Die neue EU-Maschinenverordnung – worauf es für Unternehmen ankommt
Was regelt die neue EU-Maschinenverordnung 2023/1230? Was sind die wesentlichen Neuerungen und für wen gelten diese? GIT SICHERHEIT klärt auf im Interview mit Dr. Arun Kapoor, Partner der Kanzlei Noerr in München und Co-Leiter der Praxisgruppe Produkthaftung & Produkt Compliance.
Seit dem 19. Juli 2023 ist die neue EU-Maschinenverordnung 2023/1230 in Kraft. Damit einher geht ein umfangreicher Katalog an Pflichten die von Herstellern, Einführern und Händlern von Maschinen und Anlagen zu beachten sind. Wie fast immer bei juristischen Machwerken dieser Art, ist es für Nichtjuristen nicht immer einfach zu verstehen und nachzuvollziehen, welche Neuerungen es gibt, welche Fallstricke existieren oder wer von der Verordnung wie betroffen ist. Um etwas Licht ins juristische Dunkel zu bringen hat GIT SICHERHEIT die fachkundige Expertise von Dr. Arun Kapoor, Partner der Kanzlei Noerr in München und Co-Leiter der Praxisgruppe Produkthaftung & Product Compliance, eingeholt.
GIT SICHERHEIT: Herr Dr. Kapoor, bevor wir in medias res gehen, wäre es interessant etwas über Sie und Ihre Professio zu erfahren. Wie ist Ihre Kanzlei aufgestellt und was sind Ihre persönlichen Tätigkeitsfelder?
Dr. Arun Kapoor: Die Kanzlei Noerr ist eine europäische Wirtschaftskanzlei mit weltweit mehr als 450 Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen. Ich selbst bin Co-Leiter des Bereiches Produkthaftung & Product Compliance mit etwa 15 Beratern. Unser Team gehört damit zu den größten hoch spezialisierten Produkthaftungs-Praxen in Deutschland. Wir beraten Industrie und Handel in allen Bereichen der Produkthaftung, Produktsicherheit und der Product Compliance. Und wir vertreten unsere Mandanten natürlich national und international vor Gerichten und Behörden, wenn sie Probleme mit Lieferanten, Kunden, Wettbewerbern oder Behörden haben. Das können angeordnete Vertriebsverbote und Produktrückrufe, Streitigkeiten mit Kunden und Lieferanten in der Lieferkette oder strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen fehlerhafter Produkte sein.
Dann kommen wir mal zur neuen EU-Maschinenverordnung 2023/1230: Was regelt die Verordnung, was sind die wesentlichen Neuerungen und für wen gelten diese?
Dr. Arun Kapoor: Die neue EU-Maschinenverordnung ist der generelle Rechtsrahmen für den Maschinen- und Anlagenbau in Europa. Sie enthält die staatlichen Minimalanforderungen für das Inverkehrbringen von Maschinen in Europa und löst die EG-Maschinenrichtlinie ab. Dabei bringt sie zahlreiche Neuerungen für die Industrie. Zu den wichtigsten gehören neue Konformitätsbewertungsverfahren für besonders gefährliche Maschinen, erstmals Anforderungen in Bezug auf Cybersicherheit und Künstliche Intelligenz sowie die Möglichkeit, Betriebsanleitung in bestimmten Konstellationen auch digital zur Verfügung zu stellen.
Wer genau gilt denn als Hersteller einer Maschine und was bedeutet das für ein Unternehmen hinsichtlich der Produkthaftung?
Dr. Arun Kapoor: Das ist eine gute Frage, weil Hersteller im Sinne des Produktsicherheitsrechts nicht unbedingt derjenige ist, den man landläufig als Hersteller bezeichnen würde. Im Rechtssinne ist der Hersteller derjenige, unter dessen Namen oder Handelsmarke die Maschine vertrieben wird – unabhängig davon, wer die Maschine tatsächlich hergestellt oder konstruiert hat. Daneben wird aber auch derjenige, der eine Maschine erstmals für den Eigengebrauch in Betrieb nimmt oder der an einer Maschine wesentliche Änderungen vornimmt, als Hersteller eingestuft. Wer Hersteller ist, haftet nicht nur für die Folgen von Unfällen durch sicherheitstechnisch fehlerhafte Maschinen, sondern ist auch gegenüber den Marktüberwachungsbehörden in Europa für die Einhaltung der EU-Maschinenverordnung verantwortlich.
Jetzt steht die neue EU-Maschinenverordnung ja nicht allein da, sondern ist in einen größeren Kontext aus Verordnungen und Richtlinien wie die EU-Produktsicherheitsverordnung oder die EU-Produkthaftungsrichtlinie eingebunden. Welchen Einfluss haben die Richtlinien und Verordnungen in Bezug auf das Risiko der Produkthaftung?
Dr. Arun Kapoor: In der Tat gilt für Maschinen nicht nur die EU-Maschinenverordnung. Die meisten Maschinen fallen gleichzeitig auch in den Anwendungsbereich weiterer Rechtsvorschriften, etwa unter die EMV-Richtline oder unter die RoHS-Richtlinie. Die Anforderungen an die Product Compliance nehmen dabei immer weiter zu. Im Ergebnis führt das zu einer schärferen Produkthaftung für die Hersteller. Wer gegen die Vorgaben verstößt, muss nicht nur mit der Anordnung von Vertriebsverboten und Produktrückrufen durch die Behörden rechnen, sondern haftet eben auch für Schäden, die sich aus Verstößen gegen die Vorgaben der Product Compliance ergeben.
Für die europäischen Akteure im Maschinen- und Anlagenbau ist das nicht unproblematisch. Sie werden nicht nur mit immer zahlreicheren und strengeren staatlichen Minimalvorgaben in Form neuer europäischer Verordnungen und Richtlinien konfrontiert, sondern sie unterliegen künftig auch einem erheblich verschärften Produkthaftungsregime, das der europäische Gesetzgeber voraussichtlich im kommenden Jahr einführen wird. Die Unternehmen müssen deshalb Strukturen aufbauen, um die Product Compliance sicherzustellen und um ihre zunehmenden Haftungsrisiken unternehmerisch zu managen.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Schwächen der neuen EU-Maschinenverordnung? Wo bleibt die Verordnung hinter den Erwartungen oder gegebenenfalls sogar bereits bestehenden Regelungen zurück?
Dr. Arun Kapoor: Zunächst ist es ärgerlich und nicht im Interesse der Anwender, dass der europäische Gesetzgeber ohne jede Not die Anhänge zur EU-Maschinenverordnung im Vergleich zur Vorgängervorschrift umbenannt hat. Die Wirtschaftsakteure müssen also unnötig lange suchen, um die relevanten Vorgaben zu finden.
Inhaltlich halte ich es für eine große Schwäche, dass der europäische Gesetzgeber bei der Einführung digitaler Betriebsanleitungen weit hinter den berechtigten Erwartungen der Industrie zurückgeblieben ist. Die digitale Betriebsanleitung wird künftig zwar grundsätzlich möglich sein, allerdings mit so vielen Ausnahmen, dass die angestrebte Erleichterung viele Wirtschaftsakteure nicht erreichen wird.
Unglücklich ist auch, dass die ursprünglich angestrebte Anpassung an die europäische KI-Verordnung aufgegeben wurde. In Anhang III der Verordnung finden sich deshalb Anforderungen in Bezug auf Künstliche Intelligenz, die mit Blick auf die künftig in Kraft tretende europäische KI-Verordnung sicher wieder angepasst werden müssen.
Andererseits, was sind Ihrer Ansicht nach die Vorteile der EU-Maschinenverordnung?
Dr. Arun Kapoor: Zu begrüßen ist sicherlich, dass die EU-Maschinenverordnung an den New Legislative Framework, also an den aktuellen Stand der Regelungstechnik im europäischen Produktsicherheitsrecht angepasst wurde. Damit werden relevante Begriffe wie „Hersteller“ oder „Inverkehrbringen“ in der EU-Maschinenverordnung nunmehr genauso definiert wie in anderen praxisrelevanten Vorschriften – etwa der EU-Niederspannungsrichtlinie oder EMV-Richtlinie. Das erhöht die Rechtssicherheit für die Wirtschaftsakteure. Ansonsten gilt für die EU-Maschinenverordnung nichts anders als für andere gesetzlichen Neuerungen: Selten bringen Sie für die betroffene Industrie Erleichterungen mit sich.
Ein Punkt, der viele Maschinenhersteller interessiert, ist die Dokumentation. Welche Regelungen sind hier vorgesehen? Was ändert sich?
Dr. Arun Kapoor: Mit dem Begriff „Dokumentation“ ist in erster Linie die Betriebsanleitung gemeint. Hier bringt die neue EU-Maschinenverordnung in der Tat Erleichterungen mit sich, weil sie auf die Beifügung dicker Handbücher in diversen Sprachen verzichten können. Leider ist der Gesetzgeber an dieser Stelle aber halbherzig geblieben. Maschinen, die von Verbrauchern verwendet werden könnten, brauchen auch künftig ein Papierhandbuch. Und auch bei allen anderen Maschinen kann der Käufer binnen eines Monats nach dem Kauf vom Hersteller jederzeit eine Betriebsanleitung in Papierform anfordern. Hier hätte ich mir ein klareres Bekenntnis des europäischen Gesetzgebers zur Digitalisierung gewünscht.
Mit welchen Konsequenzen haben Unternehmen zu rechnen, die gegen die neue EU-Maschinenverordnung 2023/1230 verstoßen?
Dr. Arun Kapoor: Verstöße gegen die EU-Maschinenverordnung kommen Unternehmen teuer zu stehen. Die europäischen Marktüberwachungsbehörden ordnen Vertriebsverbote, Rückruf- und Umrüstungsmaßnahmen an, wenn sie Verstöße feststellen. Geschädigte können den Hersteller auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. Selbst rein formale Verstöße wie falsche EU-Konformitätserklärungen können von den Behörden in Europa mit Bußgeldern gegenüber dem Unternehmen und gegen leitende Mitarbeiter sanktioniert werden. Und in bestimmten Konstellationen sind auch strafrechtliche Konsequenzen gegen einzelne Mitarbeiter denkbar. Die Unternehmer sind also gut beraten, sich mit den Vorgaben der neuen EU-Maschinenverordnung vertraut zu machen und Product Compliance Systeme zu etablieren, damit die sichere Einhaltung der Anforderungen im Unternehmen gewährleistet ist.