter kapazitive Sensoren, Ultraschall-, Mikrowellen-, Infrarot- und Radarsysteme. Jede dieser Technologien hat ihre spezifischen Anwendungsgebiete und Vorzüge.

Unter welchen applikativen Anforderungen kommen die unterschiedlichen Arten von berührungslos wirkenden Schutzeinrichtungen zum Einsatz?

Dirk Heeren:
Eine Unterscheidung kann in der Art der Anwendung, z. B. ob stationärer oder mobiler Art, gemacht werden. Außerdem sind unterschiedliche Arten von BWS (Lichtgitter, Lichtvorhänge, 2D-Flächenscanner, 3D-LiDAR-Sensoren, 3D-Kamerasysteme) natürlich für unterschiedliche Applikationen geeignet. So findet man als Gefahrstellenabsicherung oder Zugangsabsicherung sehr häufig Lichtgitter und -vorhänge, in mobilen Applikationen eher die Scanner oder LiDAR und bei mobilen oder Roboteranwendungen kommt auch die neue 3D-Sicherheitskamera zum Einsatz.

Wichtig ist, dass eine für die Anwendung passende Risikominderungsmaßnahme in einer umfassenden Risikobeurteilung festgelegt wird und die daraus resultierende Risikominderung, aber auch die weiteren Effekte, wie zum Beispiel neue Gefährdungen, berücksichtigt werden. Die Kombination von Schutzeinrichtungen und Maßnahmen wird in der heutigen Entwicklung immer wichtiger, da Interaktionen zwischen Mensch und Maschine sich rasant verändern und auch Maschinen ihre Position zueinander und ggf. auch Ihre Bewegungsabläufe automatisch verändern können.

Tobias Keller: Die gerade angesprochenen rasante Veränderung tritt mittlerweile auch immer deutlicher in den Vordergrund, wenn es um die Absicherung von kollaborierenden Systemen geht, bei denen der Mensch sich in unmittelbarer Nähe zu einer potenziellen Gefährdung aufhält. Die reduzierte Distanz zu einer Arbeitsstation wie beispielsweise einem kollaborierenden Roboter wird nicht nur toleriert, sondern ist darüber hinaus auch zur Erfüllung der Arbeitsaufgaben erforderlich.

Eben diese neuen Arbeitsweisen machen hochsensitive nicht-trennende Schutzeinrichtungen mit Blick auf die Zukunft so wichtig. Betrachtet man die derzeitige Entwicklung der KI basierten Technologien, so werden hier in absehbarer Zukunft sicherlich weitere Fragestellungen aufkommen, deren Beantwortung einen immensen Einfluss auf diesen Bereich der Sicherheitstechnik haben werden.

Berührungslos wirkende Schutzein­richtungen können nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn sie richtig eingestellt bzw. positioniert sind und ihre Funktionsfähigkeit sichergestellt ist. Wie oft und von wem sollten berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen geprüft werden?

Marcel Wöhne
r: BWS müssen von Betreibern vor der ersten Verwendung und anschließend in regelmäßigen Abständen geprüft werden. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und wird in der Technischen Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 1201 konkretisiert. Bei der Prüfung sind wichtige Aspekte zu berücksichtigen, wie die korrekte Montage, mögliche Bauteilschäden, die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen nach längerem Betrieb (Verschleiß) und die Gefährdungsbeurteilung.

Häufig liefert der Hersteller entsprechende Prüfprotokolle für die Erstinspektion der BWS mit, die jedoch noch mit der spezifischen Gefährdungsbeurteilung abgeglichen werden müssen. Die Einhaltung der Prüffristen liegt ebenfalls in der Verantwortung der Betreiber, da es um die Sicherheit der Mitarbeiter geht und Haftungsrisiken vermieden werden sollen.

Zur Durchführung der Prüfungen sollten nach TRBS 1203 befähigte Personen eingesetzt werden, die über das notwendige Know-how und die erforderliche Erfahrung verfügen. Alternativ können auch durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) akkreditierte Dienstleister beauftragt werden.

Gegenwärtig ist auch hinsichtlich der Normen für berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen einiges in Bewegung geraten: Wie sieht es diesbezüglich aus?

Dirk Heeren:
Die revidierte Fassung der EN ISO 13855 steht kurz vor der Veröffentlichung. Im aktuell vorliegenden Entwurf des TC199-WG6 werden einige Änderungen deutlich. Es werden Begrifflichkeiten und Definitionen im Abschnitt 3 angepasst. Neuerungen betreffen z. B. die Verwendung und Positionierung von 2-strahingen Lichtschranken (AOPD). Darüber hinaus werden Anforderung an die Positionierung von Safety-Kameras (VBPD) bzgl. Berechnung des Trennungsabstands in Bezug zum Detektions- und Annäherungswinkel konkretisiert. Außerdem wird für die Berechnung des Trennungsabstands nun die Annäherungsgeschwindigkeit zwischen industriellen und nicht industriellen Applikationen unterschieden.

Tobias Keller: Weiterhin müssen wir damit rechnen, dass die heute als neu geltenden Normen und Regularien schneller als früher wieder als veraltet angesehen werden, da diese bestenfalls den Stand der Technik zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung wiedergeben. Hinzu kommt auch, dass es immer eine Verzögerung zwischen Innovation, Weiterentwicklung, Gesetzgebung und Normung geben wird, die es zwingend erforderlich macht, den aktuellen Stand der Normung im Auge zu behalten.

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