VDSI: Corona und die Folgen für den Arbeitsschutz
Der VDSI hat mit seinen etwa 5.600 Mitgliedsunternehmen eine gewichtige Stimme im Land, wenn es um Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit geht. Zur Klärung arbeitsschutzrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit Corona hat der Verband sehr schnell eine eigene Taskforce gegründet. Dessen Arbeit sowie Safety und Security im Zeichen der Industrie 4.0 sind Thema dieses Interviews: Matthias Erler von GIT SICHERHEIT sprach mit Prof. Arno Weber, Vorstandsvorsitzender des Verbands für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit (VDSI).
GIT SICHERHEIT: Herr Prof. Dr. Weber, lassen Sie uns gleich in medias res gehen – und das heißt in diesen Zeiten vor allem: Coronapandemie und ihre Auswirkungen auf die Arbeit in den Betrieben. Sie haben im VDSI dafür eine Taskforce gegründet. Geben Sie uns einen Einblick in deren Ziel und Arbeitsweise?
Arno Weber: Nachdem sich die erste „Schockstarre“ zu Beginn der Pandemie gelöst hatte, kamen vermehrt Fragestellungen des richtigen Umgangs mit dem Infektionsgeschehen im betrieblichen Alltag auf. Zudem sind Fragestellungen, die bisher rein arbeitsschutzspezifisch waren, wie z. B. Mund-Nase-Bedeckung und Atemschutz, auch auf den allgemeinen Bereich erweitert worden. Da wollten wir mit unserer Expertise zur Seite stehen. Richtig aktiv geworden sind wir dann in etwa zu dem Zeitpunkt, zu dem auch der Arbeitsschutzstandard das Bundesarbeitsministeriums veröffentlicht wurde. Das BMAS lässt sich hauptsächlich von den Sozialpartnern und Unfallversicherungsträgern beraten, fachliche Experten des Arbeitsschutzes aus dem Bereich waren aber dort nicht willkommen, ein entsprechendes Angebot unsererseits wurde vom BMAS noch nicht mal beantwortet. Hier wollten wir mit unserem kleinen Kreis der Corona-Taskforce, der sich auf Zuruf virtuell trifft und damit auch schnell auf Entwicklungen reagieren kann, eine Ergänzung für den betrieblichen Alltag erarbeiten und auch eigene Vorschläge machen. Die Deutsche Gesetzlichen Unfallversicherung war glücklicherweise schlauer und hat Fachexperten in ihre Corona-Gremien einbezogen. Das war auch eine weitere Aufgabe der Taskforce, unseren Vertreter im Arbeitskreis Arbeitswelt des Corona-Steuerungskreises der DGUV Rückhalt zu geben.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat ja eine Corona-Arbeitsschutzverordnung erlassen – eine Exekutivnorm also, deren Formulierung Sie kommentiert haben?
Arno Weber: Das Bundesarbeitsministerium hat mehrere Sachen auf den Weg gebracht, die auch ganz unterschiedlich rechtlich einzustufen sind. Zunächst war da im April des letzten Jahres der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard. Das Positive daran war, dass explizit auf die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Betriebsärzte als betriebliche Ansprechpartner verwiesen wurde. Allerdings wurde in einigen Kreisen dieser Arbeitsschutzstandard als „Gesetz“ angesehen – und das ist er nun mal nicht, allenfalls Stand der Technik. Das mussten wir mit Hilfe einer rechtlichen Bewertung erst mal richtigstellen. Zudem hatte er auch mehrere fachliche, sagen wir mal, „Unsauberkeiten“. Es wäre vielleicht besser gewesen, die betrieblichen Arbeitsschutzexperten mit einzubeziehen. Wegen der „Unsauberkeiten“ haben wir diesen Arbeitsschutzstandard ausführlich kommentiert und das ein oder andere auch richtiggestellt. Auf Basis des Arbeitsschutzstandards haben die Unfallversicherungsträger branchenspezifische Konkretisierungen vorgenommen – und da kam richtig Gutes heraus. Insofern hat der Arbeitsschutzstandard schon eine positive Wirkung erzielt.
Nach dem Arbeitsschutzstandard kam dann die SARS-CoC-2 Arbeitsschutzregel...
Arno Weber: Dass diese unter Hinzuziehung der Arbeitsschutzausschüsse und auf Basis der Arbeitsschutzverordnungen erstellt wurde, hebt sie auf die Höhe der Technischen Regeln, rechtlich also eindeutiger zuordenbar. Ferner wurden die Fehler aus dem Arbeitsschutzstandard, auf die wir mit unseren Kommentaren hingewiesen hatten, weitgehend korrigiert oder gestrichen, wenn diese nicht haltbare Eingriffe in Persönlichkeitsrechten darstellten. Lediglich den Bezug der Arbeitsschutzregel zum Arbeitsschutzstandard halte ich für juristisch fragwürdig. Arbeitsschutzstandard und Arbeitsschutzregel sind meines Wissens nach in der Überarbeitung.
Danach kam dann das Arbeitsschutzkontrollgesetz, in den Medien vor allem durch die Maßnahmen im Bereich der Fleischereiwirtschaft bekannt. Hier finden sich jedoch auch nicht unerhebliche Änderungen im Arbeitsschutzgesetz. Neben weiteren Verordnungsermächtigungen wird ein neuer Arbeitsschutz-Ausschuss gegründet, für den wir schon personelle Vorschläge für Vertreter aus der Wissenschaft gemacht haben, und eine Mindestbesichtigungsquote durch die Aufsichtsbehörden festgelegt. Letzteres ist interessant, weil entgegen unseren Empfehlungen die behördliche Aufsicht in den 2000er-Jahren im Zuge der angeblichen Deregulierung erst massiv zurückgefahren wurde. Jetzt hat man erkannt, dass das nicht richtig war.
Aktuell ist dann die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzverordnung gekommen – auf Basis der vorher erweiterten Verordnungsermächtigungen. Im Wesentlichen geht es hier um Abstände, Mindest-Flächen, Mund-Nase-Bedeckungen und, sagen wir es mal mit dem Begriff „Beweislastumkehr“ – der Arbeitgeber muss nun begründen, wenn nicht – der Ermöglichung des Homeoffice. Gerade bezüglich der medizinischen Mund-Nase-Schutz und der FFP2-Masken gibt es viel betrieblichen Diskussionsbedarf. Das Thema Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung wurde in dieser Verordnung nochmal gestärkt – aber in den meisten Betrieben die ich kenne, war das ohnehin schon umgesetzt.
Anmerkung am Rande: Arbeitsschutzstandard, Arbeitsschutzregel, Arbeitsschutzkontrollgesetzt und Arbeitsschutzverordnung: wie soll das eigentlich ein kleiner KMU-Betrieb noch auseinanderhalten? Umso wichtiger ist es, dass wir Fachkräfte für Arbeitssicherheit hier gut und richtig beraten.
Aktuell liegt uns noch ein Referenten-Entwurf für ein Mobile-Arbeit-Gesetz vom November 2020 vor. Wie der Name schon sagt, geht es um mobile Arbeit und die Rahmenbedingungen einschließlich Versicherungsschutz – das heißt, Änderungen in der Gewerbeordnung und dem SGB 7.
Es gibt inzwischen eine Verpflichtung der Arbeitgeber zum Angebot von Homeoffice und strengere Arbeitsschutzregelungen für Abstände und Mund-Nasen-Schutz. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Arno Weber: Die Abstandsbestimmungen und die 10m²-Regel lösen glücklicherweise müßige Diskussionen über die Mindestflächen und wieviel Platz eine Person für die Abstandswahrung nötig ist ab. Hier kursierten Werte zwischen 3, 7 oder 10 Quadratmetern. Insofern ist das gut.
Dass das Homeoffice – oder korrekter gesagt, mobiles Arbeiten zu Hause – eine gute Möglichkeit ist, mögliche Infektionswege abzuschneiden ist vollkommen unstrittig. Was viele nicht wissen: während bei der gesetzlich geregelten Telearbeit nur bei der erstmaligen Einrichtung eine Gefährdungsbeurteilung nötig ist, sind die Anforderungen beim Homeoffice strenger, sprich die Gefährdungsbeurteilung für mobiles Arbeiten muss laufend fortgeschrieben werden. Das ist insofern gut, als entgegen vieler Medienbilder, die den Laptop auf einen Küchentisch und ganz ohne Peripheriegeräte zeigen, bei der mobilen Arbeit zu Hause ergonomische Aspekte angesprochen werden. Neben externer Tastatur und externer Maus als Mindeststandard können durchaus auch weitere Geräte, wie z. B. zweiter Bildschirm für die Videokonferenzen, vom Arbeitgeber gestellt werden. Die Entscheidung muss individuell erfolgen, was erst mal gut ist. Aber noch wichtiger ist es, die Mitarbeitenden zu überzeugen, sich auch ergonomisch richtig zu verhalten. Das Thema einer Online-Unterweisung für das Homeoffice gewinnt also an Bedeutung.
Nicht jeder hat allerdings die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten?
Arno Weber: Das erleben wir beim Homeschooling, wenn die Kinder kein eigenes Zimmer haben, ebenso wie im Homeoffice, wenn vergleichbare Störungen durch die Familie möglich sind. Auch hier gilt es die Mitarbeitenden und die Unternehmen mit Beratung zu unterstützen. Insofern: Homeoffice ja, aber die Zustimmung der Mitarbeitenden einholen, deren technisches Equipment gegebenenfalls ergänzen und die Gefährdungsbeurteilung bzw. Unterweisungen durchführen. Auch eine schlechte Internetverbindung erschwert so manches Arbeiten von Zuhause.
Die Regelungen zum Mund-Nase-Schutz sind nicht nur durch die Arbeitsschutzverordnung kompliziert geworden. Das Problem ist, dass Gegenstände des Arbeitsschutzes in andere Lebenssituationen übertragen wurden, ohne dass man das zu Ende gedacht hat. Das führt zu Verwirrungen und unterschiedlichen Interpretationen. Beispiel Tragzeitbegrenzung und arbeitsmedizinische Vorsorge: Muss für den Einkauf im Supermarkt oder den Weg vom Werkstor bis zum Arbeitsplatz die Tragzeit erfasst werden und eine arbeitsmedizinische Vorsorge nach ArbMedVV angeboten werden? Müssen sich Bartträger nun rasieren? In der Corona-Arbeitsschutzverordnung besteht ja noch eine Auswahl zwischen medizinischer Maske und FFP2-Maske. In anderen Regeln wird nur auf die FFP2-Maske abgezielt.
Um nicht falsch verstanden zu werden: das Tragen von Mund-Nase-Bedeckung halte ich für sehr wichtig im Kampf gegen SARS-CoV-2. Ich hätte mir nur gewünscht, dass nicht jeder Betrieb selbst die Antworten auf die neu aufgetretenen Fragen klären muss, sondern hier zentral Leitlinien unter den konkreten Bedingungen erstellt werden. Das Forschungsprojekt des IPA zum Thema Tragzeitbegrenzungen von Masken geht in die richtige Richtung, aber hätte durchaus schon im letzten Sommer beginnen können.
Die Themen Homeoffice und Telearbeit könnten im Zuge der angefeuerten Digitalisierung weiter an Bedeutung gewinnen, wovon Viele ausgehen. Welche arbeitssicherheitsbezogenen Folgen ergeben sich daraus aus Ihrer Sicht?
Arno Weber: Zum einen müssen wir nach der pandemischen Hochphase des mobilen Arbeitens zu Hause einen sinnvollen Übergang hin zur Telearbeit finden, zumindest für die Arbeitsplätze, die – wenn auch nur teilweiwse – dauerhaft zu Hause bleiben sollen. D. h., sukzessive müssen die Arbeitsverhältnisse von Provisorien in gute gestaltete und ergonomisch sinnvolle gewandelt werden. Daneben gilt es noch die ungelösten Probleme wie Arbeitszeiterfassung und Datenschutz zu lösen. Und es müssen Mechanismen dafür geschaffen werden, dass die Mitarbeitenden auch normal ausspannen können und eben nicht permanent erreichbar sind.
Homeoffice kann aber auch eine enorme Erleichterung sein. Alleine durch den Wegfall des Arbeitswegs verringert sich das Risiko im Straßenverkehr. Wertvolle Lebenszeit wird unter Umständen gewonnen. Es gilt also, das Optimum aus den jeweiligen Situationen herauszuholen. Und das kann sehr unterschiedlich sein.
Das große Ganze, in das dieses Einzelthemen eingebettet ist, umfasst auch die allgemeine Vernetzung von Systemen, die Industrie 4.0 verändert die Arbeitsweise von Maschinen. Sie sprechen hier auch von Prävention 4.0 – was meinen Sie damit genau?
Arno Weber: Für den Arbeitsschutz können die Entwicklungen, die unter dem Schlagwort Industrie 4.0 stattfinden, ein Fluch und ein Segen sein. Monotone Tätigkeiten können noch besser automatisiert werden und den Menschen entlasten. Arbeiten in Gefahrenbereichen können substituiert werden – zum Beispiel bei Katastropheneinsätzen durch die Verwendung von Drohnen. Persönliche Schutzausrüstung erkennt auf einmal selbst, wann sie keinen ausreichenden Schutz mehr bietet. Hilfsmittel wie Exoskelette vermindern Muskel-Skelett-Belastungen. All das dient dem Menschen.
Hingegen darf es nicht dazu kommen, dass die Maschine den Menschen bestimmt, es von einer Selbstbestimmtheit zu einer Fremdbestimmtheit kommt. Ich muss hier unter anderen an die vielen neuen Funktionen in meinem Auto denken. Wenn man einmal nachts am Wegesrand auf einer Landstraße steht und fluchend bei ausgeschaltetem Motor kein Licht mehr anbekommt, dann ist das auch gefährlich. Hier sollten die Entwickler durchaus noch bessere Anwendungstest machen. Aber auch Exoskelette schränken die Bewegungsfähigkeit ein. Was ist, wenn Feueralarm ist und ich schnell den Bereich verlassen muss, aber an den langsamen Bewegungen des externen Antriebs gebunden bin?
Auch muss man sich Gedanken machen, ob eine Maschine überhaupt im Internet hängen muss. Falls ja, kann diese von außen angegriffen werden? Das kann Unfälle verursachen, Produktionsabläufe stören und Industriespionage ermöglichen.
Werfen wir noch einmal einen näheren Blick auf die konkrete Lage in den Betrieben während der Pandemie. Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Ihren Mitgliedern – und wie kommen sie mit den Maßnahmen zur Coronaeindämmung zurecht? Wo gibt es Probleme – und welche Rolle spielen Sie hier als VDSI?
Arno Weber: Die Rückmeldungen sind zweigeteilt. Bei der Mehrheit wurde durch die Pandemiesituation die Rolle des Arbeitsschutzes allgemein und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit im Besonderen gestärkt. Unternehmer wie Führungskräfte haben erkannt, welche positive Unterstützung bei der Erstellung der Hygienekonzepte und Maßnahmen ihnen hier zu Seite steht. Auch bei der Frage des Umgangs mit Fake-News spielt das eine Rolle.
Aber auch das gab es: externe Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die aus Infektionsschutzgründen überhaupt nicht mehr auf das Werksgelände gelassen wurden. Sicher lassen sich die ein oder anderen Aufgaben auch aus der Distanz erledigen – aber halt nicht alles. Der VDSI betont in diesem Zusammenhang, dass die Pandemie-Situation nicht das Arbeitssicherheitsgesetz und die DGUV-Vorschrift 2 aufhebt. Eher im Gegenteil, der Betreuungsbedarf ist gestiegen.
Präventionskultur bekommt vor diesem Hintergrund sicherlich einen anderen Stellenwert?
Arno Weber: Das kann ich an unserer eigenen Hochschule durchaus bestätigen. Wir sind ja Kooperationspartner der Kampagne Kommmitmensch, bei der es um Präventionskultur geht. Auch wenn nicht alles hundertprozentig läuft, so konnten Instrumente aus der Kampagne durchaus in unseren interdisziplinär besetzten Corona-Leitungsstab umgesetzen werden.
Eine positive Unternehmenskultur hilft auch eine positive Infektionsschutzkultur aufzubauen. Wenn Menschen schon von sich aus auf sich selbst und andere achten, muss weniger von oben herunter angewiesen werden, es reicht die Leitlinien zu stellen und die Präventionsziele, die AHA-L-Regeln, zu verinnerlichen.
Sie plädieren ja – etwa in Form eigener VDSI-Informationsblätter – für eine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung, die Safety und Security mit einbezieht. Wie empfehlenswert das ist, müsste man ja beispielhaft anhand der Gefahr der Ansteckung mit Corona zeigen können?
Arno Weber: Ja, das ist sicher so. Safety und Security, übrigens auch im Titel unseres Studiengangs enthalten, formulieren zusammen Schutzziele, die häufig gleich sind, in manchen Fällen aber sich auch widersprechen. Schutz vor Infektionen, z. B. durch Menschenansammlungen vor den Eingangstüren, ist sowohl ein Safety- als auch ein Security-Thema. Allerdings möchte die Safety möglichst wenig Kontaktflächen, daher sollten Türen offen stehen bleiben, damit der Türgriff nicht angefasst werden muss. Der Brandschutz möchte hingegen abgetrennte Brandabschnitte, die Security Schutz vor unbefugtem Betreten des Gebäudes. Hier gilt es Kompromisse oder besser noch Win-win-Situationen zu finden. Der Infektionsschutz möchte eine Kontaktverfolgung sicherstellen, der Datenschutz aber keine offen einsehbaren persönlichen Daten. Der Arbeitsschutz möchte Homeoffice, die IT-Sicherheit möglichst keine Hackerangriffe durch lokale Sicherheitslücken in den heimischen Rechnern.
Aber nicht nur die Pandemie zeigt die Schnittstellen zwischen Safety und Security auf: Das vorhin erwähnte Thema Prävention 4.0 macht auch die gegenseitige Wechselwirkung sichtbar.
Herr Prof. Weber, Sie befassen sich auch mit Themen rund um die Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder den ISO-Standard für das Arbeitsschutzmanagement in Unternehmen. Bezüglich letzterem ist der VDSI etwa an der Ausbildung interner Auditoren beteiligt? Welche Entwicklungen gibt es hier?
Arno Weber: Ich denke, dass sich die DIN ISO 45001 letztendlich am Markt als Arbeitsschutzmanagement-Standard durchsetzen wird. Sicher wird es einige Systeme geben, die noch darüber hinaus gehen. Aber als Basis wird hier die 45001 bleiben müssen. Insofern bekommen wir klarere vergleichbarere Verhältnisse. Diesen Prozess und auch die Weiterentwicklung der 45001 zu begleiten, wird sicher eine zukünftige Aufgabe beim VDSI bleiben.
Die staatliche Aufsicht über den Arbeitsschutz ist – ebenfalls mit der Pandemie im Zusammenhang stehend – anlässlich der Vorfälle in der Fleischwirtschaft in Form des Arbeitsschutzkontrollgesetzes gestärkt worden. Einstige Deregulierungen wurden damit zurückgedreht. Auch dies haben Sie kritisch begleitet?
Arno Weber: Wir haben bei den ersten Deregulierungsdebatten Anfang der 2000er-Jahre, die vor allem von Bayern unter Herrn Stoiber und in Baden-Württemberg unter Erwin Teufel vorangetrieben wurden, bereits frühzeitig vor den Folgen gewarnt. Andere Bundesländer sind leider den gleichen Weg gegangen. Und siehe da, es ist auch zum Teil das eingetreten, was wir befürchtet hatten. Es gibt halt immer wieder schwarze Schafe, die Arbeitsschutz-Standards und Menschenrechtsstandards unterlaufen. Und das nicht nur in der Fleischerei-Industrie. Wenn man die staatliche Aufsicht zurückfährt oder destrukturiert, muss man sich nicht wundern. Wenn die Wahrscheinlichkeit eines Besuchs durch die Gewerbeaufsicht auf einen Wert von einmal in 200 Jahren sinkt, ist das ein Anreiz, sich nicht an die Regeln zu halten. Ich vergleiche das gerne mit dem Autofahren: Ab und zu ein Blitzer am Straßenrand hilft, die Schilder mit dem roten Rand und der Zahl in der Mitte ernst zu nehmen. Insofern ist die Mindestbesichtigungsquote beim Arbeitsschutzkontrollgesetz ein Schritt in die richtige Richtung. Jetzt muss nur noch das Personal dafür eingestellt werden.
Im VDSI-Arbeitskreis Gefahrstoffe ist – das wird den einen oder anderen überraschen – das Thema Asbest immer noch Thema?
Arno Weber: Zum einen wissen wir, dass Asbest viel länger verbaut und in viel mehr Bauprodukten vorhanden ist, als angenommen.Zum anderen gibt es immer noch Länder, in denen Asbest nicht verboten ist und deren Produkte landen zum Teil auch bei uns. Auch die Entsorgung bereitet Probleme. Wenn ein altes Schiff zerlegt wird – und das in den Entwicklungsländern zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen – dann werden mehrere Tonnen Asbest da rausgeholt.
Und die Folgen von Asbest sind ja bekannterweise noch Jahrzehnte später zu merken. Insofern ein altes aber aktuelles Thema.
Noch ein weiteres Thema würde ich gerne anschneiden: Die von VDSI, Hochschulen und einer Reihe von Unternehmen betriebene Initiative bezüglich der Messbarkeit von Sicherheit in Form entsprechender Kennzahlen – Arbeitsschutzkennzahlen. Wie sieht diese Initiative aus, wer steht dahinter, welche Ziele hat sie und wie arbeitet sie?
Arno Weber: Die Safety-Value-Index-Initiative (SVI) ging ursprünglich von der Leiterin der Arbeitssicherheit der Firma SAP aus. Hier lag der ursprüngliche Fokus darauf, unternehmensinterne Kennzahlen für die interne Kommunikation erstellen. Deswegen waren zunächst eher Großbetriebe mit dabei. Der VDSI-Fachbereich Kennzahlen hatte zuvor schon einen Ansatz für KMU erstellt. Beide Themen wurden zusammengeführt und zwei Hochschulen, unter anderen, die an der ich unterrichte, sind dazu gestoßen. Leider wurde der Forschungsantrag abgelehnt, aber wir wollen nicht aufgeben und das Thema weiter vorantreiben. Deshalb sind derzeit mehrere Abschlussarbeiten sowohl an der TU Darmstadt als auch bei uns in Furtwangen an dem Thema dran. Auch ein Unfallversicherungsträger und zwei überbetriebliche Dienste (Perspektive der KMU) haben sich der Initiative angeschlossen. Aktuelle Partner sind: Hochschule Furtwangen, TU Darmstadt, VDSI, VBG, BitKom Arbeitskreis Arbeitssicherheit, AXA, BAD, Commerzbank, Deutsche Telekom, EnBW, Freudenberg, IAS, IBM Deutschland, SAP, Telefonica. Gespräche mit weiteren Partnern laufen noch. Wer also Lust hat, kann gerne einsteigen.
Kennzahlen im Arbeitsschutz sind in Anbetracht niedriger Unfallzahlen ein schwieriges Thema. Zu meinen Studierenden sage ich immer, wenn Sie hier ein leicht verfügbares, aussagekräftiges, frei von Störeinflüssen befindliches und gut transparentes System entwickeln können, gewinnen Sie sicher den Deutschen Arbeitsschutzpreis. Die beste Kennzahl, die es gibt, nämlich die Unfälle und Krankheiten, die wir verhindert haben, lässt sich leider nur aus der Glaskugel lesen.
Welche Ergebnisse haben Sie bereits erzielt – und woran arbeiten Sie noch in diesem Zusammenhang?
Arno Weber: Es kam durchaus bei den Vorarbeiten in den Design-thinking-Workshops als auch in den einzelnen Arbeiten gute Ideen heraus. Z. B., wie aus einzelnen Parametern eine Gesamtbewertungszahl mit unterschiedlichen Gewichtungen errechnet werden kann. Diese Ansätze gilt es nun zu vergleichen, zu validieren und zu übertragen. Aber es gibt, wie gesagt, viel zu tun. Vielleicht gelingt es ja doch noch, sich im Rahmen eines Forschungsprojekts intensiver damit zu beschäftigen. Drücken Sie uns dabei die Daumen!
Das machen wir gerne – vielen Dank für das Gespräch.
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