28.08.2014 • TopstoryBrandBrandschutzInterview

Ronald Schwan und Wolfgang Dünsel im Interview: Innovativer Brandschutz im A1-Tunnel Köln-Lövenich

Mit dem Modellprojekt „Lövenichtunnel" wurde Neuland betreten: Eine Vielzahl von Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (RWA) sorgen für die entscheidende Entrauchung und bessere Sicht bei ...

Mit dem Modellprojekt „Lövenichtunnel" wurde Neuland betreten: Eine Vielzahl von Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (RWA) sorgen für die entscheidende Entrauchung und bessere Sicht bei Löscharbeiten und lebensrettenden Maßnahmen. Als Deutschlands erster Tunnel mit Glasdach spart er Beleuchtungsenergie und entlastet Umwelt als auch Steuerzahler. Einfallendes Tageslicht macht angenehmes Fahren möglich. Wolfgang Dünsel, Labor-Ingenieur für RWA bei VdS Schadenverhütung und Ronald Schwan, Objektvertriebsleiter Region Deutschland Nord bei D+H Mechatronic, erläutern GIT SICHERHEIT + MANAGEMENT, was Planer zur Risikominimierung beitragen können.

GIT SICHERHEIT: Herr Dünsel, Herr Schwan - grundsätzlich dürfte wohl alle unsere Leser interessieren, wie Sicherheitstechnik in so hochagressiven Atmosphären wie beispielsweise der eines Tunnels funktionsfähig gehalten werden kann. Aber zunächst haben Sie für unsere im Tunnelbau oder ähnlichem tätigen Leser sicher ein paar Argumente parat, weshalb Entrauchung auch dort so wichtig ist.

Wolfgang Dünsel: Entrauchung ist überall dort entscheidend, wo es brennen kann - also an eigentlich allen Orten. Denn Brandrauch ist hochgiftig. In einem verrauchten Raum reichen oft wenige Atemzüge, damit ein Mensch bewusstlos wird. Schon ein paar Minuten in einem verrauchten Raum können zum Tod führen.

Ronald Schwan: Die schlimmste Bedrohung für Menschenleben sind im Brandfall weniger die Flammen an sich, sondern der Rauch. Dieser verbreitet sich extrem schnell - immer wieder sind bei Rauchversuchen sogar die Sicherheitsexperten unter unseren Kunden entsetzt, wie schnell Räume vollständig verraucht sind. Hinzu kommt in dieser speziellen Umgebung noch, dass die Rauchentwicklung bei Tunnelbränden aufgrund des hohen Kunststoffanteils der Fahrzeuge und z.B. des getankten Diesels oft sehr stark ausfällt. Rauch ist nicht nur hochgiftig, er vermindert auch die Sichtweite so stark, dass eine Selbstrettung von Personen aus dem Tunnel nahezu unmöglich wird. Das ist bei Gebäudebränden schon schlimm genug, aber in Tunneln mit den längeren Fluchtwegen besonders lebensgefährlich.

Wolfgang Dünsel: Ja, aus Brandschutzsicht sind Tunnel ein ziemlicher Alptraum.

Ronald Schwan: Ein Tunnelbrand ist ein wahrlich höllisches Szenario - so dass alles getan werden muss, um solche Vorfälle zu verhindern. Hauptproblem in Tunnel ist, dass der Rauch in der engen Röhre nun einmal nicht abziehen kann. Dann sammeln sich nicht nur die angesprochenen Giftgase, hinzu kommt noch, dass der Rauch schnellstens jede Sicht blockiert. Und was die Bedrohungen noch weiter potenziert: Rauchgase speichern auch noch Brandhitze. Kann also Rauch aufgrund der Tunnelkonstruktion nicht entweichen, kommt es dann auch noch schnell zum gefürchteten Flammenübersprung: Innerhalb weniger Minuten erreicht der Rauch Temperaturen, bei denen die sich im Tunnel befindenden Kraftfahrzeuge ohne jeden Kontakt zum Feuer zu brennen beginnen. Die Lage noch weiter verschlimmernd, ist in Tunneln schon die einfachste Evakuierung schwer möglich, da der Verkehr ja immer weiter in die enge Röhre hineinströmt.

Wolfgang Dünsel: Ein einziges Kilo Kunststoff bildet bei Verbrennung bis zu 2.500 Kubikmeter Rauch. Wenn die Feuerwehr dann einen brennenden Tunnel erreicht, in dem es keine Entrauchungstechnik gibt, sieht sie sich einer bis zu tausend Grad heißen, giftigen, fürs Auge undurchdringlichen Finsternis gegenüber - dort kann kein Mensch mehr hineingehen und irgendjemanden retten.

Das sind in der Tat Horrorszenarien. Was sind denn die primären Auslöser für einen Tunnelbrand, worauf können Planer, Bauherren, Techniker und Elektrodienstleister von vorneherein achten, um das Risiko für so etwas zu minimieren?

Ronald Schwan: Ein Brandrisiko sind zum einen Verkehrsunfälle. Jeden Tag geschehen 6.515 Unfälle auf deutschen Straßen, und das sind nur die polizeilich erfassten Zahlen. Hier bieten Tunnel allerdings einen kleinen Vorteil: Statistisch gesehen ist die Häufigkeit von Unfällen in Tunneln geringer als auf der offenen Straße, weil Menschen aufgrund der eher unangenehmen Atmosphäre - es ist eng, es ist dunkel, bisweilen schaut man direkt in den Gegenverkehr wenige Zentimeter neben sich - automatisch langsamer fahren. Eine ganz natürliche Reaktion auf die Enge. Trotzdem kann es jederzeit zu einem Unfall mit Brandfolgen kommen. Und diese Folgen sind im Vergleich zu normalen Straßenunfällen ungleich dramatischer.

Wolfgang Dünsel: Ein weiterer Hauptbrandauslöser sind, wie Ihre Leser wissen, generell immer elektrische Anlagen. Das gilt nicht nur für Tunnel, sondern überall. Beispielsweise brennt In Deutschland alle fünf Minuten ein Betrieb - oft aufgrund eines winzigen Kabels, das in einem Kleinteil, der Lüftung oder der Beleuchtung durchschmort und so einen Schwelbrand auslöst. Schon ein einziger Funke in einer fehlerhaft installierten Steckdose kann eine Brandkatastrophe bewirken. Diese Gefahr ist im Tunnelbau selbst zwar minimiert...

Ronald Schwan: Ja, die Technik im Tunnel ist so gestaltet, dass von dort eigentlich keine Gefahr für den Verkehr ausgeht. Aufgrund der angesprochenen Gefahren sind im Tunnelbau nur ganz bestimmte Baustoffe und Kabeltypen zugelassen. Die von Herrn Dünsel angesprochenen häufigen Brandauslöser durch defekte, altersschwache oder mangelhaft installierte Elektrik gelten aber für alle Kraftfahrzeuge, die täglich zu tausenden durch Tunnel strömen.

Wolfgang Dünsel: Genau, Auslöser von Tunnelbränden sind häufig elektrische Defekte an LKWs oder Bussen. Diese sind allein aufgrund ihrer Größe, aber auch wegen ihrer Zusatzfunktionen mit viel mehr Elektrik ausgestattet als Personenkraftwagen. Und je mehr Technik vorhanden ist, desto höher ist die Gefahr, dass es zu einem Brand kommt. Ein weiterer Brandauslöser, den viele Menschen nicht kennen, sind die Reifen und Bremsen dieser Fahrzeuge. Die enorme Last, welche sie zu tragen haben, führt zu einer entsprechenden Reibung, so entsteht Wärme - LKW-Reifen, die plötzlich zu brennen beginnen, kommen leider immer wieder vor.

Ronald Schwan: Beispielsweise merken die Fahrer ja nicht direkt, ob ein Reifen Luft verliert. Weniger Luft im Reifen bedeutet aber eine höhere Reibung und damit mehr Wärme. Allein das reicht schon, um im schlimmsten Fall einen verheerenden Tunnelbrand auszulösen. Und wie Herr Dünsel ausführte: In den Fahrzeugen finden sich immer elektrische Geräte - ein winziger Funke zur falschen Zeit kann den gesamten Wagen in Flammen aufgehen lassen. Bei Polizeikontrollen auf den Autobahnen werden oft bis zu einem Drittel der kontrollierten LKW wegen Sicherheitsmängeln aus dem Verkehr gezogen. Der letzte große Unfall, das war in Braunschweig, resultierte aus einem Kurzschluss in der Toilettenbeleuchtung eines Busses.

Einen potentiellen Brandauslöser bei älteren LKWs kann man sogar riechen - wenn bei einer Autofahrt vor einem ein altes Modell bremst, ist das häufig ein Geruch wie beim Flexen, von Stahl auf Stahl. Oft sind die Bremsbeläge gar nicht mehr vorhanden. Mit dem entsprechenden Funkenflug als Folge.

Ein brennendes Fahrzeug kommt aus dem Tunnel nicht mehr raus. Und schon kommt es zu der gefürchteten Horrorsituation. So kosteten 1999 unzureichende Sicherheitsmaßnahmen beim Brand im Montblanc-Tunnel 39 Menschenleben, 2001 starben im Gotthard-Tunnel elf Menschen durch einen von einem Lastwagenunfall ausgelösten Brand.

Grundsätzlich werden wir in Zukunft nicht darum herumkommen, Tunnel mit Brandbekämpfungsanlagen auszurüsten bzw. dort, wo es möglich ist, mit Rauch- und Wärme-Abzugsanlagen. Hier im A1-Tunnel bei Köln-Lövenich sind wir in der günstigen Situation, dass sich oberhalb des Tunnels kein Berg oder keine Überbauung befindet, dadurch ist eine Entrauchung möglich und die sinnvollste Brandschutzmaßnahme. Hier lässt sich im Notfall das komplette Dach der Tunnelröhre öffnen. Rauch und Hitze führen wir dann in Sekundenschnelle aus dem Tunnel ab.

Wolfgang Dünsel: Gefahren wie das von Herrn Schwan angesprochene gefürchtete Überspringen der Flammen von Auto zu Auto werden deutlich minimiert. Und, auch ganz wichtig bei diesem innovativen Tunnelkonzept: Durch die wesentlich verbesserte Sicht kann die Feuerwehr vergleichsweise einfach an den Brandherd vorstoßen und damit auch den Brand schnell bekämpfen. Löscharbeiten sind sehr viel leichter möglich. In Tunnel ohne diese Möglichkeiten kommen die Lebensretter im Brandfall wegen der Hitze und der starken Rauchentwicklung ja gar nicht mehr hinein, höchstens mit Löschrobotern.

Der Tunnel ist ja ein deutschlandweites Modellprojekt...

Ronald Schwan: Im Bundesverkehrsministerium werden die Bau-, Betriebs- und Erhaltungskosten von drei gänzlich verschiedenen Tunnelmodellen miteinander verglichen. Anhand der gewonnenen Daten bestimmt das Ministerium dann eine optimale Bauart für Tunnel in ganz Deutschland. Verglichen werden ein Tunnel über der A5 bei Aschaffenburg, der seitlich über Lamellen entraucht werden kann, ein Tunnel bei Hamburg an der A7, mit einem Betondeckel ohne RWA, dafür mit klassischen Strahlventilatoren, und unser schönes neues Projekt.

Warum wurde der Tunnel nicht klassisch mit simplen Ventilatoren ausgestattet?

Wolfgang Dünsel: Klassisch gesehen gibt es in Tunneln drei Entrauchungskonzepte: Einmal eine Längslüftung bei Einrichtungsverkehr, hier wird der Rauch in eine Richtung gedrückt, um die Zufahrt rauchfrei zu halten. Der Bereich in Strömungsrichtung ist in der Regel frei, da hier Verkehr abfließen kann - aber bei Stau wird das Ganze problematisch. In langen Tunneln, bei Staugefahr oder bei Gegenverkehrstunneln kommt dann die sogenannte Querlüftung oder Halbquerlüftung zum Einsatz. Hier wird Rauch nach oben durch einzeln angesteuerte Klappen abgesaugt, über einen Kanal nach außen geführt und gleichzeitig Frischluft von unten nachgeführt. Die Halbquerlüftung ist dann eine Mischform. Rauchwärmeabzugsanlagen (RWA) sind dort, wo eine direkte Verbindung der Tunnelhaut mit der Umgebungsluft besteht, das deutlich effektivere Modell.

Ronald Schwan: Beispielsweise werden unsere Systeme im Lövenich-Tunnel manuell oder automatisch ganz gezielt im Bereich eines Brandes geöffnet. Es klappen nicht einfach alle zusammen auf. So verhindern wir, dass der aus einem Bereich entfernte Rauch beispielsweise vom Wind direkt in bisher gar nicht betroffene Bereiche transportiert wird.

Wolfgang Dünsel: Der Tauerntunnel war nach einem Brand ein volles Jahr lang gesperrt. So enorm lange musste repariert und instandgesetzt werden, weil die extreme Hitze zu einem Abplatzen der Betonschicht geführt hatte. Dank der RWA-Klappen im Lövenich-Tunnel können nicht nur Leben gerettet werden, die Feuerwehr bringt einen Kfz-Brand zusätzlich deutlich leichter und mit sehr viel geringerem Sachschaden an der Tunnelinfrastruktur unter Kontrolle. Die RWA sind auch deshalb so wichtig, weil in Tunnels kaum Feuerlöschtechnik eingesetzt wird, obwohl diese äußerst wichtig wäre. Ich möchte hier auf z. B. das VdS-Schutzkonzept für Tunnel mit Sprühwasserlöschanlage und Branderkennung verweisen, aber das ist ein anderes Thema.

Ronald Schwan: Noch einen Tipp für Tunnelbaudienstleister und Sicherheitsverantwortliche: Unabhängig von den RWA bieten im Lövenichtunnel spezielle Betonbinder des Generalunternehmers Bilfinger einen zusätzlichen Rauchschutz. Diese Binder sind statische Elemente, brückenähnlich über die Autobahn gespannt. Auf ihnen ruht die Stahl-Glas-Konstruktion. Sie unterteilen den Tunnel in viele Abschnitte und ragen bis zu einen Meter in die Tiefe, auftretender Rauch wird hier also für eine Weile aufgehalten, ähnlich wie bei Rauchschürzen in Gebäuden.

Wolfgang Dünsel: Der Lövenichtunnel ist ja nicht nur etwas ganz neues durch die Masse der eingesetzten RWA - er ist auch der deutschlandweit erste Tunnel mit Glasdach.

Ronald Schwan: Die Konstruktion schont die Umwelt sowie uns Steuerzahler: Durch das Glasdach wird tagsüber eine Menge Beleuchtungsenergie eingespart. 20.000 Glasscheiben lassen Tageslicht durch das rund 30.000 Quadratmeter große Glas- Stahl-Dach und sorgen so für eine angenehme Fahratmosphäre.

Erklären Sie unseren Lesern doch mal das Konzept eines mit RWA gesicherten Tunnels.

Wolfgang Dünsel: Das Pilotprojekt Lövenichtunnel kann man sich wie eine flachgelegte Hochhausfassade vorstellen. Die 1,5 Kilometer lange Lärmschutzeinhausung ist eine Kreuzung aus Tunnel und Trog, wie es sie bislang in Deutschland noch nicht gab, bis zu 38 Meter breit.

Ronald Schwan: Als Überdachung für die bis zu sieben Meter hohen Betonwände dient eine über 30.000 Quadratmeter große Stahl-Glas- Konstruktion, in die 1.500 zweieinhalb Tonnen schwere Fensterelemente integriert sind. Eigentlich handelt es sich um zwei Tunnel, jede Fahrtrichtung verfügt über eine eigene Röhre. In die komplett verglasten Abschnitte sind 1.504 RWA-Zahnstangenantriebe der D+H Mechatronic AG für das elektromotorische Öffnen und Schließen der Fensterflügel integriert.

 

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