Sicherheitskonzepte für Katastrophen: Der Studiengang „Integrated Safety and Security Management“
Der in der Folge des Anschlags vom 9. September 2001 gegründete Studiengang Integrated Safety and Security Management (ISSM) an der Hochschule Bremerhaven befasst sich unter and...
Der in der Folge des Anschlags vom 9. September 2001 gegründete Studiengang Integrated Safety and Security Management (ISSM) an der Hochschule Bremerhaven befasst sich unter anderem mit Sicherheitskonzepten und Krisenszenarien für Katastrophenfälle in Deutschland, aber auch mit Fragen aus Safety und Arbeitsschutz. Matthias Erler von GIT-SICHERHEIT.de sprach darüber mit Frank Reininghaus, Fregattenkapitän und designierter Professor für den Studiengang.
GIT-SICHERHEIT.de: Herr Reininghaus, der Name Sandy klingt ja vergleichsweise harmlos - war aber, wie die Welt gesehen hat, alles andere als das. Wären wir hier in Deutschland auf so ein drastisches Unwetter vorbereitet?
Frank Reininghaus: Auf die hier in Deutschland zu erwartenden Naturkatastrophen sind wir aus meiner Sicht mehr oder weniger gut vorbereitet. Auf größere Erdbeben, Tsunamis und dergleichen bereitet sich bei uns natürlich niemand vor - dergleichen ist bei der geomorphodynamischen Voraussetzungen unseres Landes bzw. unserer Gewässer nicht zu erwarten. Extreme Temperaturstürze, Hochwasser oder Sturmfluten können dagegen durchaus vorkommen. Die meisten solcher sogenannten Elementarschäden werden durch hydrometeorologische Naturereignisse verursacht. Schnee, Blitzschlag, Hagel, Überschwemmungen, Frost, Lawinen, Dürre und Waldbrände fallen darunter.
...und deren Analyse ist Gegenstand Ihres Lehrplans?
Frank Reininghaus: Wir analysieren bei uns ständig solche Ereignisse - so etwa das Elbehochwasser von 2002, bei dem ich selbst als Marineangehöriger involviert war. Ein anderes Beispiel ist ein Stromausfall durch Kälteeinbruch, wie etwa beim Münsterländer Schneechaos am ersten Adventswochenende 2005.
Sie erwähnten aber auch Katastrophen in anderen Erdteilen - etwa mit Fukushima?
Frank Reininghaus: Katastrophen, die mit kritischen Infrastrukturen zusammenhängen, und die auch für uns aussagekräftig sein können, sind immer Gegenstand unserer Analysen. Wir schauen uns genau an, wie etwa der Betreiber Tepco mit dem Unglück umgeht, welche Strategien es vorher gab, welche nachher entwickelt wurden, etc. Dafür holen wir möglichst Informationen aus erster Hand ein, denn es geht uns darum, möglichst viel davon lernen zu können.
Nun ist Tepco ja sehr in der Kritik gewesen und ist dies noch?
Frank Reininghaus: Auch schlechte Beispiele können einen Lerneffekt bewirken - nichts ist insoweit ohne Nutzen für uns. Im Gegenteil: Ich konfrontiere meine Studenten gerne absichtlich mit tatsächlich so abgelaufenen Szenarien, und lasse sie auf Fehlersuche gehen und Verbesserungsvorschläge erarbeiten.
Katastrophenvorsorge ist aber nur ein Teilbereich des Studiums?
Frank Reininghaus: Dazu kommen der Bereich Safety (Arbeitsschutz, Unfallverhütung etc.) sowie der Bereich Security. Bei letzterem geht es uns um Themen wie Kleinkriminalität und organisierte Kriminalität, Spionage, Sabotage und letztlich auch Terrorismus. Ereignisse wie 9/11 besprechen wir hier ebenso wie beispielsweise Piraterie am Horn von Afrika. Im Bereich Safety geht es zum Beispiel um das Gefahrenpotential von logistischen Produktionsprozessen und Anlagen. Szenarien sind etwa, dass ein Kran gegen eine Chlorleitung stößt, so dass das Gas austritt, oder es werden etwa Natronlauge und Salpetersäure versehentlich gemischt. Beim „risk assessment of hazardous materials" geht es um das Gefährdungspotential von Chemikalien - dafür betreiben wir ein Labor. Das Studienangebot ist insgesamt sehr umfassend: Arbeitsschutzschulungen gehören hierhin, aber auch Verwaltungs- und Strafprozessrecht. Übrigens sind wir sehr international ausgerichtet: Um unsere Studenten auf internationale Einsatzgebiete sowie internationale Konferenzen und Gremienarbeit vorzubereiten, findet der Unterricht teilweise auf Englisch statt, es werden auch viele englischsprachige Originaldokumente in den Vorlesungen genutzt.
Lassen Sie uns noch einmal zu den Katastrophenfällen kommen. Die durch solche Unglücke bewirkten Stromausfälle sind ja ein großes Problem. Wer würde bei solchen Stromausfällen in Deutschland eigentlich welche Funktionen ausüben? Wer hätte die Gesamtleitung? Die Kommune, das Land oder gar der Bund?
Frank Reininghaus: Das ist relativ einfach: Die Zuständigkeiten ergeben sich grundsätzlich nach der flächenmäßigen Ausdehnung des Stromausfalls. Dementsprechend ist der Landrat, das Land oder unter Umständen eben auch der Bund zuständig. In letzterem Fall werden dann das Bundesamt für Katastrophenschutz, die Bundesnetzagentur und auch das Wirtschaftsministerium aktiv.
Wo liegen die Hauptprobleme im Management solcher Krisen. Welche Krisenpläne träten in so einem Fall in Kraft - und wie sind sie aufgebaut?
Frank Reininghaus: Das ist ganz unterschiedlich in den einzelnen Bundesländern geregelt. In Nordrhein-Westfalen gibt es dafür z. B. das Gesetz über den Feuerschutz und die Hilfeleistung (FSHG). Dort ist auch vorgeschrieben, wer bei Großschadensereignissen die Leitung und Koordinierung übernimmt. Die bestehenden Katastrophenpläne sind von unterschiedlicher Qualität und unterscheiden sich natürlich auch inhaltlich je nach geographischer Lage. Als Organisationsform hat sich das Stabsmodell durchgesetzt - es wird also ein Krisenstab gebildet, der in der Regel aus sieben Personen besteht. Das Vorbild dafür ist dem militärischen Bereich entnommen; in ähnlicher Form und mit teils abgewandelten Bezeichnungen verwendet man dieses Modell auch im zivilen Bereich. Dem Leiter des Stabes unterstehen die Stabsmitglieder für Personal (S1), Lage (S2), Einsatz (S3) sowie Logistik, Versorgung und Transport (S4), die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (S5) sowie IT und Kommunikation (S6). In manchen Stäben werden einzelne Funktionen zusammengelegt (z. B. S1 und S4, Personal und Logistik) bzw. in umfangreichen oder komplexen Lagen mit mehreren Personen besetzt.
So machen Sie's auch in Ihrer eigenen Hochschule...
Frank Reininghaus: Ja, ich bin selbst hier in Bremerhaven einer der designierten Leiter des Stabsbereichs 3 (Einsatz) für das Notfall- und Krisenmanagement der Hochschule Bremerhaven. Wir haben in unserem Studiengang ein entsprechendes Notfall- und Krisenmanagement-Handbuch mit Checklisten und Handlungsanweisungen erarbeitet. Das ist in dieser umfassenden Form für Hochschulen bundesweit einmalig.
Wie sieht es mit unseren Unternehmen aus - bei den KMU und der Industrie? Ist man in Deutschland hinreichend auf Notfälle und Naturkatastrophen vorbereitet? Bleiben wir vielleicht einfach mal beim Thema Stromausfall?
Frank Reininghaus: Stromausfall ist in der Tat eines der wichtigsten Themen, denn sie führt zu Telefon- und Internetausfall. Die Schnittstelle ist grundsätzlich das Haupttor bzw. die Grundstücksgrenze - innerhalb derer beginnt die Verantwortlichkeit des Unternehmens. Dafür entwickelt es Notfallpläne, die wir auch bei uns in Fallstudien analysieren, die z. B. den Umgang mit brennbaren Stoffen auf dem Betriebsgelände betreffen. Wird aber - wie im November 2006 geschehen - ein Schiff durch die Ems überführt und die geplante Stromabschaltung führt zu einer Kettenreaktion von Stromausfällen, die nach übereinstimmenden Schätzungen bis zu 10 Millionen Haushalte, den Bahnverkehr und vieles mehr betreffen, dann greifen Landes-, Bundes- oder gar EU-weite Verantwortlichkeiten.
Sie spielen ja in Ihrem Studiengang regelmäßig konkrete Szenarien durch, bei denen Ihre maritime Vergangenheit zum Tragen kommt - geben Sie uns einmal ein Beispiel?
Frank Reininghaus: Ein Beispiel aus dem letzten Jahr war eine Stabsübung „Schiffskollision vor List auf Sylt"; nur einen Monat später ereignete sich die Havarie der Costa Concordia, die in vielen Aspekten unserer Übung ähnelte. Ein weiteres aktuelles und herausforderndes Beispiel sind Offshore-Windenergie-Anlagen. Wenn so eine Anlage brennt, dauert es unter Umständen recht lange, bis eine Feuerlöscheinrichtung vor Ort ist. Das Beste ist in der Regel das kontrollierte Abbrennen lassen, denn ein umstürzender Mast ist hier - anders als an Land - unproblematisch. Meine Studenten konfrontiere ich u.a. mit Szenarien, in denen bei einer Sturmflut dort draußen etwa ein Versorgungshubschrauber abstürzt, es Verletzte gibt, der Funkkontakt ausgefallen ist, etc. Was tut man, wenn ein „Black Ship" (Schiff mit Komplettausfall der Elektrik) wegen ausgefallener Maschinen dem Windpark entgegendriftet? Was, wenn das Schiff Gefahrgut geladen hat? Oder wenn Terroristen einen Gastanker absichtlich in den Windpark steuern?
Das hört sich unerfreulich an...
Frank Reininghaus: Man muss aber darauf vorbereitet sein. In unserem Studiengang doziert auch ein Kriminalpsychologe, der den Studenten erklärt, wie man versuchen kann, Täter von ihrem Vorhaben abzubringen.
Wer studiert eigentlich bei Ihnen?
Frank Reininghaus: Es handelt sich um einen Masterstudiengang - man muss also bereits einen Bachelor- oder einen vergleichbaren Abschluss mitbringen. Unsere Studenten kommen von Studiengängen wie Transportwesen und Logistik (Hochschule Bremerhaven), Risk- and Security-Management (Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen), Rescue Engineering Management (Hamburg) oder Security and Safety Engineering (Furtwangen). Auch Absolventen des Studiengangs Sicherheitsmanagement der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin haben wir als Master-Studenten, ebenso wie BWL-, VWL- und Psychologie-Absolventen.
Herr Reininghaus, herzlichen Dank für das Gespräch.
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