Sicherheit aus der dritten Dimension: Wie eine Drohne beim Perimeterschutz hilft
Mit dem Pro Sieben-Beitrag „Einbruch in eine Solaranlage: Sicherheitsexperten im Einsatz“ haben wir uns in GIT SICHERHEIT 12/21 auf Seite 56* detailliert beschäftigt.
Einmalig war der in dieser Form der breiten Öffentlichkeit gezeigte Einsatz einer Drohne als Verifikationsmöglichkeit, zu sehen auch im GIT-Video auf GIT-SICHERHEIT.de. Welche Informationen aus der Perimetersicherheits-Lösung wurde an die Drohne übergeben, warum ließ sich der Pilot trotz hartnäckiger Versuche der sachverständigen Einbrecher nicht täuschen und welches Konzept lag dieser Zweitverifikation zu Grunde? Wir stellen exklusiv diese und weitere Fragen an die Beteiligten: an den Sachverständigen Markus Piendl, Rainer Gräfendorf vom Sicherheitstechnik-Hersteller Honeywell - und vor allem an Jan Westhoff, als Projekt-Ingenieur bei der Condor IMS GmbH verantwortlich für die Drohne.
GIT SICHERHEIT: Herr Piendl, zusammen mit ihrem Sachverständigenkollegen Hannes Dopler haben Sie in Anwesenheit der Endkundin und des Fernsehteams von Galileo Einbruchversuche durchgeführt, um das vor Ort verbaute Sicherheitssystem zu testen. Unter welchen Rahmenbedingungen fanden die Tests statt?
Markus Piendl: Die verbaute Sicherheitstechnik war aufgrund unseres Wunsches um ein Drohnenverifikations-System erweitert worden. Außer der Endkundin wusste nur das Galileo-Team wie, wo und wann wir die Testeinbrüche durchführen würden.
Herr Graefendorf, können Sie als Hersteller beschreiben, welche Soft- und Hardware zum Schutz des Perimeters zum Einsatz kam?
Rainer Graefendorf: Zur Absicherung des 2000 Meter langen Perimeters kamen die in der Praxis bewährten Adpro Melder der H-Serie zum Einsatz. Außerdem wurde eine Adpro iFT-E IP-Video-Multi-Service-Plattform in Verbindung mit unserer i-Lids Primary Level-One-zertifizierten Video-Analyse Intrusion Trace konfiguriert. PIR‘s und Videoanalyse sind eine bewährte Kombination, die in diesem Projekt von dem Sicherheitserrichter Styx Sicherheitstechnik fachgerecht installiert wurde.
Was haben Sie gedacht, als Herr Piendl Sie um die Möglichkeit bat, Ihre Soft- und Hardware um eine Drohnenverifikation zu erweitern?
Rainer Graefendorf: Wir arbeiten mit Markus Piendl und Hannes Dopler seit vielen Jahren sehr vertrauensvoll zusammen und verstanden den Wunsch sehr gut. Im In- und Ausland haben wir diverse Vorführungen gesehen, die uns nicht überzeugten: entweder war die Drohne, die den Perimeter abfliegen sollte, zu leicht, flog nicht präzise an – oder es war nicht geklärt, wann die Leitstelle die Drohne übernehmen würde. Als unser langjähriger Partner Condor uns deren Lösung in Essen vorstellte, waren wir begeistert: das Konzept einer Verifikation durch eine kommerzielle Drohne, die aus der Leitstelle gesteuert werden kann, gefiel uns sehr. Die Übergabe von Meldungen zu Condor stellten wir mit unserem Software Development Kit zur Verfügung. Wir werden in naher Zukunft sehr viele dieser Kombinationslösungen im Markt sehen. Perimeter und Drohne: das passt perfekt zusammen.
Herr Westhoff, Sie sind bei Condor IMS für das Thema Drohnen zuständig. Condor ist unseren Lesern als Sicherheitsdienstleister mit Leitstellen und Interventionsdiensten ein Begriff. Wie kam es zu der Erweiterung ihres Portfolios um Drohnen?
Jan Westhoff: Für uns ist der Einsatz von Drohnen in der Sicherheitswirtschaft der nächste logische Schritt der Fernüberwachung von Kundenobjekten. Einerseits bietet der automatisierte und unbemannte Blick aus der Luft einen strategischen Vorteil, da in der Leitstelle ein – mobiles – Echtzeitbild aus bester Perspektive zur Beurteilung der Lage vor Ort vorliegt. Andererseits lässt sich auf bildgebende Verfahren hervorragend künstliche Intelligenz anwenden. Auf diese Weise kann die Leistelle den Einsatz des qualifizierten Interventionsdienstes effizient vorbereiten und mit Echtzeitdaten vom Objekt zielgerichtet steuern. Dies dient dem Eigenschutz der Mitarbeiter und beschleunigt die Eingriffszeit oder erübrigt einen kostspieligen Einsatz vor Ort gänzlich.
Da wir die strategische Bedeutung moderner Flugrobotik für die Qualitäts- und Effizienzsteigerung der Sicherheitsdienstleistungen bereits frühzeitig erkannt haben, beteiligte sich Condor Schutz und Sicherheit bei verschiedenen Anbietern dieser Schlüsseltechnologien. Darunter zählen seit 2018 der DJI-Reseller und zertifizierte Ausbildungsbetrieb U-ROB aus Bielefeld sowie seit 2017 das VTOL-Startup-Unternehmen Germandrones aus Berlin. Mittlerweile haben wir mit der Condor Multicopter & Drones aus Bergkirchen bei München, die sich mit Drohnen für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) befasst, und der Condor IMS (für 24/7-Anforderungen) mit direkter räumlicher Nähe zu unserer Leitstelle in Essen auch eigene Ausgründungen. Zusammengefasst bilden diese vier spezialisierten Bereiche die Condor Solutions. So können wir Sicherheitsbedürfnisse verschiedenster Auftraggeber aus dem In- oder Ausland mit einer anerkannten und erprobten Expertise sozusagen aus der dritten Dimension decken.
Wie arbeitet das System, wie wird es in konventionelle Perimeterschutzkonzepte integriert und welche Vorteile bieten sich?
Jan Westhoff: Das sogenannte Unmanned Aerial System (UAS) Blackbird von Nightingale Security schafft insbesondere für unklare Situationen flexible und schnelle Abhilfe. Das UAS besteht aus einer Blackbird-Drohne und einer wetterfesten Basis inklusive vollautomatischer Akku-Ladestation. Das System ist vor Ort 24/7 einsatzbereit. Die Drohne startet nach Alarmierung automatisch ihre Mission zum Auslöseort. Innerhalb kürzester Zeit sendet sie Echtzeitinformationen als Video- und Thermalstream an die Condor-Leitstelle. Hier wertet qualifiziertes und erfahrenes Personal die Informationen aus und leitet gegebenenfalls Maßnahmen ein. Die Drohne ist in diesem Sinne quasi die Erweiterung der bekannten Videomanagementsysteme um eine im dreidimensionalen Raum mobile Kamera. Ist die Mission abgeschlossen, kehrt die Drohne zurück zur Basis und ist bereit für ihren nächsten Einsatz.
Löst ein Täter die Einbruch-Sensorik des äußeren Perimeters eines Schutzobjektes aus, muss er aufklärbar und verfolgbar sein. Dazu bieten sich bisher, also konventionell, zwei Herangehensweisen an: Entweder ist der innere Bereich des Schutzobjektes ebenfalls umfangreich durch kostenintensive Sensorik überwacht. Oder es wird eine Interventionskraft alarmiert, die dann zu Fuß oder mit einem Fahrzeug mögliche Täter sucht. Die Alarmierung sowie Steuerung von Interventionskräften kostet nicht nur Geld, sondern insbesondere auch wertvolle Zeit. Die Drohne hingegen ist bereits nach kürzester Zeit vor Ort und kann flexibel im Bereich des Schutzobjektes bewegt werden.
Für Alarme, bei denen der Täter nicht eindeutig durch die Sensorik identifiziert werden kann, gelten bisher dieselben Verfahrensabläufe. Jedoch sind die Begleiterscheinungen kaufmännisch deutlich unangenehmer. Denn die Alarmverifikation ist mit den Faktoren Kosten und Zeit verbunden. Diese werden insbesondere dann schmerzhaft, wenn private oder behördliche Interventionskräfte nach langer Anfahrt feststellen, dass der Alarm – nur – durch Wildschweine ausgelöst wurde. Dabei spielt es keine Rolle, ob das System einmal oder mehrfach pro Nacht ausgelöst wird!
Wie gehen Sie im Normalfall bei einem solchen Projekt konzeptionell vor?
Jan Westhoff: Zunächst stehen erst einmal rechtliche Fragen an: Sowohl von behördlicher Seite, als auch zivilrechtliche Themen ebenso wie Fragen des Arbeits- und Datenschutzes. Welche Luftraumklasse sowie beidseitige Luft- und Bodengefährdungen liegen vor? Im vorliegenden Solarpark mit einem nicht zugänglichen Bereich, der obendrein stark durch Sicherheitstechnik von Styx gesichert ist, und der für uns einfachsten Luftraumklasse D ohne angrenzende Besiedlung waren diese Fragen recht einfach beantwortet. Dies dürfte auch für die meisten Solarparks dieser Größenordnung der Fall sein.
Anschließend geht es um die technischen und strategischen Fragestellungen: Welche Sensorik muss an unsere Leitstelle angebunden werden? Wo können wir die Drohnenbasis und ihre Sende- und Empfangseinheit aufstellen und versorgen. Und abschließend die Frage, wie die Drohne in einen vorhandenen Alarmplan und damit in ein schlüssiges Sicherheitskonzept integriert werden kann. Anschließend folgt dann die Programmierung der Flugmissionen für den Alarmfall - aber auch für reguläre Patrouillen, die alternativ zu personengestützten Kontrollen erfolgen können.
Für unsere Kunden bieten wir die Beantwortung dieser Fragen zunächst in einer Machbarkeitsstudie an. So haben wir die beidseitige Sicherheit, dass ein Projekt, insbesondere unter luftrechtlichen Aspekten, auch durchführbar ist. Im Rahmen der Machbarkeitsstudie erkennen unsere Kunden häufig auch weitere wirtschaftliche Vorteile des Drohneneinsatzes, zum Beispiel durch die Nutzung für regelmäßige Sichtkontrollen von Dächern und abgelegenen Geländebereichen.
Wichtig ist, dass wir unsere Kunden im Rahmen eines Gesamtservices versorgen. Das heißt, wir kümmern uns nicht nur um die Installation und Wartung der Systeme und der Software, sondern auch um die Schulung und Fortbildung von kundeneigenen Bedienkräften beziehungsweise Werkschutzkräften vor Ort, sofern diese nicht ohnehin von Condor gestellt werden.
Herr Westhoff, auch an Sie die Frage: wie erging es Ihnen, als Herr Piendl um Ihre Unterstützung in diesem Projekt bat und offenlegte, dass eventuell ein Millionenpublikum zur besten Sendezeit vor dem Bildschirm sehen würde, ob Sie den Test bestehen?
Jan Westhoff: Wir haben uns darauf gefreut, da wir wissen, dass das Nightingale Security UAS sehr zuverlässig funktioniert - und das zeigen wir natürlich gerne. Sobald das System vor Ort in Betrieb genommen und die Flugmissionen zu den Kamerapositionen programmiert waren, haben wir das Zusammenspiel der Komponenten Perimeter, Leitstelle, Drohne im Vorfeld vor Ort ausführlich getestet. Wir konnten also selbstbewusst den Testeinbruch erwarten.
Jetzt sind wir sehr gespannt. Danke nochmals für das exklusiv zur Verfügung gestellt Video aus Sicht der Drohnenkamera**. Sie waren an diesem Abend der verantwortliche Pilot – erzählen Sie, wie es ablief...
Jan Westhoff: Was sich Piendl und Dopler für den Testeinbruch ausgedacht hatten, blieb ihr Geheimnis. Da die beiden für kreative Vorgehensweisen bekannt sind, rechneten wir so gut wie mit allem.
Als der Alarm der PIR-Bewegungsmelder inklusive Videoanalyse an jener Stelle hereinkam, an der in der Vergangenheit erfolgreich eingebrochen wurde, waren wir hellwach. Wir wussten, dass beide Komponenten eine sehr niedrige Fehlalarmrate aufweisen und konnten über die Oberfläche des Videomanagementsystems unserer Leitstelle in Echtzeit sehen, dass sich eine Person außerhalb des Zaunes befand und zwei Personen mit Einbruchswerkzeug im Überwachungsbereich bewegten.
Unser Leitstellenmitarbeiter arbeitete unverzüglich den Alarmplan ab. Dieser sah die Anforderung einer Drohnenmission vor. Abhängig vom auslösenden Sensor fragt unser Videomanagementsystem in einem solchen Fall automatisch die passende Flugmission an. Zur Bestätigung wurde diese an meinen Arbeitsplatz, den Mission Manager der Drohne, übermittelt. Als Pilot bestätige ich die Ausführung der Flugmission. Die Drohne flog dann automatisch den Ort der Alarmauslösung an. Hier konnten sowohl die Mitarbeiter unserer Leitstelle als auch ich sehen, dass sich die beiden „Täter“ bereits innerhalb der Einzäunung befanden und sich weiter in das Innere bewegten. Ab diesem Zeitpunkt habe ich die Steuerung für die Ausrichtung der Kamera und Position der Drohne übernommen, um aus der Vogelperspektive den weiteren Tathergang zu verfolgen.
Als Piendl und Dopler das Surren der Drohne hörten, versuchten Sie ihr Vorgehen mit Rauchgranaten zu decken. Da wir mit einer Wärmebildkamera mit Infrarot-Technologie fliegen, konnten wir trotz Rauchschwaden und Pyrotechnik klar die Wärmesignatur der Täter erkennen und jede Bewegung verfolgen.
Anschließend versteckten die beiden sich unter den Solarpanelen, worauf ich die Position der Drohne wechselte, um einen besseren Blickwinkel zu bekommen. Auf dem Bild der RGB Kamera konnten wir erkennen, dass ein Laser auf uns gerichtet wurde. Im Bild der IR-Kamera ist dies nicht sichtbar.
Persönlich glaube ich an dieser Stelle, zwei Tätermuster unterscheiden zu können. Eine Vielzahl von Tätern hätte nach dem erfolglosen Angriff auf die Drohne aufgegeben und wäre geflüchtet. Nicht so Piendl und Dopler. Die beiden haben sich getrennt und sich hinter einem Wechselrichterhäuschen versteckt. Ein solches Tätervorgehen, also dass sich Täter bewusst einschließen lassen und seelenruhig den weiteren Verlauf abwarten, gab und gibt es wirklich. Uns kam die Dreistigkeit von Piendl/Dopler entgegen, da wir beide mit der Drohne „scheuchen“ und somit binden konnten. Das war wertvolle Zeit für die Interventionskräfte, die nach knapp 18 Minuten vor Ort waren und beide Täter „punktgenau einsammeln“ konnten. Mit einem Klick zum Kommando „Return to Base“ war mein Einsatz beendet und die Drohne flog selbstständig zur Base in ihre Lande- und Ladeposition zurück.
Aus unserer Sicht ein voller Erfolg: Die Technik von Adpro und Nightingale Security samt Management der drohnengestützten Alarmintervention über unsere Notruf-Serviceleitstelle haben perfekt funktioniert. Wir haben uns mit Profis angelegt, die alles unternommen haben, um uns loszuwerden, und dennoch konnten wir die beiden permanent im Blick behalten und durch unseren Interventionsdienst zielgerichtet stellen.
Herr Piendl – aus Sicht des Sachverständigen: Wie haben sich die Unternehmen geschlagen?
Markus Piendl: Das Zusammenspiel der technischen Lösungen hat sehr gut funktioniert. Verbessern lässt immer etwas: Videoanalysesysteme sollten zum Beispiel grundsätzlich eine Georeferenzierung vorhalten und Schnittstellen auf Protokollbasis von Perimeter- zu Drohnenlösungen sollten zu einem Standard werden.
*Galileo-Dreh: Stressiger als jeder Einbruch
Business Partner
Condor Schutz- und Sicherheitsdienst GmbHRuhrtalstr. 81
45239 Essen
Deutschland
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