Merck: Ohne Sicherheitskonzept keine Investition

Vor etwa einem Jahr fand die virtuelle Wiley GIT Panel Discussion „Sicherheit in der Chemie“ statt. Themen waren etwa der Fachkräftemangel, die Digitalisierung – aber auch etwa gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, zu denen das verstärkte Aufkommen von Verschwörungstheoretikern aber auch Islamisten zählen.

GIT SICHERHEIT geht diesen und anderen Fragen, die die Sicherheitsverantwortlichen an Standorten der chemischen Industrie derzeit beschäftigen, auch künftig weiter nach. Zu aktuellen Themen bei Merck sprach Matthias Erler von GIT SICHERHEIT mit Dr. Peter Schäfer und Bernd Saßmannshausen von der Abteilung Feuerschutz und Sicherheit bei Merck in Darmstadt.

Herausforderung Fachkräftemangel
Das erste Mal seit Jahren hat Merck wieder Auszubildende als Fachkraft für Schutz- und Sicherheit aufgenommen. Damit will das Unternehmen sukzessive das auch demografisch verursachte Fachkräfteproblem lösen, so Dr. Peter Schäfer. Dem sei eine Phase vorangegangen, in der eher die Optimierung und im Zweifel der Rückgriff auf das AÜG im Vordergrund gestanden habe. Auch bei Merck stellt man die häufig beobachtete Rückläufigkeit der Allgemeinbildung der Berufseinsteiger fest. Gerade im Feuerwehrberuf, den man bei Merck u. a. erlernen kann, ließe aber zunehmend auch die körperliche Verfassung und Fitness der neuen Azubis häufiger als früher zu wünschen übrig. Ausdauer und Koordination seien aber erforderlich: Feuerwehrleute seien schließlich Allrounder, die gut schwimmen, laufen, Lasten tragen könnten und an der Einsatzstelle möglichst beweglich sein müssten. Man müsse schon mal „in den dritten Stock rennen und einen 90-Kilo-Mann aus dem Gebäude retten und ans Limit gehen können“, bringt Bernd Saßmannshausen es auf den Punkt. Die jungen Frauen und Männer – die beispielsweise auch ein Rettungsschwimmerabzeichen brauchen – seien aber hochengagiert. Ihnen biete man bei Merck reichlich Möglichkeiten des Aufstiegs, beispielsweise durch berufsbegleitendes Studium.

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Digitalisierung
Wie in anderen Unternehmen auch, stellt die Digitalisierung von Prozessen auch bei Merck eine alle Bereiche betreffende ständige Aufgabenstellung dar. Ein eigenes qualifiziertes IT-Team für Security und Feuerwehr betreut bei Merck ein eigenes kleines Netz, das per Firewall nach außen abgeschottet wird. Die Systeme müssen zu hundert Prozent laufen bei höchsten Anforderungen an die Verfügbarkeit. Unternehmenskritische Funktionen müssen jederzeit berücksichtig werden. Im Vergleich zur Konzern-IT insgesamt können man sich nicht auf Outsourcing von Verantwortlichkeiten verlassen, so Dr. Schäfer. Das liege daran, dass man es im Bereich Sicherheit nicht mit Standard- sondern weitestgehend mit vergleichsweise exotischer Spezialsoftware zu tun habe – etwa im Brandschutz oder bei Einsatzleitsystemen. Zwar greife man auch auf Herstellersupport zurück, aber man könne sehr viel auch selbst. Das sei auch nötig, denn für das Erkennen und die Beseitigung von Fehlern müssten Fachleute und Support auf Augenhöhe miteinander sprechen können.

Digitalisierung betreffe aber auch die Abrechnung von Leistungen, deren Dokumentation sowie die generelle Auftragsbearbeitung etwa per Tablet. Das führe in allen Bereichen zu erheblichen Arbeitserleichterungen, betont Bernd Saßmannshausen. Digitalisierung heiße auch schneller und effizienter Austausch von Informationen. Die intensive Vernetzung im Unternehmen ermögliche die Nutzung von Daten und Informationen, die ohnehin bereits vorhanden sind. Diese Daten und Pläne stehen somit auch bei Feuerwehr- und Securityeinsätzen, immer aktuell, zur Verfügung. Dabei könne man, ergänzt Dr. Schäfer, heute auf überall vorhandene Bordmittel wie etwa Teams-Konferenzen zurückgreifen. Bilder ließen sich heute von überall her sofort zur Leitstelle übertragen – per Handy und normaler W-Lan-Verbindung – was früher nur durch umständliche Vorbereitungen möglich gewesen sei.   

Corona und die Folgen
Die Pandemie habe, so Peter Schäfer, insgesamt ein Schlaglicht darauf geworfen, dass ein Standort grundsätzlich immer an seiner Krisenfestigkeit arbeiten muss. Davon sei heute auch die Unternehmensleitung mehr denn je überzeugt. Nicht nur auf etwaige neue Pandemien, sondern auch Starkregenereignisse wie z. B. im Aartal, oder ähnliches müsse man vorbereitet sein. Während der Corona-Pandemie habe man sehr viel ad hoc gelernt. Zwar stecke die Gefahrenabwehr von Natur aus im Denken eines Feuerwehrmanns, aber in aller Regel beschäftige einen ein Problem höchstens einen Tag lang, keinesfalls aber ein Jahr und länger.

Am Standort Darmstadt wurden zur Bewältigung der Pandemie mehrerer Task-Forces eingerichtet. Eine Lehre der Covid19-Zeit sei es, dass man solche Task Forces frühzeitig installieren müsse. Und man müsse gleich bedenken, dass die Leitung einer solchen Task Force ein Full-time-Job sei. Man müsse ständig vernetzt sein mit anderen Stellen, nachhalten, kommunizieren – ggf. auch in globalem Maßstab. Auch arbeitsrechtliche Fragen – etwa die Frage nach kurzfristigem Homeoffice – sei in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung immer zu klären.

Bei Merck, betont Bernd Saßmannshausen, legen die Corona-Taskforces teils strengeren Regeln fest, als es der Gesetzgeber vorschreibe. Das betreffe beispielsweise Fragen der Rückkehr nach einer Infektion, Verdachtsfällen, etc. Auch zum Eigenschutz habe man insbesondere für kritische Bereiche sehr viel getan. Ein konkretes Beispiel sei die Funktionsfähigkeit der eigenen Kläranlage. Diese abschalten zu müssen, sei ein Horrorszenario, so Dr. Schäfer. Mitarbeiter im Bürobereich  könnten zwar Home-Office machen – das gelte aber nicht für Security, Feuerwehr, Werkstätten für die Wartung von Anlagen und bei der Energieversorgung. Hier komme es auf Anwesenheit an. Die Bemühungen waren erfolgreich – man habe sehr viel dafür getan, immer ausreichend Personal für diese Bereiche gehabt zu haben.

Bereits am Anfang der Pandemie habe man erkannt, dass man sich nicht abschotten könne – z. B. habe man Fachkräfte aus dem als Hochrisikoland eingestuften Österreich mit gesondertem Sicherheitskonzept an Anlagen arbeiten lassen, ansonsten habe ein Stillstand gedroht. Man habe auch sehr früh Schutzkleidung und FFP2-Masken beschafft, da diese Dinge auch für reguläre Produktionsprozesse in größerer Menge benötigt werden.

Für die Security am Eingangstor sorgte man schnell für effiziente Abläufe – so wurden Besucher begleitet, LKW-Fahrer aus Hochrisikogebieten mussten von Anfang bis Ende in ihrem Führerhaus bleiben. Scheinbare Kleinigkeiten waren, so Peter Schäfer, oft besonderes herausfordernd. Für Security-Mitarbeiter konnte es eine starke Belastung sein, zu entscheiden, ob man einen Fremdfirmenmitarbeiter nun hereinlassen könne oder nicht: Es könne ja um eine besonders wichtige Reparatur gehen – andererseits ist der Infektionsschutz zu beachten. Hierfür hat man bei Merck bereits in den ersten Wochen Standards formuliert.

Man habe auch ein eigenes Testcenter aufgebaut, Temperaturmessungen am Eingang habe man aber beispielsweise nicht durchgeführt, berichtet Bernd Saßmannshausen. Dafür sei die Aussagekraft dieser Technik nicht hoch genug und man habe ggf. nur vermeintliche Sicherheit: So könne ein Wartender in der Sonne gestanden haben, mit der Folge, dass das Thermometer fälschlich Fieber anzeigt.

Aktuelle Sicherheitsprojekte
Merck blickt im auf einige strukturelle Neuerungen zurück, die den Stellenwert der Sicherheit innerhalb der letzten zwei Jahre verbessert haben. Heute, berichten Dr. Peter Schäfer und Bernd Saßmannshausen, seien die Aspekte Brandschutz und Security als fester Bestandteil jedes Investitionsantrages der bei Merck gestellt werde verankert. In den Entscheidungsprozessen wird gefragt, was bei einem Projekt hinsichtlich Brandschutzes und Security zu berücksichtigen sei. Ohne ihr Häkchen gehe der Genehmigungsprozess nicht weiter. Ein typisches Beispiel dafür ist die Genehmigung eines Neubaus im Forschungsbereich. Hier wird von Anfang an auf Basis einer Risikobewertung ein Security-Konzept erstellt und umgesetzt. Die Risikobewertung haben Darmstädter Kollegen der Security gemeinsam mit Kollegen der internationalen Standorte des Konzerns ein Schema entwickelt, das nun weltweit im Konzern angewendet wird. Für den Brandschutz wird aktuell ein entsprechendes Bewertungsschema entwickelt. Business Continuity ist ein wesentlicher Faktor, der dabei zu beachten ist – auch deshalb gehen die Brandschutz- und Security-Konzepte oft über das gesetzlich Geforderte hinaus. Der Schutz von Forschungsergebnissen, die unter Umständen auf jahrelanger Arbeit beruhen, hat naturgemäß einen sehr hohen unternehmerischen Stellenwert.  

Im Brandschutz gab es bei Merck ein weiteres größeres Projekt – und zwar bezüglich der Brandmeldeanlagen. Diese wurden technisch vollständig erneuert und digitalisiert. Dieses Projekt, berichten Schäfer und Saßmannshausen, habe man zum Anlass genommen, alle beteiligten Prozesse zu verschlanken und zu optimieren. Alles Bisherige habe man dabei in Frage gestellt, so dass Entscheidungen heute schneller fallen, und durch Fehlerminimierung auch einen höheres Sicherheitslevel erreicht wurde. Die früher übliche händische Eintragung von Daten in eine Excel-Tabelle mit den dabei unvermeidlichen Schreibfehlern und Zahlendrehern wurde durch vollständig digitale Prozesse abgelöst im Rahmen eines Six-Sigma-Prozesses (Black-Belt). Dadurch sei man nun nahe an einer 100 %-Lösung.  

Man habe vor allem erkannt, dass eine gute Beschreibung der Prozesse zunehmend wichtig werde, bringt es Dr. Schäfer auf den Punkt. Was analog, also etwa mit Papier und Bleistift, schon nicht funktioniere, geht dann nicht deshalb besser, weil man digitalisiert. Umgekehrt könne man aber alles was analog gut funktioniere auch digitalisieren. Der Prozess muss jeweils klappen, Eventualitäten müssen abgebildet sein – und die Programmierer übernehmen dann die digitale Umwandlung.

Der spätere Nutzer müsse dabei von Anfang an beteiligt sein. Es nutze schließlich nichts, wenn ein Raum zwar geschützt sei, der Gabelstapler aber nicht mehr reinkommt. Die Security-Maßnahmen ermöglichen stattdessen auch starken Warenverkehr und sind so eingerichtet, dass der Gabelstaplerfahrer nicht ständig absteigen muss. Ein anderes Beispiel ist die Brandschutztür die immer aufgehalten wird, weil die Nutzer ständig rein und raus müssen. Lösungen müssen sich eben immer an den Prozess anpassen.

Für all das gebe es am Markt zwar sehr viele Standardlösungen – aber auf dem Merck-Campus gebe es einfach so viele verschiedene Anforderungen von Büros, Forschungseinrichtungen, erforderlichem Explosionsschutz, etc, dass Standardprodukte oft nicht weiterhülfen. Ähnliches gelte für Schlüsseldepots am Tor und in den Werkstätten. Die Einbruchmeldeanlage können nur wenige Leute im Unternehmen abschalten. Im Merck Innovation Center gingen aber ständig andere Leute ein und aus – aber auch wenn die Anlage ab einer gewissen Uhrzeit an der Werkgrenze scharf geschaltet sei, könne man jederzeit ohne Alarm von innen herausgehen. Die Bewegungsmelder zur Lokalisierung werden nur dann aktiviert, wenn jemand von außen nach innen gehe.

Eine der jüngsten Entwicklungen berücksichtigt den Umstand, dass Mitarbeiter wegen der Zeitverschiebung hin und wieder auch nachts ins Büro müssten, um etwa mit Asien oder den USA konferieren zu können, erläutert Bernd Saßmannshausen. Für technische Abstimmungen etwa müsse dies temporär möglich sein. Die Alarm- und Sicherheitseinrichtungen seien auf diese Anforderungen der betreffenden Nutzer adaptiert worden.

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Umwelt und Emissionsschutz
Die Abteilung Sicherheit und Feuerschutz bei Merck befasst sich teils auch mit umweltrelevanten Themen – in eigener Sache und in der Rolle des internen Dienstleisters. Derzeit wird beispielsweise von einer anderen eine vierte Reinigungsstufe in der Kläranlage gebaut – dabei geht es um Spurenstoffe im Abwasser, deshalb sei die Abteilung Sicherheit und Feuerschutz mittelbar betroffen: So wurde früher wie u. a. auch von vielen Flughäfen das Allrounder-Löschmittel AFFF (Aqueous Film Forming Foam) verwendet. Dies wird jetzt sukzessive verboten innerhalb bestimmter Fristen. Alternativen, die keine schädlichen Spurenstoffe hinterlassen, werden derzeit getestet.

In der Chemieindustrie könne man aber nicht jedes beliebige Löschmittel verwenden. Das liegt daran, dass Chemikalien z. B. Löschschäume zerstören könnten. Man brauche aber gerade hier Löschschäume die auch sehr schnell wirkten – so müsse man zum Beispiel in der Lage sein, in Minutenfrist ein Tanklager zu beschäumen. Man arbeite zu diesen Themen auch auf Verbandsebene mit anderen Unternehmen zusammen – und begleitet die Forschung etwa durch die Förderung von Studienabsolventen an Universitäten.

Insgesamt hat Merck sich das Ziel gesetzt, unternehmensweit bis 2040 klimaneutral zu sein Die Abteilung Feuerschutz und Sicherheit ist wie alle anderen Konzernteile an der Verwirklichung dieses Ziels beteiligt. Dazu gehören Projekte wie die Umstellung auf Elektrofahrzeuge, die Erneuerung der Klimatisierung von Gebäuden sowie die Energieversorgung der Gebäude. Auch die Auswahl der verwendeten Rohstoffe und Produkte – entlang der gesamten Lieferkette – wird überprüft. Auch entsprechende Zertifizierungen werden angestrebt.

Unter den Vorzeichen des Klimaschutzes wurde auch der Science- und Technologie-Park in Gernsheim zu einem Green-Tech-Park umgewandelt. Es gehe überall darum, die Technik weiterzuentwickeln – im Sinne einer besseren Zukunft.

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