Polizeiliche Kriminalstatistik 2020

Kriminalität ist eine der vier dauerhaften Bedrohungen der Unternehmens­sicherheit – neben menschlichen Fehlern, ­Gefährdungen durch Produkte, Maschinen und Anlagen ­sowie durch Brand- und Naturkatastrophen.

Auf Grundlage der von den 16 Landeskriminalämtern zusammengetragenen Daten erstellt das Bundeskriminalamt jährlich die Polizeiliche Kriminal­statistik (PKS). Sie enthält einen wesentlichen Teil der der Polizei bekanntgewordenen vollendeten und versuchten Straftaten im Jahresverlauf. Min. Dir. a.D. Reinhard Rupprecht über die Ergebnisse der PKS 2020 und daraus abzuleitende Empfehlungen für Unternehmen.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ist ein unverzichtbarer Gradmesser der Gefährdung von Unternehmenssicherheit. Das gilt trotz erheblicher Einschränkungen ihrer Aussagekraft: Sie misst nur die bekannt gewordenen und ermittelten Verdachtsfälle, lässt also das je nach Delikts­art unterschiedlich große Dunkelfeld außer Acht. Die PKS registriert zudem Verdachtsfälle im Zeitpunkt des Ermittlungsübergangs von der Polizei zur Staatsanwaltschaft, liegt also vor dem justiziellen Ausfilterungsprozess von Einstellungen und Freisprüchen. Die PKS knüpft zudem an gesetzliche Tatbestände an, nicht an kriminologische und kriminalistische Phänomene. Schließlich misst sie in der Vergangenheit liegende Verdachtsfälle und Schadensereignisse.

Dennoch hat die Polizeiliche Kriminalstatistik gegenüber Opferbefragungen den Vorteil objektiver Aussagekraft – und sie ermöglicht langfristige Entwicklungsbeobachtungen mit Trendschätzungen. So ist sie für den Sicherheitsverantwortlichen im Unternehmen eine sinnvolle Entscheidungsgrundlage für zweckmäßige, zielgerichtete, angemessene Sicherheitsvorkehrungen im Rahmen der Risikoanalyse und der Erarbeitung und periodischen Überprüfung der Sicherheitskonzeption.

Ergebnisse der PKS 2020
Am 13. April hat der Bundesinnenminister erste Ergebnisse der PKS 2020 veröffentlicht. Sie zeigen ein insgesamt verhältnismäßig erfreuliches Bild. Vor allem hat der Lockdown auch kriminelle Aktionen eingeschränkt. Die gemessene Gesamtkriminalität hat sowohl gegenüber dem Vorjahr (um 2,3 %) wie im 10- und 20-Jahre-Rückblick auf derzeit 5.310.000 Verdachtsfälle abgenommen. Gleichwohl bedeutet das, dass auch im Jahr 2020 in jeder Sekunde durchschnittlich fast zwei Verdachtsfälle ermittelt wurden.

Diebstahlskriminalität
Die Diebstahlskriminalität ist gegenüber 2019 um 7,7 % zurückgegangen, im Verhältnis zum Jahr 2000 sogar um 15 %. Der die Unternehmenssicherheit unmittelbar belastende Diebstahl aus Fabrikations-, Lager- und Büroräumen hat sich gegenüber dem Vorjahr um 13,7 %, gegenüber dem Jahr 2000 sogar um über 55 % auf 80.503 Fälle vermindert. Auch der Ladendiebstahl ist rückläufig: um 6,7 % auf 304.000 Fälle. Allerdings ist hier einerseits das Dunkelfeld unbestimmt groß und andererseits ein hoher Rückgang aufgrund des Lockdowns zu berücksichtigen. Gleichwohl wurden 2020 in jeder Stunde durchschnittlich etwa 35 Ladendiebstähle und fast 10 Diebstähle aus dem Unternehmens- und Betriebsbereich ermittelt. Zur Sorglosigkeit besteht also kein Anlass.

Gewaltkriminalität
Die Raubkriminalität ist seit Jahren rückläufig, 2020 im Vergleich zum Jahr 2000 um fast 50 %, gegenüber 2019 um 6 % auf 33.872 Verdachtsfälle. Das sind aber immer noch in jeder Stunde fast vier Raubüberfälle. Ein vor allem die Bankenbranche belastendes Phänomen ist die Sprengung von Geldautomaten. 2019 wurden 349 Sprengangriffe – mit Sprengfeststoff oder Gasgemisch – ermittelt, bis zum 16. Dezember waren es im Jahr 2020 sogar 390. Dabei waren Geldautomaten in Nordrhein-Westfalen weitaus am stärksten betroffen (174), vor allem durch Tätergruppen mit marokkanischem Migrationshintergrund aus dem Raum Amsterdam/Utrecht. Bis Mitte Dezember 2020 wurden in Niedersachsen 45 Geldautomaten gesprengt, in Baden-Württemberg 41 und in Rheinland-Pfalz 34. Und die Angriffe setzen sich 2021 fort. Bis zum 9. April kam es in Hessen zu 16 Sprengungen, in Baden-Württemberg zu 7, in Nordrhein-Westfalen zu 6 und in Rheinland-Pfalz zu 4, insgesamt zu 46 Sprengungen.

Vermögens- und Wirtschaftskriminalität
Anders als in der Diebstahlskriminalität haben Deliktsarten der Vermögenskriminalität 2020 eher zugenommen. Zwar ging der Betrug insgesamt um 3 % auf 808.000 Fälle zurück, der Tankbetrug sogar um 14,6 % auf 60.230 Verdachtsfälle – ein Resultat vor allem verstärkter Videoüberwachung. Aber der Warenbetrug (insbesondere im Online-Handel) stieg um 11,5 % an, der Betrug mit rechtswidrig erlangten Zahlungsmitteln um 9,6 % auf fast 65.000 und der Subventionsbetrug als Folge der Missbrauchsmöglichkeiten bei der Inanspruchnahme der vielfältigen staatlichen Finanzhilfen von 318 auf 7.585 Ermittlungsfälle.

Die Wirtschaftskriminalität im engeren Sinne, die wegen des Anteils umfangreicher Ermittlungsverfahren von Jahr zu Jahr stark schwankt, wuchs um 21,5 % auf fast 50.000 Fälle. Gegenüber 2010 bedeutete dies dennoch einen Rückgang um mehr als 50 %. Besonders stark im Vergleich zum Vorjahr stieg auch die Zahl der strafbaren Verstöße gegen das Urheberrecht (um 17,1 %) auf 9.285 und der Delikte des Umwelt- und Verbraucherschutzrechts (um 27,9 %) auf 40.192. Beide Kriminalitätsbereiche lagen damit auch weit über den Zahlen der Jahre 2000 (5.757 Urheberrechtsverletzungen und 34.415 Umweltrechtsverstöße) und 2010.

Cyberkriminalität
Der tendenzielle Anstieg von Cyberattacken in den letzten zwei Jahrzehnten kommt auch in der PKS 2020 zum Ausdruck. Dabei ist hier das Dunkelfeld nicht erkannter oder nicht verfolgter Angriffe besonders hoch. Die registrierte Computerkriminalität wuchs seit 2000 bis 2020 um über 130 % auf 130.611 ermittelte Fälle an, die Computersabotage sogar um 245 % von 513 auf 1.770 Verdachtsfälle. Die Zahl der ermittelten Datenausspähungen betrug 10.763 (ein Plus von 8,4 % gegenüber 2019), die des Computerbetrugs 16.266 Fälle (ein Anstieg um 4,2 % im Vergleich zum Vorjahr).

Risikoanalyse und Präventionsstrategie
Für die Unternehmen und ihre Sicherheitsverantwortlichen sollten die Ergebnisse der PKS 2020 Anlass sein, ihre Risikoanalysen und Sicherheitskonzeptionen zu überprüfen und eventuell der je nach Deliktsart, Branche und Region unterschiedlichen Bedrohung anzupassen. So wird die Zahl der Ladendiebstähle mit den zu erwartenden Lockerungen im Lockdown wieder zunehmen und Anlass geben, die installierte Sicherheitstechnik zu überprüfen.

Das EHI Retail-Institute berichtet übrigens, dass die Self Checkout-Lösungen nach Feststellung von 83 % der befragten Unternehmen keine erhöhten Inventurdifferenzen aufweisen, weil Gewichtskontrollen und Kameraüberwachungen in Verbindung mit Ausgangsgates das verhindern. Die deutliche Zunahme der Sprengung von Geldautomaten sollten die Betreiber veranlassen, angemessene organisatorische, bauliche und technische Schutzmaßnahmen entsprechend den VdS-Richtlinien 5052, die derzeit überarbeitet werden, zu ergreifen.

Um die vielfältigen Angriffsmöglichkeiten in den Bereichen der Vermögens- und Wirtschaftskriminalität abzuwehren, bedarf es einer gründlichen Überprüfung aller organisatorischen und technischen Sicherheitsmaßnahmen und aller möglichen Schwachstellen im Sicherheitssystem einschließlich der Sensibilisierung der Mitarbeiter.

Ein besonders starker und dringlicher Anstoß zur Überprüfung der Schwachstellen des IT- und Kommunikationssystems im Unternehmen geht von der von Jahr zu Jahr ansteigenden und 2020 nochmals um 6,2 % angewachsenen Computerkriminalität in allen ihren immer professioneller werdenden Angriffsvarianten aus. Hier fehlt es insbesondere den kleineren Unternehmen an Gefährdungs- und Sicherheitsbewusstsein, an personellen und finanziellen Ressourcen. Aber Wirtschaftsfachverbände wie Bitkom oder Initiativen wie die Allianz für Cybersicherheit unter Führung des BSI, spezialisierte IT-Sicherheitsdienstleister ebenso wie Fachstellen der Landeskriminalämter und das BSI bieten Beratung und Unterstützung an. Diese Angebote sollten die Sicherheitsverantwortlichen der Unternehmen viel mehr als bisher nutzen.

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