Sorglos in der City - Digitalisierung im Dienst des Sicherheitsgefühls im urbanen Raum
Smart City ist der Begriff für eine moderne Stadt, die die Chancen der Digitalisierung und Vernetzung nutzt, um die Lebensverhältnisse der in ihr wohnenden und arbeitenden Bürger zu optimieren. Ein Überblick von Sicherheitsberater MinDir a.D Reinhard Rupprecht.
In der Smart City werden – soweit nicht die Schutzbedürftigkeit kritischer Infrastrukturen, des Datenschutzes oder sonstige Vorschriften des öffentlichen Rechts entgegenstehen – Daten aus dem städtischen Netzwerk, aus Datenbanken und einschlägigen Statistiken, von Sensoren und den verschiedensten Endgeräten gewonnene Daten, auf einer Betriebsplattform zusammengeführt und ausgewertet. Dies geschieht mit dem Ziel, durch die Verknüpfung und die Anwendung Künstlicher Intelligenz Erkenntnisse für die stetige Verbesserung der städtebaulichen und –räumlichen Planung, der Verkehrsinfrastruktur, der Energie- und Wasserversorgung, für alle Bereiche der Daseinsfürsorge und für Verwaltungsprozesse zu gewinnen.
Die Bürger sollen sich in der Smart City wohlfühlen, und dazu gehört, dass sie in Sicherheit leben und sich auch sicher fühlen. Nach der neuesten Umfrage des Demoskopie-Instituts Allensbach bei den Bürgern in Baden-Württemberg fühlen sich 60 % der Menschen an ihrem Wohnort sicher, 26 % sogar sehr sicher. In der City dürfte das Sicherheitsgefühl etwas geringer sein, zumal sich 82 % der Befragten dafür aussprechen, dass öffentliche Plätze verstärkt videoüberwacht werden.
Kriminalität in der City
Über eine Million Delikte der Straßenkriminalität sind im Jahr 2020 von der Polizei ermittelt worden. Das sind durchschnittlich zwei solcher Straftaten in jeder Minute, das Dunkelfeld nicht angezeigter Vorfälle nicht mitgerechnet. Besonders stark leidet das Sicherheitsgefühl der Menschen in der City durch Terroranschläge oder Amokfahrten mit zahlreichen Opfern und die breite Berichterstattung in den Medien über solche Vorfälle, wie sie sich auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz 2019 oder in der Trierer City im Dezember 2020 ereignet haben. Auch die schadensträchtige und für Anwohner oft lebensbedrohliche Sprengung von Geldautomaten, die gehäuft in der City begangen wird, beeinträchtigt die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl. Mehr als 400 Geldautomaten wurden im Jahr 2020 gesprengt.
Der Einzelhandel in der City wird durch die zahlreichen Fälle des Ladendiebstahls geschädigt. Das EHI Retail Institute schätzt den durch Ladendiebstahl im Jahr 2019 verursachten Schaden auf 3,75 Milliarden Euro. 304.000 Ladendiebstähle wurden 2020 ermittelt. Das sind durchschnittlich rund 100 in jeder Ladenöffnungsstunde. Dabei reichen die Schätzungen des nicht ermittelten Dunkelfeldes bis 98 %.
Und natürlich liegt die digitalisierte, vernetzte Stadt im Fadenkreuz der Cyberattacken. Kritische Infrastrukturen wie die Energie- oder die Wasserversorgung werden digital gesteuert. Liegt in dem Steuerungssystem irgendwo eine Schwachstelle, so ist dies für Hacker eine hervorragende Gelegenheit, durch Ransomware Daten in dem digitalen Prozess zu verschlüsseln und für die Entschlüsselung hohe Lösegeldsummen zu verlangen.
Sicherheitsexperten von Kaspersky Lab haben herausgefunden, dass Verkehrssensoren leicht manipuliert werden können. Sollten Kriminelle einen Zugang zur digitalen Verkehrsinfrastruktur der Smart City finden, dann drohen Beeinträchtigungen von Daten, die über Straßensensoren erfasst wurden, Zerstörung wertvoller Smart City-Ausrüstung und Sabotage. Aber es gibt technische Möglichkeiten, alle diese Gefahren in einem Maße zu reduzieren, dass sich die Bürger in der Smart City sicher und wohl fühlen können.
Die Smart City ist videoüberwacht
Zur Smart City gehört die Videoüberwachung. Die Polizei darf Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten einsetzen, um Straftaten zu verhüten und das Sicherheitsgefühl zu stärken. Die ständige Innovation der Kamerasysteme und die intelligente Bildanalyse mittels künstlicher Intelligenz und vordefinierter automatisierter Alarmierung ermöglichen sehr gute Überwachungsleistungen, auch unter widrigen Witterungsbedingungen. Hinzu kommt die Videoüberwachung in Hausrechtsbereichen, um potenzielle Täter abzuschrecken oder Täter zu detektieren. Auch die Einhaltung der Hygiene- und Abstandsvorschriften zur Eindämmung der Corona-Pandemie kann durch Videoüberwachung überprüft und somit die Sicherheit vor Infektionen erhöht werden.
Technischer Schutz vor Amokfahrten
Fußgängerzonen und Märkte werden vor Amokfahrten am besten durch versenkbare Poller geschützt. Viele Städte haben das getan. Bei akuter Anschlagsgefahr können die Poller in wenigen Sekunden ausgefahren werden. Mehrere lassen sich zentral gesteuert synchron ausfahren und absenken. Zum Schutz von Großveranstaltungen eignen sich auch mobile Systeme: Metallgehäuse, die mit Sand oder Wasser gefüllt werden. Das Barrier Publifor HVM-System von Betafence wurde mit mit dem Aufprall eines LKW bei einer Geschwindigkeit von 65 km/h erfolgreich getestet.
Schutz vor Sprengung von Geldautomaten
Mit einer Vielzahl baulicher, technischer und organisatorischer Vorkehrungen kann die Tatgelegenheit zur Sprengung von Geldautomaten wesentlich gemindert werden.
Dazu gehören insbesondere
- die Auswahl des Aufstellungsortes und der Einbau in eine Wand
- die Leerung während der Nachtzeit mit deutlichem Hinweis für potentielle Täter
- einbruchhemmende Foyer-Eingangstüren und deren Schließung für die Nachtzeit sowie Schutz des Eingangsbereichs durch Poller
- Überwachung durch Einbruchmeldeanlage und Videoüberwachung
- Einbau von Modulen, die das Einleiten von Gas behindern
- Installation eines Banknoten-Neutralisierungssystems mit Hinweis für Täter
- Vernebelungssystem, das bei Aufbruch oder Sprengung automatisch ausgelöst wird.
Demonstrationen in der City
Die Entwicklung von Gewalttätigkeiten am Rande von Demonstrationen lässt sich durch Beobachtungsdrohnen oft eher erkennen als durch die Feststellung vorrückender Einsatzkräfte. Das erhöht die Chance, sie rechtzeitig zu verhindern oder wenigstens einzudämmen.
Sicherheit im öffentlichen Personenverkehr
In der Smart City wird der Verkehr sowohl auf der Straße wie auf der Schiene durch Sensoren und deren Auswertung durch intelligente Algorithmen mit dem Ziel einer möglichst unfallfreien hohen Mobilität gesteuert. Solche Steuerungssysteme müssen vor Cyberangriffen geschützt werden. Sowohl in Bahnhöfen wie in Bahnen und Bussen kann Videoüberwachung sich anbahnende Gewalttätigkeiten frühzeitig detektieren und automatisch Alarm auslösen. Auch wenn die ursprüngliche Absicht des Bundesinnenministers, nach den erfolgreichen Tests 2019 im Berliner Bahnhof Südkreuz den Einsatz von Gesichtserkennungssystemen zur Fernidentifikation gesuchter Personen bei der Bundespolizei einzuführen, nicht verwirklicht wurde, sollte entsprechend der Erwartung der Bürger die Videoüberwachung in Bahnhofsbereichen erweitert werden.
Verhinderung von Ladendiebstählen und Einbrüchen
Kritische Infrastrukturen, öffentliche Gebäude, Museen, aber auch Geschäfte in der City lassen sich durch mechanischen Objektschutz, Einbruchmeldesysteme und Videoüberwachung sichern. Vor Ladendieben schützen vor allem Warensicherungsetiketten in Verbindung mit Kontrollgates ebenso wie die Videoüberwachung des Hausrechtsbereichs. Das Verhalten eines Ladendiebes kann durch Deep Learning mittels intelligenter Algorithmen detektiert werden. Interessant ist auch hier der Einsatz der Gesichtserkennungs-Technologie. So hat zum Beispiel eine Ladenkette in den USA die Gesichter aller Personen, die wegen Ladendiebstahls in einer der Filialen ermittelt wurden, in einer Datenbank gespeichert.
Insbesondere für kleinere Geschäfte in der Einkaufszone der City erscheint das Modell von City Guards eines Sicherheitsdienstleisters zur Unterstützung des Ladenpersonals bei Überfällen und Ladendiebstählen interessant. Sie bewegen sich in der Zone auf Fahrrädern oder E-Rollern, um auf einen Notruf eines der angeschlossenen Geschäfte in einer vordefinierten möglichst kurzen Zeitspanne vor Ort zu sein. Im öffentlichen Raum selbst nehmen sie mangels hoheitlicher Befugnisse keine aktiven Sicherheitsfunktionen wahr.
Vernetzte Systeme und Kooperationen in der Smart City
Ein Höchstmaß an Sicherheit in der Smart City lässt sich durch vertrauensvolle Kooperation aller öffentlichen und privaten Sicherheitsverantwortlichen – Polizei, Kommunalbehörden, Betreiber kritischer Infrastrukturen und Sicherheitswirtschaft – optimieren. Dass und wie dies gelingt, dafür gibt es zahlreiche Beispiele deutscher Großstädte. Der im Rahmen unterschiedlicher Kompetenzen, Befugnisse und Datenschutzbestimmungen mögliche Informations- und Datenaustausch kann durch Vernetzung und Automatisierung und durch die Verknüpfung von Sicherheitskonzeptionen intensiviert werden.
Als Beispiele erwähnt seien die „Allianz Sichere Sächsische Kommune“ oder auch die Sicherheitspartnerschaft zwischen dem baden-württembergischen Innenministerium und Stuttgart. In der Smart City sind alle Sicherheitsbedürfnisse vernetzt und die Sicherheitslösungen durch die Integration optimiert.
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