Produkthaftung und Produkt-Rückrufe: Prof. Dr. Thomas Klindt, Rechtsanwalt bei Nörr Stiefenhofer Lutz, im Interview

Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein aufmerksamer Blick in die Tagespresse das Augenmerk auf einen neuerlichen Produkt-Rückruf eines - oft namhaften - Herstellers lenken wü...

Prof. Dr. Thomas Klindt, Rechtsanwalt bei Nörr Stiefenhofer Lutz
Prof. Dr. Thomas Klindt, Rechtsanwalt bei Nörr Stiefenhofer Lutz

Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein aufmerksamer Blick in die Tagespresse das Augenmerk auf einen neuerlichen Produkt-Rückruf eines - oft namhaften - Herstellers lenken würde. Ob Spielzeug, Haushaltsgeräte, Gartenmaschinen, Brandschutzmelder, Fieberthermometer oder elektrische Fernsehsessel - das breite Spektrum jüngst zurückgerufener Produkte zeigt auf, dass keine Industriebranche mehr vor dem Risiko eines potentiellen Produkt-Rückrufs gefeit ist. Man ahnt als außenstehender Leser meist nur, welche unternehmensinternen Krisensitzungen, Versicherungsmeldungen und Rechtsgutachten hinter diesen nach außen sichtbaren Krisenkommunikations-Aktionen verborgen sind. Um den Schleier etwas zu lüften, befragte Regina Berg-Jauernig dazu Prof. Dr. Thomas Klindt, einen auf Produkthaftung und Produkt-Rückrufe spezialisierten Rechtsanwalt.


GIT SICHERHEIT: Herr Prof. Dr. Klindt, sind die deutschen Produkte eigentlich schlechter geworden? Oder wie erklärt sich eine offenbar zunehmende Anzahl von öffentlichen Produkt- Rückrufen in den letzten Jahren?

Prof. Dr. T. Klindt: Das Gegenteil dürfte richtig sein: Die Produkte sind immer besser geworden. Und besser geworden sind auch die internen Prozesse und Unternehmensarchitekturen, mit denen dem Vorwurf des Organisationsverschuldens entgegen getreten werden soll. Gutfunktionierende, interne Monitoring-Systeme decken heute im Rahmen einer aufmerksamen After Sales-Abteilung oder eines sehr sensiblen Person Reklamations- Management wesentlich früher potentziell kritische Situationen auf und bringen das Unternehmen so in die vorteilhafte Lage, hierauf schnell, „geschmeidig" und präventiv zu reagieren.

Aber Sie haben mit der Stoßrichtung Ihrer Frage natürlich schon recht: Die Produkte haben sich jedenfalls verändert. Denn wir haben es heute mit einem viel diversifizierteren Produktportfolio und einer globalisierten Zuliefererkette über mehrere Veredelungsstufen zu tun. Was eine Vor- Vorlieferstufe in bestimmten Chargen an sicherheitskritischen Fehlern ausgeliefert hat, verbauen Sie möglicherweise ahnungslos in Ihr Endprodukt und infizieren damit Ihre eigene Serie.

Produkt-Rückrufe betreffen also meistens bestimmte Chargen und Fertigungs-Slots?

Prof. Dr. T. Klindt:
Erfahrungsgemäß ist das so. Natürlich zeigt die anwaltliche Praxis, dass es auch Rückrufe wegen echten Konstruktionsfehlern im technischen Design unverändert gibt. Hier ist dann nie nur ein Fertigungsausschnitt der Serie betroffen, sondern letztlich schlechthin die gesamte Serie, das gesamte Modell unsicher. Ein kaufmännisch besonders verheerender Befund!

Die wohl meisten Rückrufe können dagegen tatsächlich auf bestimmte Fertigungszeiträume oder bestimmte Fabrikationschargen beschränkt werden - wenn denn die unternehmensinterne Traceability und die Rückverfolgbarkeitsnachweise der Zulieferer diese Beschränkung nicht leider gleich wieder verwässern.

Jedenfalls kann man als externer Anwalt nur dazu raten, die internen Fertigungsprozesse in größtmöglicher Akkuratesse ablaufen zu lassen, um nicht durch kleinste Ungenauigkeiten letztlich unvorhergesehene sicherheitskritische Konsequenzen zu provozieren. Dass übrigens eine unscharfe QS nicht nur Sicherheitsmängel, sondern auch Qualitätsmängel provozieren kann, liegt ja schon vom Wortlaut her auf der Hand.

Warum eigentlich gehen die Unternehmen mit solchen Produkt-Rückrufen an die Öffentlichkeit in Fach- oder Tagespresse? Man könnte doch auch die betroffenen Kunden unmittelbar anschreiben?

Prof. Dr. T. Klindt:
Und das tut das Unternehmen auch - wenn es denn die betroffenen Kunden namentlich kennt. Eine Vielzahl von Rückrufen kann auf ein sehr gut gepflegtes, durch Service- und Wartungsverträge individualisierbares Kundenfeld zurückgreifen, sodass die vis-àvis- Kommunikation über eine kritische Situation das Risiko erschöpfend in den Griff bekommt. Nur ist dies leider in den Fällen nicht so, in denen die fraglichen Gegenstände „über den Tresen" verkauft werden und damit in eine letztlich anonyme Kundschaft verschwunden sind. Hier bleibt ja nur der Weg, über eine allgemeine Öffentlichkeit zu versuchen, derzeitige Nutzer anzusprechen und zu erreichen.

Beschränken sich diese Vorgänge dann auf Deutschland als Rechtsraum?

Prof. Dr. T. Klindt:
Fast mit Sicherheit immer nein: Denn die erfolgreiche deutsche Industrie ist heute ja gerade im Export und damit im Ausland erfolgreich. Der grenzüberschreitende Warenvertrieb heißt dann allerdings auch - im Worst Case - ein grenzüberschreitender Risikovertrieb. Und wer mit Produkt- Rückrufen gegenzusteuern versucht, wird dies gleichermaßen international tun müssen.

Was hat es denn mit der Notifikationspflicht gegenüber Behörden auf sich? Man hört ja viel davon.

Prof. Dr. T. Klindt:
Bei bestimmten Produkten muss der Hersteller sich und sein sicherheitskritisches Produkt gegenüber der zuständigen Behörde „anschwärzen". Dies ist etwa bei allen Consumer Products, aber auch bei allen Medizinprodukten gesetzliche Pflicht. Die Schwierigkeit liegt nicht nur darin, dass die Behörden nun auf das Problem aufmerksam geworden sind und - vorsichtig formuliert - vielleicht eine eigene Meinung zur weiteren Risiko-Deeskalation haben.

Im grenzüberschreitenden Warenvertrieb multipliziert sich diese behördliche Meldepflicht zudem nämlich mit der Anzahl betroffener Vertriebsregionen, sodass Sie bei einem Vertrieb in 20 EU-Staaten ärgerlicherweise bei 20 nationalen Behörden eine solche „Selbstanschwärzung"durchzuführen haben.

Kann ich mich hier nicht durch vernünftig formulierte Verträge besser absichern?

Prof. Dr. T. Klindt:
Ich will hoffen, dass Ihre Leser ihre gesamten Einkaufs- wie Verkaufssituationen durch detaillierte und sauber durchdachte Verträge abgesichert haben, die übrigens auch die internationalen Rechtsaspekte eines internationalen Warenvertriebs nicht ignorieren; Stichwort:UN-Kaufrecht. Nur können Verträge ihre „Strahlkraft" naturgemäß nur zwischen den eigentlichen Vertragsparteien entwickeln. In diesem Binnenverhältnis ist es immens wichtig, wie gut oder schlecht, wie weit oder eng vertragliche Formulierungen sind.

Der Produkthaftungsanspruchsteht dagegen im Gesetz; das Unfall-Opfer hat deshalb den Produkthaftungsanspruch qua Gesetz. Einen Vertrag hat die geschädigte Person häufig mit dem „Schädiger" (also dem Herstellerunternehmen) nie geschlossen. Verträge sind vor allem in der Absicherung von Lieferleistung wegen der Absicherung des späteren Kostenregresses von kaum zu überschätzender Bedeutung.
Produktsicherheitsrechtlich muss man dagegen eher zu einem technischen Schub an Präzision mahnen.

Gibt es eigentlich auch strafrechtliche Risiken für Geschäftsführer im Bereich Produkthaftung?

Prof. Dr. T. Klindt:
Leider ja. Zum einen - und das liegt ja noch auf der Hand - ist bei einem reell passierenden Unfall die Staatsanwaltschaft gehalten, strafrechtlich zu ermitteln, ob dieser Unfall technisch hätte vermieden werden können. Das mag an mangelnder Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen auf Betreiberseite liegen, kann aber auch an herstellerseitigem Versagen in Konstruktion oder Fabrikation liegen. Und dann wird sich der Blick der Staatsanwaltschaft haftungsrechtlich auf die verantwortlichen Personen innerhalb des Herstellerunternehmens richten, immer orientiert an der Frage, welche Person durch eine bessere Überlegung den Unfall hätte vermeiden können.

Dies ist allerdings häufig gerade kein Problem der Geschäftsführung (mehr), da die Aufgaben unternehmensintern delegiert wurden. Das Risiko für Geschäftsführungen und Unternehmensleitungen besteht dann eigentlich eher darin, dass diese Delegation in sich Fehler aufweist und der Fehler Menschenleben kostet.

Wie kann denn eine solche Situation aussehen? Ist die Organisation nicht per se „neutral"?

Prof. Dr. T. Klindt:
Stellen Sie sich vor allem die brisante Situation vor, dass von Verwenderseite aus an das Unternehmen aktiv Sicherheitsbeschwerden herangetragen werden, in denen Nutzer von Unfällen oder Beinah-Unfällen berichten. Und stellen Sie sich dann bitte weiter eine denkbare Situation vor, in der diese hochkritischen Beschwerden nicht etwa dazu führen, dass unternehmensintern ein „Alarmknopf" gedrückt wird, sondern dass diese Beschwerden vielmehr abgeheftet werden und nichts weiter passiert.

Kommt es dann später zu Unfällen, in denen genau die monierten Sicherheitsdefizite sich erneut realisieren, liegt doch der Vorwurf der Staatsanwaltschaft auf der Hand: Das Unternehmen hätte das Risiko längst beseitigen können, weil das Risiko unternehmensintern seit langem bekannt ist. Der Unfall passierte also aufgrund absichtlicher Untätigkeit und Ignoranz, nicht aufgrund fahrlässiger Konstrukteursfehler.

Hier - also in der mangelnden Reaktion auf sicherheitskritische Beschwerden aus dem Markt - liegt das eigentliche Risiko auf Seiten geschäftsführerseitigen Organisationsverschuldens.

Und man kann den Unternehmen nur wirklich eindringlich dazu raten, derartige eingehende Reklamationen aus dem Feld Ernst zu nehmen und ein entsprechendes Überprüfen ggf. Gegensteuern zu initiieren (und zu dokumentieren).

Herr Prof. Dr. Klindt, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Kontakt
Prof. Dr. Thomas Klindt Nörr Stiefenhofer Lutz Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer, München
Tel.: 089/28628-545
Fax: 089/280110
thomas.klindt@noerr.com

Meist gelesen