Unternehmenssicherheit beim weltgrößten Chemiekonzern BASF
GIT SICHERHEIT im Interview mit Julia Vincke, Vice President Security BASF Group, über Strategien und Herausforderungen in der Konzernsicherheit.
BASF ist mit rund 230 Produktionsstandorten in 90 Ländern der größte Chemiekonzern der Welt. Mehr als 111.000 Mitarbeiter beschäftigt der Konzern. Seit März leitet Julia Vincke als Vice President Security BASF Group die Unternehmenssicherheit. Sie war vorher unter anderem bei Volkswagen und in Hochrisikoländern wie Afghanistan und Libyen tätig. GIT SICHERHEIT hat sich mit Julia Vincke über die gewaltigen Herausforderungen ihres Jobs und ihre strategischen Ansätze zu ihrer Bewältigung unterhalten.
Frau Vincke, vielen Dank, dass Sie sich für dieses Interview mit GIT SICHERHEIT die Zeit nehmen. Sie haben ja erst vor kurzem – im März dieses Jahres – die Aufgabe der globalen Konzernsicherheit bei BASF übernommen, des größten Chemiekonzerns überhaupt. Eine Aufgabe, vor der man ja durchaus Respekt hat...?
Julia Vincke: Vielen Dank für die Einladung zu diesem Interview, die ich natürlich sehr gerne angenommen habe, insbesondere in meiner neuen Rolle als Leiterin der BASF Unternehmenssicherheit. Wie Sie schon richtig sagen, die BASF ist der weltgrößte Chemiekonzern, vertreten in 90 Ländern mit über 230 Produktionsstandorten. Weltweit zählen wir über 111.000 Mitarbeitende. In diesem Zusammenhang ist es unglaublich wichtig, so einer Aufgabe mit dem nötigen Respekt, aber nicht mit Zaghaftigkeit, zu begegnen. Natürlich geht es insbesondere in der Anfangszeit vornehmlich darum, zuzuhören, zu lernen, das Team sowie das Unternehmen kennenzulernen.
Mir wurde der Start, obwohl er mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs zusammenfiel, sehr leicht gemacht. Ich habe ein engagiertes und kompetentes Team, auf das ich mich verlassen kann und das mir den Rücken stärkt. Aus gesundem Respekt wurde so sehr schnell Begeisterung für die neue Aufgabe und allen damit verbundenen Herausforderungen. Dafür bin ich sehr dankbar, auch wenn man natürlich über Nacht eine große Verantwortung für die Sicherheit der Menschen und Unternehmenswerte der BASF trägt.
Kurz zu Ihrem Background: Sie waren vorher bei VW, davor wiederum bei Mediamarkt-Saturn. Und Sie waren 17 Jahre im Polizeidienst in Niedersachsen tätig – wobei Sie auf Stationen in Afghanistan und Libyen zurückblicken. Dieser kräftige internationale Einschlag Ihrer Karriere wird Ihnen sicherlich bei Ihrer neuen Aufgabe helfen?
Julia Vincke: Ja, ich habe eine breit gefächerte Sicherheitsexpertise: Ich kenne den behördlichen, internationalen, akademischen und unternehmerischen Kontext. Aber Sie haben natürlich recht, meine Auslandserfahrung, insbesondere in Hochrisikoländern, hat mich geprägt und mir das entsprechende Rüstzeug für meinen beruflichen Werdegang gegeben. Internationale Erfahrung gesammelt sowie die damit verbundenen Netzwerke geknüpft zu haben, hilft mir im Umgang mit Sicherheitsthemen. Sicherheit ist ja nicht nur vor unserer eigenen Haustür relevant, insbesondere in einer globalisierten Welt und im Zeitalter der Digitalisierung.
Wie wir alle mit Beginn der Covid-19-Pandemie oder des aktuellen Ukraine-Kriegs lernen mussten, haben globale Krisen immer auch einen nachhaltigen Einfluss auf die Sicherheitslage, national, regional oder international. Mir war es persönlich immer wichtig, geopolitische Kontexte zu verstehen. Wenn wir einmal bei den Beispielen Libyen und Afghanistan bleiben, so haben wir beim Sturz Gaddafis oder der Machtübernahme der Taliban zusehen müssen, was aus langjährigen internationalen Bemühungen geworden ist. Einer ähnlichen Herausforderung stehen wir jetzt in der Ukraine gegenüber, denn der Impact dieses Kriegs geht weit über Sicherheitsbedenken hinaus.
Ich schätze es sehr, auch bei BASF in einem internationalen Kontext arbeiten zu dürfen, vielfältige Themen im engen Austausch mit den Sicherheitsverantwortlichen unterschiedlicher Regionen und den damit verbundenen unterschiedlichen Herausforderungen angehen zu können.
Die BASF hat ja Vertretungen und Produktionsstandorte in 90 Ländern dieser Erde. Als Vice President Security sind Sie nicht nur für das Stammwerk in Ludwigshafen verantwortlich. Wie ist die Sicherheit global organisiert?
Julia Vincke: Als global agierendes Unternehmen ist BASF, wie jedes andere Unternehmen auch, tagtäglich mit einer Vielzahl von Sicherheitsrisiken konfrontiert. Diesen können wir nur standhalten, wenn wir eine robuste Sicherheitsinfrastruktur haben und Teamwork leben sowie fördern. Neben unserer zentralen Sicherheitsorganisation im Stammwerk Ludwigshafen, die aus vier Gruppen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten besteht, habe ich ein Team von Regional Security Managern in den USA, Südamerika und Asien, die wiederum eine Vielzahl von sogenannten Area Security Managern auf Länderebene und Site Security Managern auf Standortebene steuern.
Die IT-Sicherheit gehört bei BASF aber zu einer anderen Abteilung...?
Julia Vincke: Die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt lässt die Grenze zwischen physischer und digitaler Sicherheit zunehmend verschwimmen. Diese Konvergenz zwischen digitaler und physischer Sicherheit erkennen wir bei BASF natürlich auch. Aus diesem Grund stehen alle mit dem Thema Sicherheit betrauten Organisationen in einem sehr engen Schulterschluss zusammen – unabhängig ihrer organisatorischen Zugehörigkeit. Sicherheit lässt sich nur in einem übergreifenden Ansatz generieren, die klassische Silomentalität ist hier also lange überholt, nur ein ganzheitlicher Managementansatz ist in diesem Zusammenhang zukunftsträchtig.
Sie haben schon in unserem Vorgespräch angerissen, dass Sicherheitsabteilungen von Unternehmen meist gewachsen sind mit der Zeit – auch in Form bestimmter tradierter Strukturen. Sie stellen sich gerade Ihr Team zusammen. Was möchten Sie diesbezüglich neu und anders machen? Wie sieht Ihre Mannschaft aus?
Julia Vincke: Historisch gesehen war die Sicherheitswelt nie besonders vielfältig, insbesondere nicht im mittleren Management oder gar in Leitungsfunktionen. Glücklicherweise sehen wir jetzt schon einen Trend, der lang etablierte Strukturen aufweicht. Die Arbeitswelt ist derzeit einem grundlegenden Wandel unterworfen. Aufbau, Etablierung sowie Erfolg von Sicherheitsorganisationen hängen maßgeblich von der personellen Zusammensetzung und Verfügbarkeit von geeignetem Personal ab. Dieser Umstand wird nicht zuletzt durch digitale Transformation, demographischen Wandel und Wettbewerb um geeignete Talente verstärkt. Aus diesem Grund ist die personelle Aufstellung von Sicherheitsorganisationen wesentlich komplexer als nur die reine Rekrutierung von Personal mit unterschiedlicher Expertise.
Traditionell haben Sicherheitsorganisationen in der Wirtschaft möglichst große Teile ihres Personalkörpers aus staatlichen Sicherheitsbehörden rekrutiert, das war bei mir persönlich auch der Fall. Über Jahre galt die ehemalige Zugehörigkeit zu Polizei, Nachrichtendienst oder Militär als wesentliche Qualifikation für die Besetzung von Sicherheitsfunktionen in der Wirtschaft.
Das Kompetenzportfolio zukunftsträchtiger sowie leistungs- und wettbewerbsfähiger Sicherheitsorganisationen muss zwingend geschärft werden. Wesentlicher Fokus muss auf die Integration von Tätigkeitsanforderungen wie Prozesskompetenz, Technologiekompetenz, Strategiefähigkeit und Innovationskompetenz gelegt werden. Ich bin der Überzeugung, dass wir neues Terrain beschreiten müssen, um geeignetes und verantwortungsbewusstes Personal zu finden sowie zu binden. Hierbei spielen Diversität wie Geschlecht, Alter, Ethnizität und professioneller Werdegang, aber auch Entlohnung eine elementare Rolle.
Ein von mir sehr geschätzter Sicherheitsexperte, Marco Cabric, sagte in diesem Zusammenhang, dass Sicherheitsorganisationen von „James Bonding“ zu „Bonding“ gehen müssen. Die Zusammensetzung von erfolgreichen Teams in Sicherheitsorganisationen muss derart gestaltet werden, dass diese gerüstet sind, komplexe Tätigkeiten entlang vielschichtiger Strukturen, in unübersichtlichen Situationen und über geographische Distanzen hinweg auszuführen. Hierfür braucht es eine zukunftsfähige Personalstrategie, die die zuvor beschriebenen Kompetenzen fördert und fordert.
Genau diesen Ansatz habe ich bereits in der Vergangenheit bei der Zusammenstellung meiner Teams beherzigt und möchte das natürlich auch in Zukunft so weiterführen. Meine Teams in der BASF Unternehmenssicherheit sind in Bezug auf die berufliche Expertise bereits sehr divers aufgestellt. Ich habe Mitarbeitende, die eben nicht den klassischen Sicherheitsbackground, sondern beispielsweise akademische Abschlüsse in den Bereichen Informatik, Politikwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Digitale Forensik und Intelligence haben. Diese unterschiedlichen Betrachtungswinkel auf das Thema Sicherheit erlauben uns einen holistischen Bewertungsansatz.
Stichwort „Mannschaft“: Sie sind ja eine der wenigen Frauen in Ihrer Position – generell gibt es vergleichsweise wenige Frauen in der Sicherheitsbranche. Welche Haltung vertreten Sie diesbezüglich?
Julia Vincke: Diese Frage ist eigentlich untrennbar mit dem gerade Gesagten verbunden. Die Welt der Unternehmenssicherheit ist in der Tat immer noch sehr männerdominiert, in den DAX 40 Unternehmen sind meines Wissens nur insgesamt drei Frauen an der Spitze der Sicherheitsorganisation. Da gibt es natürlich noch Optimierungsbedarf, zumal Sicherheitsorganisationen viele tolle Frauen in der zweiten und dritten Linie haben. Zudem studieren auch immer mehr Frauen Sicherheits- und Risikomanagement. Trotzdem müssen Sicherheitsorganisationen daran arbeiten, das Berufsfeld der Unternehmenssicherheit transparenter und moderner zu bewerben, um es auch für Frauen attraktiver zu machen.
Das Thema „Frauen in der Sicherheit“ liegt mir tatsächlich persönlich sehr am Herzen, ich habe gerade kürzlich erst eine interne Fotokampagne gestartet, die den Frauen in der BASF Unternehmenssicherheit ein Gesicht gegeben hat. Das Feedback war unglaublich positiv, was mich sehr gefreut hat. Es gibt mittlerweile auch einige Initiativen in der Wirtschaft, die genau dieses Thema aufgegriffen haben. Zusammen mit anderen Sicherheitschefinnen plane ich aber auch Veranstaltungen, bei denen wir das Thema Sicherheit, insbesondere für die sogenannten Millennials, bewerben möchten.
Lassen Sie uns einmal einen näheren Blick auf die Ziele und Strategien werfen, die die Konzernsicherheit bei BASF verfolgt. Könnten Sie uns das – bei aller Komplexität des Unterfangens – einmal überblicksmäßig darstellen?
Julia Vincke: Sicherheitsorganisationen müssen vor dem Hintergrund sich global verändernder Rahmenbedingungen komplexe Anforderungen bewältigen. Um diesen aktuellen Realitäten gerecht zu werden, benötigen Sicherheitsorganisationen – neben einem klar definierten Auftrag – eine Strategie und Planungsfähigkeit. Langfristiges Vorausdenken ist unabdingbar, wenn man eine adäquate Sicherheitsstrategie entwickeln will. Langfristige Trends wie sich verändernde regulatorische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, geografische oder politische Rahmenbedingungen, sind bei der Formulierung der jeweiligen Strategie zu berücksichtigen. Grundsätzlich richtet sich eine Sicherheitsstrategie natürlich auch immer an der Strategie des jeweiligen Unternehmens aus. Da gibt es, je nach Industriesektor, schon Unterschiede.
Zusätzlich leben wir in einer VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) und gerade in den vergangenen Jahren mussten wir alle feststellen wie anfällig oder auch verletzbar wir als Staat, Unternehmen oder als Zivilgesellschaft sind. Angefangen mit der Covid-19 Pandemie, über die Flutkatastrophen in Europa, bis hin zum aktuellen Ukraine-Krieg. Krisen werden sich in der Zukunft sowohl quantitativ als qualitativ intensivieren und somit muss es Teil der Sicherheitsstrategie sein, derartigen Ereignissen adäquat begegnen zu können. Krisenantizipation, Krisenmanagement und Krisenevaluation spielen in diesem Kontext eine elementare Rolle, auch für BASF. Es ist ein wenig wie Aristoteles sagte, wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel richtig setzen.
Mit Krisenereignissen kommen auch immer neue Kriminalitätsphänomene an die Oberfläche. Denn so perfide es ist, kriminelle Netzwerke nutzen Krisen, seien es politische Krisen, Kriege, Pandemien oder Naturkatastrophen, für sich, um entstehende Sicherheitsvakuums zu füllen. Deswegen ist es uns als Unternehmenssicherheit wichtig, ständig am Puls aktueller Entwicklungen zu sein.
...eine gewaltige und komplexe Aufgabenstellung...
Julia Vincke: Das schafft man nur im Zusammenspiel mit anderen sicherheitsrelevanten Stakeholdern, Sicherheit ist interdisziplinär. Das gilt insbesondere für die Verzahnung von Staat, Wirtschaft, Forschung, Nichtregierungsorganisationen und Gesellschaft. Wichtige Beispiele sind die Etablierung von Sicherheitspartnerschaften oder Initiativen wie die „Global Player Initiative“ oder die „Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft“.
Wenn wir die weichen Faktoren einer Sicherheitsstrategie betrachten, dann kann die beste Strategie und das kompetenteste Team nur greifen, wenn die Sicherheitskultur adäquat in der DNA des Unternehmens verankert ist. Das ist bei BASF gegeben. Es ist essenziell, alle Mitarbeitende für die Brisanz dieser durchaus komplexen Themen zu sensibilisieren. Das machen wir gezielt durch Fortbildungsangebote, verpflichtende Trainings und Awareness-Kampagnen. Ich bin eine große Verfechterin davon, das Thema Sicherheit positiv und modern zu vermarkten. Meine ehrliche Überzeugung ist es, dass Sicherheitsmarketing ein Organisationswert ist, der nicht nur positives Distinktionsmerkmal von Sicherheitsorganisationen sein kann, sondern vielmehr auch Gegengewicht zu physischen oder digitalen Kriminalitätsphänomenen sowie Desinformation bilden kann.
Worin sehen Sie übergreifend gesehen die wichtigsten Herausforderungen für die Konzernsicherheit bei BASF in den nächsten Jahren?
Julia Vincke: Ich bin davon überzeugt, dass wir als Sicherheitsorganisation zukünftig vor erheblichen Herausforderungen stehen werden, aber genau das macht unsere Aufgabe ja so spannend. Global betrachtet werden wir kurz-, mittel- oder langfristig beobachten, dass die Weltwirtschaft sich verschiebt, das Wesen von Konflikten sich ändert, Klimawandel sich intensiviert, es eine wachsende Bedrohung durch Terrorismus gibt und die Weltordnung sich ändert. Letzteres ist seit dem Ukraine-Krieg besonders aktuell. Die volatile globale Sicherheitslage durch geopolitische Krisen, Migration, organisierte Kriminalität, humanitäre Krisen, Naturkatastrophen sowie hybride Bedrohungsszenarien stellen jede Sicherheitsorganisation, im Übrigen auch des Staates und der Wirtschaft, vor besondere Herausforderungen. Besonders besorgniserregend empfinde ich auch den Anstieg politisch motivierter Gewalt, die im Verlauf der Pandemie einen neuen Höchststand erreicht hat. Immer mehr Menschen wenden sich von demokratischen Strukturen ab und bilden Subkulturen. Politische Risiken und Gewalt haben es laut Allianz Risk Barometer mittlerweile in die Top 10 der Unternehmensrisiken geschafft.
Neben offensichtlichen physischen Bedrohungsszenarien leben wir aber auch in einer Welt unsichtbarer Gefahren, deswegen dürfen Sicherheitsstrategien nicht auf der Bedrohungslandschaft von gestern basieren. Strategische Vorausschau ist wertvoller Motor transformativer Prozesse, wenn diese frühzeitig in die DNA der jeweiligen Organisation integriert wird. Künstliche Intelligenz, Biometrie, Drohnentechnologie, Big Data und Virtual Reality sind „Game Changers“ für Sicherheitsorganisationen geworden. BASF hat beispielsweise ein eigenes Drohnenkompetenzzentrum, welches wir stetig ausbauen und Kooperationen mit Sicherheitsbehörden planen.
Disruptive Technologien haben jedoch auch eine Kehrseite, denn, abgesehen von datenschutzrechtlichen Limitationen, sind diese Technologien auch verletzlich und beispielsweise vor externen Angriffen nicht gefeit. Hierzu gehören Cyberkriminalität, Spionage und Sabotage. Folglich gilt es, eine holistische Abschirmung gegen alles, was unser digitales Ökosystem vulnerabel macht, vorzunehmen, einen Security-by-Design-Ansatz zu verfolgen und Informationssicherheit mitzudenken. Hier wären wir wieder beim engen Schulterschluss, den ich anfangs erwähnt habe, denn mehr denn je gilt es für Sicherheitsorganisationen, sich im Spannungsfeld zwischen logischer und physischer Sicherheit zu etablieren. Um es kurz zu sagen: Ich glaube, dass es zukünftig um das Spannungsfeld Unvorhersehbarkeit versus Resilienz gehen wird. Hier gilt es, sich mit vereinten Kräften gut aufzustellen. Es wird sehr lange dauern, bis sich das globale Immunsystem von den vergangenen und aktuellen Krisen erholt hat und ein geschwächtes Immunsystem ist bekanntlich umso anfälliger.
Könnten Sie einmal beispielhaft anreißen, welche sicherheitsrelevante Folgen und Aufgabenstellungen gerade der Angriff auf die Ukraine für BASF hatte und hat?
Julia Vincke: BASF verurteilt den von der russischen Regierung angeordneten Angriff auf die Ukraine aufs Schärfste. Wir stehen solidarisch an der Seite der Menschen in der Ukraine und hoffen, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Wir sind sehr besorgt um alle Menschen, die von dem Konflikt betroffen sind, insbesondere um unsere Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine und ihre Angehörigen, die derzeit unvorstellbare Not erleben.
Wie vielen Unternehmen ging es uns als BASF und als Unternehmenssicherheit mit Beginn des Ukraine-Kriegs vornehmlich darum, die persönliche Sicherheit unserer lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu gewährleisten. Unser Fokus lag insbesondere darauf, die Mitarbeitenden und ihre Familien oder engsten Angehörigen entweder an sicherere Orte innerhalb der Ukraine oder sie (zumindest Frauen und Kinder) in Nachbarländer zu bringen. Zudem haben wir persönliche Schutzausrüstungen, wie Helme und Splitterschutzwesten, aber auch Schlafsäcke und Medikamente in die Ukraine bringen können. Auch bieten wir unseren Mitarbeitenden eine psychologische Betreuung an – sofern dieser Wunsch besteht. Die Solidarität, die Spendenbereitschaft und das Engagement der gesamten BASF-Familie haben mich in diesem Zusammenhang besonders beeindruckt.
Des Weiteren haben wir als Unternehmenssicherheit den lokalen und regionalen Krisenstäben beratend zur Seite gestanden und bislang an einer Vielzahl von Krisenstabssitzungen teilgenommen. Mein internationales Team arbeitet unermüdlich daran, stets die Sicherheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicherzustellen.
Welchen Aufwand löst die Abwehr und Aufdeckung von „White Collar Crimes“ und die Problematik der Innentäterschaft eigentlich auf, und welche Strategien fahren Sie hier?
Julia Vincke: Wirtschaftskriminalität ist auch in Deutschland ein Problem mit vielen Erscheinungsformen, so dass es keine allgemeine Definition gibt. Deliktsfelder der Wirtschaftskriminalität wie Betrug, Bestechung, Untreue, Diebstahl, Geldwäsche etc. verursachen regelmäßig einen Großteil des Gesamtschadensvolumens aller in der polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Straftaten. Wirtschaftskriminalität ist auch deshalb für Unternehmen so brisant, weil die Bedrohung nicht nur von außen stattfindet. Innentäter, also der Faktor Mensch, spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Innentäterschaft ist kein fiktives Phänomen. Es kann in jedem Unternehmen vorkommen. Aktuelle Studien belegen, dass in 15 Prozent der Fälle interne Täter bei der Begehung wirtschaftskrimineller Handlungen mit Externen zusammengewirkt haben. Deshalb ist es wichtig, dass Sicherheitsorganisationen geeignete Schutzmaßnahmen definieren und implementieren, um das Risiko beherrschbar zu machen. In diesem Zusammenhang sollte man jedoch darauf achten, die eigenen Mitarbeitenden als auch Externe nicht unter Generalverdacht zu stellen.
Auch wenn das Risiko der Innentäterschaft naturgemäß niemals vollständig ausgeschlossen werden kann, so gibt es jedoch Instrumente, die dem entgegenwirken können. Ich hatte schon das Thema Kultur angeschnitten. Wenn man über weiche Faktoren spricht, so ist es fördernd, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die wertschätzend, vertrauensvoll und kooperativ sind.
Die Sensibilisierung von Mitarbeitenden für risikobehaftete Situationen, in denen potenziell internes Wissen durch Externe abgeschöpft werden könnte, ist eine weitere Komponente der Schutzmaßnahmen gegen Innentäter. Die BASF ist im Bereich der Sensibilisierungskampagnen bereits sehr gut aufgestellt, es gibt tolle Initiativen über unterschiedliche mediale Kanäle, die das Thema ansprechend und adressatengerecht aufnehmen. Losgelöst davon ist es aber unabdingbar, prozessuale Gegenmaßnahmen zu etablieren. Hierzu gehören beispielsweise Pre-Employment-Screenings, der Abgleich mit Sanktionslisten, Non-disclosure Agreements, IT-Asset Management, Identitäts- und Berechtigungsmanagement, aber auch Zugangskontrollen.
Abschließend gefragt, Frau Vincke: Welche Eindrücke haben Sie von Ihrem neuen Unternehmen in Ihrer ersten Zeit gesammelt – und was wird Sie im ersten Jahr hauptsächlich beschäftigen?
Julia Vincke: BASF ist ein sehr spannendes und hoch komplexes Unternehmen mit einem unglaublich vielfältigen Produktportfolio. Auch wenn meine ersten 100 Tage bereits absolviert sind, werde ich in den nächsten Monaten noch eine enorme Lernkurve durchlaufen. Genau das ist auch wichtig für mich, um das Unternehmen bestmöglich kennenzulernen, Zusammenhänge, Netzwerke und Visionen zu verstehen, um daraus dann auch eine nachhaltige Sicherheitsstrategie zu entwickeln. Auf diese „Learning Journey“ freue ich mich wirklich sehr. Aber natürlich auch darauf, zusammen mit meinem Team, vielleicht einmal nach rechts oder links von der originären Reiseroute abzuweichen und neue Dinge auszuprobieren. Abgesehen davon werde ich mich natürlich mit allen zuvor thematisierten Sicherheitsthemen befassen müssen, nicht zuletzt mit dem Ukraine-Krieg, einer vielleicht weiteren Covid-19-Welle und vielem mehr.
Besonders an BASF sind übrigens, und das ist mir wichtig zu erwähnen, die Menschen sowie die wirkliche tolle Willkommenskultur, die mir bei meinem Start entgegengebracht wurde und immer noch entgegengebracht wird. Das ist nicht selbstverständlich und dafür bin ich sehr dankbar.