Was ändert sich durch die neue EU-Maschinenverordnung?
Am 19. Juni 2023 ist die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 in Kraft getreten. In der nun folgenden Zeit müssen sich Hersteller von Maschinen und Anlagen auf wichtige Änderungen vorbereiten, die ab dem 20. Januar 2027 zwingend anzuwenden sind, um diese auch künftig im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr bringen zu dürfen. Welche Änderungen es gibt, welche dabei besonders ins Gewicht fallen und was die wichtigsten To-Dos sind, verrät Marcus Scholle, Safety Application Consultant bei Wieland Electric, im Interview mit GIT SICHERHEIT.
GIT SICHERHEIT: Herr Scholle, vielleicht zunächst ein paar Worte zu Ihrer eigenen Person: Welche Aufgaben kommen Ihnen in Ihrer gegenwärtigen Position als Safety Application Consultant bei Wieland Electric zu?
Marcus Scholle: Zu meinen Aufgaben gehört in erster Linie die Erbringung unserer Trainings- und Schulungsdienstleistungen. Dies gilt für unser Katalogprogramm, aber auch für individuell auf den Kundenbedarf abgestimmte Trainings. Auf entsprechenden Wunsch hin führe ich diese Trainings oder entsprechende Workshops auch direkt vor Ort aus. Um den Praxisbezug zu erhalten, unterstütze ich zudem regelmäßig bei unseren Consultingdienstleistungen. Weiterhin bin ich in zentralen deutschen Gremien zur Maschinensicherheit vertreten – hierunter auch ISO 12100 und die ISO 13849-Serie.
Die neue EU-Maschinenverordnung bringt einige Neuerungen und Änderungen gegenüber der bestehenden Maschinenrichtlinie mit sich. Was genau ist überhaupt der Unterschied zwischen einer EU-Richtlinie und einer EU-Verordnung? Und welche Auswirkung hat die neue EU-Maschinenverordnung auf die bestehenden harmonisierten Normen?
Marcus Scholle: Der Hauptunterschied zwischen einer Richtlinie und einer Verordnung im europäischen Recht besteht in der nationalen Umsetzung. Diese ist bei einer EU-Verordnung nicht notwendig. Hierdurch werden auch Unschärfen bei der entsprechenden Umsetzung in nationale Gesetze vermieden. Durch den neuen Rechtsakt muss jede der aktuell mehr als 800 Normen, die aktuell unter der Maschinenrichtlinie harmonisiert sind, unter der Maschinenverordnung neu harmonisiert werden.
An dieser Stelle eine kurze Anmerkung zur sonstigen Gesetzeslandschaft: Allgemein lässt sich ein Trend in der EU-Gesetzgebung weg von Richtlinien hin zu Verordnungen erkennen. Zudem ist parallel eine Zunahme von horizontalen Rechtsakten zu verzeichnen, die ein verhältnismäßig breites Anwendungsgebiet haben (z. B. Cyber Resilience Act, AI Act, etc.). Hierdurch ist zu erwarten, dass die Gesetzeslage zunehmend schwerer zu überblicken ist.
Wie groß sind Ihres Erachtens die Herausforderungen durch die neue EU-Maschinenverordnung für die Hersteller von Maschinen und Anlagen in der Praxis?
Marcus Scholle: Zunächst einmal ist es sicher vorteilhaft, sich in der aktuell nach wie vor geltenden Maschinenrichtlinie sicher bewegen zu können. Hierbei besteht meiner Erfahrung nach immer noch ein recht großes Gefälle bei den vorhandenen Kenntnissen. Große Herausforderungen wird vermutlich die Stichtagsregelung in der Maschinenverordnung aufweisen. Bis zum 19.01.2027 müssen etwa Konformitätserklärungen weiterhin nach der Maschinenrichtline 2006/42/EG ausgestellt werden. Ab dem 20.01.2027 hingegen muss die Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 zur Anwendung kommen.
Gehen wir mal ans Eingemachte: Was sind in der neuen EU-Maschinenverordnung die wichtigsten Änderungen bzw. Neuerungen, die es zukünftig zu beachten gilt?
Marcus Scholle: Natürlich sind die Änderungen recht vielfältig und deren Relevanz ist abhängig vom individuellen Geschäftsbereich des Unternehmens. Hierbei ist die „Umsortierung“ der Anhänge fast nebensächlich, aber dennoch verwirrend. Im Anwendungsbereich der Maschinenverordnung wird nun von „dazugehörigen Produkten“ geschrieben. Zu den sogenannten „Sicherheitsbauteilen“ können nun auch „digitale Bauteile“ wie z. B. Software zählen. Somit sollten etwa Programmierdienstleister potenzielle Auswirkungen untersuchen.
Der Umgang mit Maschinen bestimmter Kategorien hat einige Änderungen erfahren – dabei ist Anhang IV zu Anhang I geworden. Insbesondere gibt es nun zwei Teile. Falls eine Maschinenkategorie im Teil A gelistet ist, muss zwingend eine benannte Stelle hinzugezogen werden. Im Falle einer Listung in Teil B ist prinzipiell weiterhin eine eigenständige Konformitätsbewertung möglich. Zudem ist bereits im Juli 2026 eine Überarbeitung der gelisteten Maschinenkategorien möglich.
Auch räumt die Maschinenverordnung explizit die Möglichkeit ein, notwendige Unterlagen in digitaler Form bereitzustellen. Leider sind die Anforderungen hierzu bei näherer Betrachtung recht missverständlich und kompliziert gestaltet.
Eine weitere wichtige Änderung, die sich ergibt, ist die Definition zum Umgang mit Modifikationen an Maschinen – auch genannt „wesentliche Veränderung“. In Deutschland haben wir hier eine recht gute Regelung, die aber in anderen Ländern wie Österreich, Frankreich oder Italien in der Vergangenheit anders ausgelegt wurden. Mit der Maschinenverordnung wird es nun zum ersten Mal eine europaweit einheitliche gesetzliche Regelung geben. Somit hat diese auch für Betreiber besondere Relevanz.
Welche Tipps geben sie Ihren Seminarteilnehmer, wie sie sich der neuen Maschinenverordnung annehmen sollen?
Marcus Scholle: Allgemein sollten Anwender sich in Ruhe mit den Inhalten der Maschinenverordnung beschäftigen und bereits zum aktuellen Zeitpunkt potenzielle Auswirkungen auf ihr Geschäft untersuchen. Somit können Änderungen an Prozessen oder auch Produkten bereits frühzeitig eingesteuert werden.
Keinesfalls sollte die Ansicht vertreten werden, dass noch mehr als genügend Zeit ist. Sonst könnte man Anfang 2027 vor einem unüberwindbaren Berg an unklaren Anforderungen stehen, die innerhalb weniger Wochen umgesetzt sein müssen. Dann besteht die Gefahr, das nicht konforme Produkte in Verkehr gebracht werden, was mit erheblichen Haftungsrisiken für den Hersteller verbunden wäre.
Welche Neuerungen hält die Maschinenverordnung speziell im Bereich Safety bereit?
Marcus Scholle: Für diese Änderungen müssen wir uns in erster Linie den Anhang III der Maschinenverordnung (unter der Maschinenrichtlinie Anhang I) anschauen, in dem die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen an Maschinen beschrieben sind. Bei den sicherheitstechnischen Anforderungen an Maschinen wird das Thema „Cybersecurity“ künftig deutlich an Gewichtung gewinnen. In Zeiten einer weiter zunehmenden Vernetzung von Maschinen im Produktionsumfeld verschwimmt die Grenze zwischen „klassischer IT“ und OT immer weiter. Auch werden sich Maschinenbauer mehr mit den internen Strukturen ihrer Kunden auseinandersetzen müssen.
Zudem finden sich auch Anforderungen, die erwartungsgemäß Auswirkungen auf die ergonomische Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen haben werden. Es ist bekannt, dass die Körpermaße in aktuellen Normen nicht wirklich die Bevölkerung im notwendigen Umfang widerspiegeln.
Es gibt neue Anforderungen, bei denen es Rettungskräften möglich sein muss, eine Notfallrettung von Menschen durchzuführen – dabei muss der Zugang mit Rettungsausrüstung möglich sein. Dies wird wahrscheinlich Auswirkung auf die Normen zur Gestaltung von Zugängen zu Maschinen haben. Interessant wird hierbei sein, wie ein weiterhin vorhandener Fallschutz – etwa bei Steigleitern mit Rückenschutz – mit ausreichenden Platz für diese Anforderung kombiniert werden kann.
Zum Abschluss noch ein Ausblick auf Ihr eigenes Unternehmen: Welche Auswirkungen hat die EU-Maschinenverordnung auf ihr eigenes Produktportfolio und ihre Services?
Marcus Scholle: Natürlich sind wir bemüht, unsere Kunden bestmöglich bei der Vorbereitung auf die Anforderungen der Maschinenverordnung zu unterstützen. Hierzu bieten wir im Sommer eine dreiteilige Online-Seminarreihe zur Maschinenverordnung an, bei der die Teilnehmer individuell wählen können, welche Themengebiete für sie besonders relevant sind. Auch unsere anderen Schulungsangebote werden kontinuierlich an den aktuellen Informationsstand angepasst und können wie beschrieben auch im Inhouse-Format erbracht werden. Zudem bereiten wir selbstverständlich unser eigenes Produktportfolio in der Sicherheitstechnik auf die erhöhten Anforderungen vor. Als Beispiel sei hier unsere Kleinsteuerung SamosPro genannt.
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