Risikofaktor Einkauf: Auftragsvergabe im Sektor Sicherheit - warum der Einkäufer mit dem billigsten Angebot teuer werden kann
Die ökonomische Situation der Sicherheitswirtschaft ist gut und stabil. Der Branchenumsatz der Sicherheitsdienstleister ist in den Jahren von 2010 bis 2015 um 37 Prozent auf 6,9 Mi...
Die ökonomische Situation der Sicherheitswirtschaft ist gut und stabil. Der Branchenumsatz der Sicherheitsdienstleister ist in den Jahren von 2010 bis 2015 um 37 Prozent auf 6,9 Milliarden Euro angewachsen, allein 2015 – vor allem aufgrund der neuen Aufgabe des Schutzes von Flüchtlingsunterkünften – um 14 Prozent. Die gesamte Sicherheitsbranche erwirtschaftete im Jahr 2015 einen Umsatz von über 14,5 Milliarden Euro.
Auch für das Jahr 2016 meldete der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) vor seiner Jahresmitgliederversammlung Mitte Mai ein deutliches Umsatzplus: unbereinigt rund 20 Prozent. Dazu ist allerdings anzumerken, dass diese unbereinigte Steigerung das Bild nach oben verzerrt, da in der Statistik eine Auftragsweitergabe – auch in Teilen – an ein Subunternehmen doppelt, wenn nicht gar mehrfach erfasst wird; die reale Umsatzsteigerung der Branche dürfte also klar niedriger liegen. Nach den Schätzungen des BHE sind im Jahr 2016 die Umsätze von Videoüberwachungssystemen um 6,6 Prozent auf 504 Millionen Euro gestiegen, von Alarmanlagen um 8,8 Prozent auf 800 Millionen Euro. Die Facherrichter beurteilen ihre aktuelle Geschäftslage mit 1,92 (in der Schulnoten-Systematik), dem besten Wert seit Beginn der Erhebungen. Die Lage auf dem Sicherheitsmarkt wird auch in den nächsten Jahren stabil bleiben, selbst wenn im Funktionsbereich „Schutz von Flüchtlingsunterkünften“ die Zahl der Aufträge abnimmt. Denn die Sicherheitslage insgesamt wird angespannt bleiben und das Sicherheitsbedürfnis vor allem in der Wirtschaft zunehmen.
Dass die Auftragsvergabe in einem regulierten Verfahren stattfindet, ist zu begrüßen, weil ein Ausschreibungsverfahren den Wettbewerb fördert. Ärgerlich ist allerdings, dass viele Auftraggeber die Möglichkeit, das dem tatsächlichen Erfordernis entsprechende wirtschaftlichste Angebot auszuwählen, nicht nutzen. Sie verwechseln das wirtschaftlichste mit dem billigsten Angebot, ohne andere Zuschlagskriterien, nämlich Zuverlässigkeit und Qualität, zu berücksichtigen. Im folgenden Beitrag sollen Gründe dafür erläutert werden, warum das billigste Angebot oft zu teuer ist, vielmehr der Auftraggeber eine Leistung einkauft, deren Wertschöpfung noch geringer ist als der billigste Angebotspreis.
1.Warum sind Einkäufer auf das billigste Angebot fixiert?
Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Der Einkäufer unterliegt einem übertriebenen nicht mehr sachgerechten Spardruck, weil die Strategie der Unternehmensführung das verlangt.
- Der Spardruck ist in den Ausgabebereichen besonders stark, denen in der Unternehmenskultur eine geringere Bewertung beigemessen wird. Ursache für die Sparsamkeit beim Einkauf von Sicherheit ist oft die Unfähigkeit der für die Unternehmenssicherheit Verantwortlichen, die Unternehmensführung von der mit einem angemessenen Sicherheitsniveau verbundenen Wertschöpfung zu überzeugen. Qualität bekommt man aber nicht zum Nulltarif.
- In manchen Unternehmen möchte der Einkäufer sein Image als „eiserner Sparer“ durch die Vergabe an das billigste Angebot stärken.
- Eine weitere Ursache ist in dem Verzicht der Ausschreibung einer Sicherheitskonzeption und einer Sicherheitslösung mit integrierter Sicherheitstechnik und der Beschränkung der Ausschreibung einer bestimmten Zahl von “Mannstunden“ für die im Einzelnen vom Unternehmen selbst festgelegte Umsetzung des Schutzauftrages zu finden. Diese oberflächliche Ausschreibung verführt dazu, die Qualität der Mannstunden und die Qualifikation der sie leistenden Einsatzkräfte nicht weiter zu hinterfragen.
- Ein sehr naheliegender Grund für die Fixierung auf das billigste Angebot liegt in einer mangelhaften Vorbereitung der Ausschreibung. Zur ordentlichen Vorbereitung einer solchen Ausschreibung gehört:
a) dass Sicherheitsfachleute diese Vorbereitung durchführen. Fachleute aus dem eigenen Unternehmen haben den Vorteil, selbst Geschäftsprozesse und Betriebsabläufe des Unternehmens und Schwachstellen in der Sicherheitskette zu kennen. Unternehmensexternen Fachleuten dagegen gelingt es meist besser, Betriebsblindheit zu vermeiden und streng objektiv zu analysieren und zu bewerten.
b) Zur ordentlichen Vorbereitung gehört zweitens, dass die operative Sicherheitsverantwortung nicht vom Einkaufsprozess abgekoppelt wird. Sicherheitsverantwortliche muss bis zur Vergabe Einfluss nehmen können.
c) Die Sicherheitskonzeption, die ausgeschrieben oder mit der Ausschreibung umgesetzt werden soll, muss auf einer realistischen Risikoanalyse beruhen.
d) Die Ausschreibungskriterien dürfen nicht gedankenlos aus einer früheren Ausschreibung übernommen, sondern sie müssen neu durchdacht werden.
e) Zur ordentlichen Vorbereitung gehört auch, dass qualitative, organisatorische, technische und wirtschaftliche Mindestanforderungen und Qualitätsmerkmale der erwarteten Leistung festgeschrieben werden. Nach § 94 Abs. 4 Satz 1Kartellgesetz werden öffentliche Aufträge an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben. Das muss sich in den Vergabekriterien wiederfinden. Erst wenn diese Voraussetzungen positiv festgestellt sind, kann die Wirtschaftlichkeit des Angebots geprüft werden.
f) Schließlich sollten von den potentiellen Auftragnehmern Nachweise für verlangte Vertragsvoraussetzungen gefordert werden, zum Beispiel Kalkulationsgrundlagen, damit unlautere Mittel bis hin zum Sozialbetrug gegenüber Mitarbeitern möglichst ausgeschlossen werden, ebenso Referenzen und Nachweise der vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung ohne unbekannte Ausschlüsse.
2.Wann und warum ist das billigste Angebot zu teuer eingekauft?
Das billigste Angebot ist dann nicht zu teuer eingekauft, wenn es alle Kriterien der Ausschreibung erfüllt und kein Anlass besteht, an der Zuverlässigkeit des Anbieters und an der Nachhaltigkeit der Leistungsqualität zu zweifeln. Aber diese Bedingung ist in aller Regel nicht erfüllt. Warum das billigste Angebot dann zu teuer eingekauft wurde, lässt sich unschwer begründen:
a) Wenn ein Angebot wesentlich billiger bepreist ist als die anderen abgegebenen Angebote, ist sehr gewissenhaft zu prüfen, ob die Kalkulation stimmt und compliant ist, oder ob der Billigpreis auf dem Rücken der Beschäftigten kalkuliert wurde, mit der Folge, dass zum Beispiel Pausenzeiten vom Lohn abgezogen werden oder die Tariftreue nicht eingehalten wird.
b) Selbstverständlich ist ferner zu prüfen, ob die einzusetzenden Kräfte die gebotene Qualifikation haben. Ob eine solide ausgebildete Fachkraft oder Servicekraft für Schutz und Sicherheit dem Anspruchsniveau der wahrzunehmenden Funktion eingesetzt wird oder jemand, der lediglich einen 40-stündigen Informationskurs besucht, entscheidet letztlich der Auftraggeber mit seiner Zahlungsbereitschaft.
c) Prüfen muss der Ausschreibende ferner,
- ob die Ausstattung der einzusetzenden Kräfte den Erfordernissen der Aufgabenstellung entspricht
- dass die Infrastruktur des Sicherheitsunternehmens so beschaffen ist, dass die Tätigkeit der einzusetzenden Kräfte von der Infrastruktur unterstützt wird
- dass die Vergabe den gesetzlichen Normen der Organisationsmängelhaftung nach § 91 Abs.2 AktG und § 13 Mindestlohngesetz entsprechen. Die Unternehmensführung einer Aktiengesellschaft ebenso wie die Geschäftsführung einer AG-ähnlichen GmbH muss selbst oder durch Beauftragte, deren Zuverlässigkeit und Kompetenz überprüft wurde, geeignete Maßnahmen treffen, damit Entwicklungen frühzeitig erkannt werden, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden. Die Entwicklungen können auch in eindeutig mangelhaften oder fehlenden Sicherheitsvorkehrungen bestehen, so dass ein Schaden entstehen kann, der das Unternehmen zur Insolvenz zwingt.
d) Die Vergabe eines Sicherheitsauftrags allein nach dem billigsten Angebotspreis birgt die Gefahr in sich, dass auf Qualitätsnachweise während der Leistungsdauer und auf Leistungskontrollen durch den Auftraggeber verzichtet wird. Damit wird das Risiko einer mangelhaften Sicherheitsleistung erhöht.
e) Wird zugleich noch darauf verzichtet, die Vertragserfüllung durch Subunternehmer auszuschließen, deren Leistungsqualität wahrscheinlich unter dem Leistungsniveau des Auftragnehmers liegt, so ist dies ein weiteres Argument dafür, dass das billigste Angebot zu teuer eingekauft wird.
3.Welche Auswirkungen hat die Annahme des billigsten Angebots für den Auftragnehmer?
Dass das Billigangebot auf dem Ergebnis einer kaufmännisch unbedenklichen Kostenkalkulation beruht, ist sicher eine Ausnahme. Vielmehr birgt ein Billigangebot mit dem unbedingten Ziel des Gewinns der Ausschreibung nahe liegende Risiken:
- Das gewichtigste Risiko besteht in einer Kalkulation gegen die Interessen der Beschäftigten: Ihre Pausen führen zu Lohnabzügen, oder sie müssen unbezahlt Überstunden leisten. Oder es werden Auszubildende eingesetzt. Das spart Kosten, geht aber zu Lasten der Auszubildenden und des Kunden und ist daher unzulässig.
- Die Tariftreue wird nicht eingehalten.
- Es besteht die Gefahr, dass Weiterbildungsmaßnahmen von vornherein nicht in die Kalkulation einbezogen und dann auch nicht durchgeführt werden.
- Das Billigangebot kann durch Verzicht auf eine Verbesserung der Infrastruktur des Unternehmens, auf Modernisierungsmaßnahmen, auf Kosten der Ausstattung der einzusetzenden Kräfte errechnet sein.
- Ist das billigste Angebot Teil einer Strategie, die unter Vernachlässigung des Qualitätsmanagements auf eine ständige Geschäftsausweitung durch Billigangebote setzt, dann erhöht sich die Gefahr, dass die Qualifikation der Beschäftigten und die Infrastruktur des Sicherheitsdienstleisters dauerhaft vernachlässigt werden und die dem Auftraggeber zugesagte Leistungskontrolle und Leistungsverbesserungen nicht eingehalten werden können. Im Extremfall führt dieser Weg in die Insolvenz.
4.Welche Auswirkungen hat die Praxis der Ausschreibung zum billigsten Preis und des Billigangebots für die Sicherheitswirtschaft insgesamt?
Je öfter die Auftragsvergabe zum niedrigsten Angebotspreis erfolgt, umso eher wird dies zur Gewohnheit. Der Sicherheitsmarkt gewöhnt sich an diese Orientierung. Andere Sicherheitsunternehmen werden dem Billiganbieter folgen und versuchen, ihn noch zu unterbieten. Dieser Wettbewerb wird zu einer Schraube, die sich auf das Image des Sicherheitsgewerbes äußerst negativ auswirkt. Die Branche wird zur „Billigpreis- und Billiglohn-Branche“ mit allen negativen Folgen einer solchen Branchenentwicklung. In diesem Dunstkreis tummeln sich auch gern „schwarze Schafe“.
Ich möchte es aber nicht bei dieser negativen Prognose belassen, sondern dieser Entwicklung Vorschläge entgegensetzen, wie diese Abwärtsspirale verhindert werden kann.
5.Was können Bieter tun, um den Ausschreibenden davon abzuhalten, den „niedrigsten Preis“ als alleiniges oder dominierendes Zuschlagskriterium zu bestimmen?
Bieter im Verfahren der Vergabe von Sicherheitsaufträgen haben zwar keinen Rechtsanspruch darauf, den Zuschlag nach dem niedrigsten Angebotspreis zu verhindern. Aber es gibt Möglichkeiten, den Auftraggeber zum Nachdenken zu veranlassen:
a) Bieter können dem ausschreibenden Auftraggeber einen wettbewerblichen Dialog vorschlagen, in dem sie ihre Argumente gegen die Dominanz des niedrigsten Preises vortragen.
b) Sie können dem Auftraggeber vorschlagen, Nebengebote zuzulassen und als Nebenangebot statt der „Mannstunden zum niedrigsten Preis“ eine Sicherheitslösung anbieten, in die nach dem konkreten Bedarf Sicherheitstechnik und andere, die Effizienz stärkende und Kosten senkende, Alternativen integriert sind.
c) Sie können auch ohne Teilnahme an der Ausschreibung in einer Kommunikation mit dem potentiellen Auftraggeber versuchen, ihn von den Risiken zu überzeugen, die mit der Vergabe ausschließlich nach dem niedrigsten Angebotspreis verbunden sind.
d) Und sie sollten den BDSW auffordern, sich darüber Gedanken zu machen, wie er seine Mitglieder beispielsweise durch ein Zertifizierungsverfahren zwingen muss, sich fair und qualitätsorientiert am Markt zu verhalten.
6.Woran soll sich der Einkäufer von Sicherheitsdienstleistungen orientieren, um nicht in die Falle des niedrigsten Angebotspreises zu geraten?
a) Er muss mit dem Sicherheitsverantwortlichen im Unternehmen im Ausschreibungsverfahren eng zusammenarbeiten und dessen Forderungen berücksichtigen. In diesem unternehmensinternen Dialog werden Alternativen erarbeitet werden können, die Falle des niedrigsten Preises zu umgehen, ohne sich einem angemessenen Sparkurs zu versagen. Auf der Grundlage einer Risikoanalyse muss eine umfassende Sicherheitskonzeption erarbeitet oder in die Ausschreibung einbezogen werden.
b) Der Einkäufer kann sich an dem System und den Kriterien der DIN-Norm 77200 orientieren und entsprechend dem „Bestbieter-Handbuch“ von CoESS vorgehen.
- Die DIN 77200 gibt Qualitätskriterien für die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen durch öffentliche und private Auftraggeber vor. Soweit der Zuschlag gemäß der Dienstleistungsrichtlinie der EU auf das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ erfolgt und nicht ausschließlich auf das Kriterium des „niedrigsten Preises“ abgestellt wird, ist die Norm geeignet, als Anleitung zur Auswahl und nachträglichen Prüfung des geeignetsten Angebots zu dienen. Nach ihr können Sicherheitsdienstleistungen nach drei unterschiedlichen Leistungsstufen qualifiziert werden. Nach Stufe eins sind Qualität und Preis von gleicher Wichtigkeit. Nach Stufe zwei ist Qualität wichtiger als der Preis, aber der Preis bleibt relevant. Nach Stufe 3 ist Qualität von höchster Bedeutung, der Preis ist nur von zweitrangigem Belang.
- Einen ähnlichen Leitfaden bietet das von CoESS erarbeitete „Bestbieter-Handbuch“. Es ist ein wichtiges Hilfsmittel bei der Beurteilung des wirtschaftlichsten Angebots.
c) Der Auftraggeber ist gut beraten, bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen ein „Service Level Agreement“ mit dem Auftragnehmer abzuschließen, in dem die Sicherheitsdienstleistungen im täglichen Ablauf einzeln nachprüfbar festgelegt und für Verstöße Sanktionen bestimmt werden. Eine solche Vereinbarung ist geeignet, ein Qualitätsmanagement und eine intensive Leistungskontrolle nachhaltig aufrecht zu erhalten.
Denn Ziel des Auftrags zur Sicherheitsdienstleistung ist nicht allein, „dass nichts passiert“ – gleichgültig, ob dafür angemessene Schutzmaßnahmen verabschiedet und umgesetzt wurden -. Ziel des Auftrags ist vielmehr die vereinbarte Umsetzung der geeigneten Schutzvorkehrungen.
d) Der Auftragsvertrag sollte ein wirksames Controlling beinhalten, wobei exakt festgelegt wird, welche Kontrollen regelmäßig oder unangekündigt mit oder ohne Beteiligung des Auftragnehmers durchgeführt werden.
e) Statt der willkürlichen Vorgabe von beliebig gewählten Versicherungssummen für teilweise auch unsinnige Versicherungspositionen (Beispiel: 5,0 Mio. Euro für Bearbeitungsschäden) sollte der Auftraggeber erstens ausreichend hohe Summen für die relevanten Positionen und zweitens auch qualitative Kriterien des gewünschten Versicherungsschutzes vorgeben. Nicht die Vorlage beliebiger und nicht vergleichbarer Versicherungsnachweise mit vollkommen unterschiedlichen Deckungsinhalten und verdeckten Ausschlüssen durch den Dienstleister sollte der Standard sein, sondern ein transparenter Mindeststandard, durch den viele Punkte schon geklärt sind. In dreiviertel aller am deutschen Sicherheitsmarkt vorhandenen Versicherungsverträge von Sicherheitsdienstleistern gibt es z.B. keinen Versicherungsschutz für strafbare Handlungen von Sicherheitsmitarbeitern. Kommt es nur zu einem Fall von Brandstiftung in Millionenhöhe, ist der Dienstleister insolvent und der Auftraggeber muss auf seine eigene Feuerversicherung vertrauen, die ihm nach der Regulierung eine Beitragserhöhung abfordern wird. Zudem lernen auch große Unternehmen in einem solchen Fall immer wieder, dass ihr eigener Versicherungsschutz gerade in dem Bereich Betriebsunterbrechung mangelhaft ist. Damit droht dem Auftraggeber die eigene Insolvenz durch einen von seinem Dienstleister verursachten Schaden. Hier wird am falschen Ende gespart! Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Mindeststandard des BDSW, der sich auch in der neuen DIN 77200 (ab 01.07.2017) wiederfinden wird und der eine gute Grundlage bildet, auf der jeder Auftraggeber nur noch die für ihn passenden Versicherungssummen verhandeln, sich aber ansonsten darauf verlassen kann, dass die Basis stimmt. Dies ist bei der aktuellen Praxis am Markt nicht der Fall, denn wüssten die Auftraggeber, wie mangelhaft der Versicherungsschutz vieler Sicherheitsdienstleister ist, würden sie diese nicht beauftragen. Bei der heutigen Ausschreibungspraxis ist dieser Punkt vollkommen intransparent.
7.Was kann und muss die Politik leisten, um das Mißverständnis zwischen wirtschaftlichstem und niedrigstem Angebotspreis zu verhindern?
a) Das Vergabeverfahren sollte wirkungsvoller als bisher reguliert werden, um möglichst sachgerechte Ausschreibungsergebnisse zu erzielen. Das Vergaberecht muss trotz der getroffenen Neuregelungen weiter verstärkt werden, um die Verwechslung von wirtschaftlichstem mit niedrigstem Angebot entgegenzuwirken. Zu prüfen ist insbesondere:
- eine bestimmtere Fassung des unbestimmten Rechtsbegriffs „wirtschaftlichstes Angebot“ in § 97 Abs.5 Kartellgesetz
- die Möglichkeit einer Ausweitung der Verfahrensart des wettbewerblichen Dialogs
- die Ausdehnung des Vergaberechts auf alle Bereiche kritischer Infrastrukturen
- eine Verpflichtung zur Zulassung von Nebenangeboten
- die Festschreibung eines qualitativ ausreichend hohen und für alle Anbieter einheitlichen Versicherungsschutzes der Betriebshaftpflichtversicherung nach BDSW-Mindeststandard oder DIN 77200 (Fassung ab 01.07.2017)
- eine Verpflichtung zur Prüfung der Tariftreue
- eine Änderung der Kannvorschrift zur Ablehnung des Zuschlags von ungewöhnlich niedrigen Angeboten in § 60 Abs.3 Satz 1 VgV in eine Mußvorschrift
- Einrichtung des Registers kriminalitätsbelasteter Unternehmen; Abfragepflicht öffentlicher Auftraggeber.
a) Der Staat sollte die Barriere zur Gründung eines Sicherheitsunternehmens weiter erhöhen, um sicherzustellen, dass keine Sicherheitsunternehmer am Markt in Erscheinung treten, die nur „das schnelle Geld“ machen und nicht nachhaltig wie ein „ordentlicher Kaufmann“ wirtschaften wollen. Dazu bedarf es mehr als die Sachkundeprüfung. Eine Kombination der bestandenen Prüfung als Fachkraft für Schutz und Sicherheit oder eines erfolgreichen Abschlusses eines technischen, juristischen, betriebswirtschaftlichen Studiums oder eines Studiums des Sicherheitsmanagements mit einer mehrjährigen beruflichen Praxis sollte eine erfolgreiche Führung des Sicherheitsunternehmens nach den Grundsätzen eines „ordentlichen Kaufmanns“ gewährleisten.
b) Die staatliche Kontrolle ist zu gering ausgeprägt. Das liegt nicht nur an der Personalknappheit der Gewerbeaufsichtsämter. Es ist auch die Folge der Betreuung des Gewerbes durch die Wirtschaftsminister statt den für die Innere Sicherheit zuständigen Innenministern. Der auch von der IMK anerkannten Zugehörigkeit der Sicherheitswirtschaft zur Architektur der Inneren Sicherheit entspricht allein die Zuständigkeit der Innenminister – wie das in fast allen EU-Staaten geregelt ist.
c) Tarifverträge müssen generell für allgemeinverbindlich erklärt werden, weil sie dann bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen zwingend zu berücksichtigen sind.
d) Und wer prüft tatsächlich, ob der Auftrag im Vergabeverfahren an ein fachkundiges, leistungsfähiges, gesetzestreues, zuverlässiges Unternehmen vergeben worden ist?
Schlussbemerkung:
Vor mehr als einem Jahrzehnt habe ich in dem damaligen Magazin Sicherheitsmanagement unter der Überschrift „Das Sicherheitsgewerbe ist unsauber!“ beschrieben, was nach meiner Überzeugung seinerzeit falsch lief am Sicherheitsmarkt, im Sicherheitsgewerbe, seinem Umfeld und seiner Kontrolle durch den Staat. Seitdem hat sich manches zum Besseren gewandelt: Die Qualifizierungsmöglichkeiten im Sicherheitsgewerbe sind durch die Einführung des Ausbildungsberufs „Servicekraft für Schutz und Sicherheit“ verbessert worden. Voraussetzung für die Gründung eines Sicherheitsunternehmens ist jetzt der erfolgreiche Abschluss der Sachkundeprüfung durch eine Industrie- und Handelskammer nach § 34a Abs.1 GewO. Kriminelle Skandale mit katastrophalen Auswirkungen wie seinerzeit bei den Unternehmen Heros, Arnolds, Griffs und Frey sind aktuell nicht zu beklagen. Und dennoch: Die Hauptursachen der Fixierung der Auftragsvergabe auf das billigste Angebot sind geblieben: Schwächen des Vergaberechts, Dominanz der Einkäufer gegenüber den Sicherheitsverantwortlichen im Unternehmen, schlecht vorbereitete Ausschreibungen ohne Zuhilfenahme des „Bestbieter-Handbuchs“, wenig durchdachte Dienstleistungsverträge, eine zu niedrige Eintrittsschwelle in den Beruf des Sicherheitsunternehmers und – daraus resultierend –„schwarze Schafe“ im Sicherheitsgewerbe, Sozialbetrug gegenüber Mitarbeitern und fehlende Tariftreue. Es gibt also noch viel zu tun, um zu erreichen, dass der Zuverlässigkeit und Leistungsqualität im Sicherheitsmarkt gebührende Bedeutung beigemessen wird.
Autor: Manfred Buhl, CEO Securitas Deutschland