Interview mit Wolfgang Benz, Leiter Unternehmenssicherheit der TK
Die Techniker Krankenkasse (TK) mit Sitz in Hamburg ist mit rund 9Millionen Versicherten die größte Krankenkasse Deutschlands. Als gesetzliche Krankenversicherung ist die TK eine K...
Die Techniker Krankenkasse (TK) mit Sitz in Hamburg ist mit rund 9 Millionen Versicherten die größte Krankenkasse Deutschlands. Als gesetzliche Krankenversicherung ist die TK eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Das Haushaltsvolumen der TK beträgt 2014 rund 26 Milliarden €, davon entfallen auf die TK-Pflegeversicherung 3,3 Milliarden € und knapp 1,1 Milliarden € auf die Umlageversicherung Arbeitgeber. Die TK beschäftigt insgesamt 13.062 Mitarbeiter, betreibt 34 Servicezentren zu unterschiedlichen Themen, 15 Landesvertretungen, 253 Geschäftsstellen sowie neun regionale Vertriebszentren. Unser wissenschaftlicher Schriftleiter Heiner Jerofsky sprach mit Wolfgang Benz über seine Aufgaben und Tätigkeitsschwerpunkte bei einer bundesweit tätigen Körperschaft des öffentlichen Rechts.
GIT SICHERHEIT: Sie sind seit vier Jahren für die Unternehmenssicherheit verantwortlich. Welche Ausbildung haben Sie und welche Tätigkeiten haben Sie vorher ausgeübt?
Wolfgang Benz: Ich habe 1984 nach dem Abitur bei der damaligen Fachhochschule für öffentliche Verwaltung meine Ausbildung zum Kriminalbeamten begonnen und 1988 abgeschlossen. Bis zu meinem Wechsel zur TK habe ich an verschiedenen Ermittlungsdienststellen gearbeitet, für gut drei Jahre die fachliche Fortbildung der Kriminalpolizei verantwortet und zum Schluss einen Kriminal- und Ermittlungsdienst eines Polizeikommissariat geleitet. Annähernd 10 Jahre war ich in verschiedenen Funktionen im Mobilen Einsatzkommando tätig. Während dieser Zeit haben sich prägende Einsatzsituation wie die Entführung von Jan Philipp Reemstma, die Erpressungen zum Nachteil von Beiersdorf und Karstadt, also der sogenannte Fall „Dagobert", aber auch die Ereignisse um den 11.09.2001 in Hamburg zugetragen. Nach meinem Wechsel habe ich natürlich TK-interne Fortbildungsmaßnahmen wahrgenommen, aber auch eine Seminarreihe eines renommierten Anbieters für Sicherheitsthemen durchlaufen, die ich dieser Tage mit einer Abschlussarbeit beende.
Können Sie unseren Lesern Ihre Aufgaben und Zuständigkeit bei der TK näher erläutern? Gibt es ein besonderes Ziel, das Sie mit Ihrer Arbeit anstreben?
Wolfgang Benz: Die grundsätzlichen Themen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen, die sie bei Banken und Versicherungen finden. Zu nennen sind Klassiker wie Objektschutz oder Arbeitssicherheit. Eine Besonderheit sind sicher die Aufgaben zur Bekämpfung von Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen, auf die ich später noch näher eingehe. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in Maßnahmen zur Sicherheit unserer Mitarbeiter. Bei zig Millionen telefonischen, elektronischen oder persönlichen Kontakten müssen auch wir feststellen, dass es hin und wieder Kunden gibt, die subjektiv nicht mit uns zufrieden sind. Nicht selten erschwert durch eine emotionale Komponente, kann es, wenn auch sehr selten, zu anspruchsvollen Kontakten kommen, bei denen sich unsere Kolleginnen und Kollegen zum Teil sehr persönlichen Beschimpfungen und Bedrohungen ausgesetzt sehen. Hier ausgewogen zu reagieren und insbesondere geeignete präventive Maßnahmen und Schulungsmaßnahmen zu kreieren und einzuleiten, ist schon eine Aufgabe. Ansonsten gilt es themenübergreifend ein angemessenes Sicherheitsniveau zu schaffen, das die Kernaufgabe der Kasse, nämlich eine zügige und verlässliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten, im Mittelpunkt hält. In diesem Zusammenhang gefällt mir ein Ausspruch des geschätzten Kollegen Sack, ehemals BASF, den ich anlässlich eines Seminars von ihm mitgenommen habe, besonders gut und erstrebenswert: „Security enables business to be done."
Wie muss man sich das Krisenmanagement bzw. das Business Continuity Management bei einer großen Krankenkasse vorstellen?
Wolfgang Benz: Eine große Krankenversicherung ist ein Hochleistungsmotor, der nur funktioniert, wenn die Rädchen optimal ineinandergreifen. Die Mitarbeiter der TK sorgen täglich dafür, dass die Kasse ihren Versicherten mit voller Leistungsfähigkeit zur Seite steht. Die über das Bundesgebiet verteilten Servicezentren sind mit Produktionsstätten zu vergleichen, häufig sind mehrere, teilweise hoch spezialisierte Zentren mit der Versorgung eines Versicherten beschäftigt. Wir haben uns, angelehnt an den BSI Standard 100-4, den Prozessen genähert, priorisiert und arbeiten derzeit Notfallpläne aus, um den möglichen Ausfällen von Standorten, Personal, Dienstleistern oder der IT angemessen entgegnen zu können. Die Gestaltung des Krisenmanagements, das sich in seinen Abläufen nicht wesentlich von anderen Unternehmen unterscheidet, rundet diesen Themenkomplex ab.
Sie sind auch zuständig für den Objektschutz an allen Standorten der TK. Gibt es bestimmte Standards für technische und personelle
Schutzmaßnahmen gegen Vandalismus oder Einbruch?
Wolfgang Benz: Einbrüche und Vandalismus sind die absolute Ausnahme. Mittelfristig streben wir ein einheitliches Sicherheitsmanagement für unsere Standorte ein. Derzeit erarbeiten wir eine Matrix, die uns eine Gebäudebewertung ermöglicht, um jeweils angemessen „schützen" zu können. Dabei ist mir die enge Zusammenarbeit mit unserem Immobilienmanagement und der Einkaufsabteilung auf der einen, mit dem Nutzer des Objektes auf der anderen Seite besonders wichtig. Am Ende des Tages muss es den verschiedenen Anforderungen gerecht werden, dabei sind Kompromisse nötig.
Was unternehmen Sie zum Schutz von Sozialversicherungsdaten?
Wolfgang Benz: Der verantwortungsvolle Umgang mit Sozialversicherungsdaten ist eine unserer größten Verpflichtungen, der wir mit verschiedenen Aktivitäten begegnen. Eine ausgesprochen penible Auslegung der rechtlichen Vorschriften, eine leistungsfähige IT-Sicherheit, sowie Schulungen und Awareness-Programme sind Standard. Ergänzende bauliche und organisatorische Maßnahme gewährleisten, dass die Daten bei uns in allerbesten Händen sind.
Welche Bedeutung haben technische Einrichtungen wie Überfall- und Einbruchmeldeanlagen, Videoüberwachung und Zutrittskontrollen für die Sicherheit in Ihren Häusern?
Wolfgang Benz: Der Einsatz von technischen Einrichtungen ist teilweise rechtlich vorgeschrieben, vereinzelt streben wir aus vorgenannten Gründen ein höheres Niveau an. Wir sind kein chemischer Produktionsbetrieb oder Betreiber von Kraftwerken, bei uns findet vornehmlich Bürotätigkeit statt. Die Frage nach der Notwendigkeit stellt sich dabei, auch aus wirtschaftlichen Gründen, immer wieder. Mir hilft der Grundsatz „So viel wie nötig, so wenig wie möglich" ganz gut über die Runden. Bei der Videoüberwachung sind wir auch aus Gründen des Datenschutzes äußerst zurückhaltend. Ein Einsatz findet grundsätzlich nur zur Außenhautsicherung statt.
Unternehmenssicherheit wird auch über die richtige Einstellung der Mitarbeiter erreicht. Was tun Sie zur Unterweisung Ihres Personals in Sicherheitsbelangen sowie beim Brand- und Arbeitsschutz?
Wolfgang Benz: Sie wird mittelfristig erfolgreich nur durch die richtige Einstellung der Mitarbeiter. Sicherheit fängt im Kopf an, den muss man erreichen. Ich halte überhaupt nichts vom Spiel mit der Angst, ich versuche zu überzeugen. Meine Mitarbeiter und ich setzen viel auf „vorleben". Lernprogramme, Policies und andere Regelwerke zu schreiben, ist das eine, sie zu leben und bei Bedarf sogar zu kontrollieren, das andere. Dabei tausche ich mich gern mit Kollegen aus anderen Unternehmungen aus und bin beeindruckt und begeistert, wie kreativ man mit diesen Themen umgehen kann.
Sie sind fachlicher Leiter des Masterstudienganges „criminal investigation" (Kriminalistik) an der School of Criminal Investigation & Forensic Science (School CIFoS) der Steinbeis-Hochschule in Berlin. Wie kam es zu diesem Studiengang?
Wolfgang Benz: Der Studiengang basiert maßgeblich auf der Vorarbeit der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK) und der School CIFoS an der Steinbeis-Hochschule Berlin, die von Birgit Galley geleitet wird. Frau Galley ist Betriebswirtin mit langjähriger Erfahrung in Wirtschaftskriminalitätsermittlungen. Seit über 10 Jahren verantwortet sie u. a. die Themen Compliance und Wirtschaftskriminalität als MBA-Studiengang an der Steinbeis-Hochschule, sodass die Gespräche mit der DGfK zu Kriminalistik vor ein paar Jahren schnell Substanz bekamen. Die fachliche Leitung habe ich für dieses Vorhaben gern übernommen. Nachdem die fachlichen Anforderungen an einen derartigen Studiengang beschrieben worden sind, wurden sie mit den Anforderungen verschiedener Vertreter der Sicherheitsbranche aus Behörden, Ämtern und der Wirtschaft harmonisiert. Daraus ist dann ein nebenberuflicher Masterstudiengang mit 80 Präsenztagen geworden. Die Schwerpunkte liegen in den Bereichen allgemeiner und spezialisierter Kriminalistik, Recht, Projektmanagement und Organisation, Kommunikation und Führung, Internationale Zusammenarbeit, Kriminologie und Kriminaltaktik.
Gibt es dabei Zusammenarbeit mit anderen Stellen/Behörden und wann erhalten die ersten Absolventen ihre Urkunden zum Master of Arts Criminal Investigation?
Wolfgang Benz: Ja, unter dem Leitsatz „Gutes aus den Welten" ist es uns gelungen, eine bemerkenswerte Mischung engagierter Referenten aus Polizei, Wirtschaft und Wissenschaft zu gewinnen. Die heterogenen Lebensläufe unsere Studierenden, die sich aus verschiedenen Unternehmen, aus Polizisten, aber auch z. B. aus Strafverteidigern ergeben, sind spannend und herausfordernd zugleich - für alle! Flankierend haben wir zudem auch erste Veröffentlichungen hervorgebracht und mittlerweile zwei viel beachtete Kriminalistik-Fachtagungen durchgeführt. Dabei durften wir nicht nur Referenten nennenswerter Unternehmen begrüßen, auch das BKA hat uns fachlich stark unterstützt. Die Tatsache, dass Vizepräsident Peter Henzler die Key-Note gesprochen hat, hat uns schon etwas stolz gemacht.
Wann erhalten die ersten Absolventen ihre Urkunden zum Master of Arts Criminal Investigation?
Wolfgang Benz: Jetzt im November. Die Studenten erhalten im festlichen Rahmen und mit einer schönen Feier ihrer Graduierungsurkunden. Das ist auch für uns ein Meilenstein bei diesem noch jungen Projekt.
Sie leiten auch die Ermittlungseinheit zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen gem. § 197 a Sozialgesetzbuch V. Buch. Können Sie unseren Lesern einen kurzen Einblick in diese Tätigkeit geben? Gibt es Schätzungen über Schadenssummen?
Wolfgang Benz: Die Aufgabe ist komplex, wir arbeiten mit drei Schwerpunkten. Im Tagesgeschäft gilt es, eingehende Hinweise auf Fehlverhalten im Gesundheitswesen effektiv und effizient zu bearbeiten. Dabei streben wir eine gute, gern auch kassenartübergreifende Zusammenarbeit mit unseren Wettbewerbern an und arbeiten im Zweifelsfall eng mit Polizei und Staatsanwaltschaft zusammen. Die Kooperationen mit den anderen Kassen sind in den Bundesländern verschieden und reichen von losen Zusammenschlüssen bis zu schriftlichen Vereinbarungen. Ähnlich verhält es sich mit den Behörden. In einigen Bundesländern ist man dem Wunsch nach spezialisierten Schwerpunktstaatsanwaltschaften nachgekommen, in anderen Ländern haben wir noch ein Stück Überzeugungsarbeit vor uns. Weitere Schwerpunkte liegen beim Versuch der systematischen, zielgerichteten Identifizierung von Abrechnungsbetrug sowie der Prävention. An Schätzungen zu Schadenssummen beteilige ich mich nicht. Festzustellen ist, dass die überragende Masse unser Leistungserbringer ordentlich und fair abrechnet. Das ist Grundvoraussetzung für ein schnelles und leistungsfähiges System. Natürlich gibt es in allen Berufsgruppen immer wieder Einzelne, die einen Weg suchen und finden, um sich am System, wohlgemerkt an einer Solidaritätsgemeinschaft, zu Unrecht zu bereichern. Das Spektrum reicht von Luftverordnungen bis zum Einsatz und zur Abrechnung von nicht zugelassenen Medikamenten. Auch in diesem Umfeld bildet sich, wie bei der „richtigen" Kriminalität ein Spiegel der Gesellschaft mit all seiner kriminellen Energie und Kreativität ab. Im Grunde arbeitet die Einheit ähnlich wie eine klassische Ermittlungsdienststelle, sie ist interdisziplinär mit Fachleuten aus dem Sozialversicherungswesen, aber auch Juristen, Datenanalysten und einem weiteren ehemaligen Polizisten besetzt.
Sie sind Mitglied im Arbeitskreis Wirtschaftsschutz der Handelskammer Hamburg. Wo liegen die Schwerpunkte dieses Arbeitskreises?
Wolfgang Benz: Der ehrenamtliche Kreis setzt sich aus einer Reihe von Vertretern der Hamburger Wirtschaft zusammen. Neben dem inhaltlich fachlichen Austausch steht die Kommunikation mit relevanten Vertretern aus der Politik, sowie den Ämtern und Behörden im Mittelpunkt. Es ist wichtig, dass die Unternehmen, Politik, Ämter und Behörden auch im Bereich Wirtschaftsschutz gemeinsam an einem Strang ziehen, dazu gehört u. a. Verständnis für die Standpunkte des anderen. Zudem schätze ich ganz besonders die urhanseatische Atmosphäre in den Räumen der ältesten deutschen Handelskammer.
Wie regeneriert sich ein Sicherheitschef einer Krankenkasse in seiner Freizeit?
Wolfgang Benz: Ziemlich unspektakulär. Hamburgs Süden und das angrenzende Niedersachsen bieten reichlich Platz zum Radfahren über Straße, Stock und Stein. Ab und an darf es auch mal ein kurzer Lauf mit einem Vierbeiner durch dieses Gebiet sein. Die meiste Abwechslung finde ich allerdings am Herd, dazu ein vernünftiger Wein und etwas Musik - mehr geht fast nicht ... jetzt müsste nur noch mein HSV mal wieder gewinnen!
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch, besonders interessant sind die Ermittlungen, das Sicherheitsmanagement und die Tätigkeit an der Steinbeis-Hochschule.