Bosch: Künstliche Intelligenz in der Gebäudesteuerung
Die Digitalisierung von Gebäuden jeder Größe verspricht erhebliche Vorteile für deren Eigentümer, Betreiber und die einzelnen Nutzer. Sie ermöglicht schon seit längerem die Automatisierung von Steuerungsfunktionen durch smarte Technik – doch wo diese auf zunehmende Komplexität stößt, schlägt die Stunde der Künstlichen Intelligenz. Dazu baut man etwa bei Bosch Building Technologies zunächst einmal einen digitalen Zwilling des Gebäudes. Dies öffnet den Weg zu weitestgehender Transparenz der Bestandteile der Gebäudetechnik – und zu ihrem möglichst effizienten Zusammenwirken. GIT SICHERHEIT sprach darüber mit Andreas Mauer, Chief Architect bei Bosch Building Technologies.
GIT SICHERHEIT: Herr Mauer, ein Haus zu bauen, steckt in der Natur des Menschen – so formulierte es mal die Werbung einer Bausparkasse. Woher kommt eigentlich Ihr persönliches Interesse für Gebäude?
Andreas Mauer: Das hängt tatsächlich mit meiner familiären Geschichte zusammen. Wir hatten eine Hochbaufirma, also Architekten und Maurer in der Familie. Ich selbst saß schon als kleiner Bub mit meinem Großvater auf dem Bagger und hätte das Unternehmen irgendwann übernehmen sollen – allerdings zog es mich stattdessen in die IT-Welt. Auf diese Prägung führe ich meine Freude daran zurück, etwas aus dem Nichts zu planen und zu errichten.
...aber das Technologische lag Ihnen dann doch näher...
Andreas Mauer: Die Affinität dazu habe ich schon früh gespürt – etwa beim Reparieren von LKWs oder Baggern. Ich wollte wissen, wer im Kühlschrank das Licht ausmacht, hatte Experimentierkästen von Fischer-Technik. Der eigentliche Startpunkt meiner beruflichen Leidenschaft war während meiner Berufsausbildung im VW-Werk in Wolfsburg. Dort lernte ich Fertigungsstraßen und Industrieroboter kennen, und damit die Automatisierungs- und Informationstechnik. Dies förderte mein Interesse für den Zusammenhang von operativer Technologie und IT. Genau in diesem Feld arbeitete ich dann einige Jahre in Schweden und den USA, war danach elf Jahre lang im Consulting – und kam dann zu Bosch.
Nun ist es schon seit Jahrhunderten so, dass ein Gebäude mehr ist als Wände mit Türen, Fenstern und Dach. In jüngerer Zeit bringen die Digitalisierung von Gebäudefunktionen und des Gebäudemanagements gewaltige Veränderungen mit sich. Greifen wir gleich mal in die Vollen: Wie sieht Ihre Vision des digitalen Gebäudes aus?
Andreas Mauer: Der Fokus von Bosch Building Technologies liegt auf kommerziellen Gebäuden, also beispielsweise Bürogebäuden, Shopping-Centern, Flughäfen oder Fabriken. Wenn wir nun von der Digitalisierung solcher Gebäude sprechen, dann geht es einerseits darum, Abläufe in diesen Gebäuden zu verstehen. Beispiele hierfür, an denen wir arbeiten, sind das Parkplatzmanagement, die Auslastung von Meetingräumen oder von Fahrstühlen. Dann müssen wir uns um die Schlüsse kümmern, die daraus im Interesse unserer Kunden zu ziehen sind, und was sie für die Nutzer des Gebäudes, für Koch, Kantinenarbeiter, Büromitarbeiter oder Hausmeister bedeuten. Im Kern geht es darum, das Gebäude in Summe zu verstehen, gut zu managen und bedienen zu können – und um die Frage, wie die Digitalisierung dabei helfen kann.
Dabei hängt die Idee in der Luft, dass es um eine Verlagerung gehe: Weg vom Gebäude, das von uns gemanagt wird – hin zu einem intelligenten Gebäude, das sich weitgehend selbst managt?
Andreas Mauer: Eine Verlagerung hin zu intelligenten Systemen bedeutet zunächst einmal, dass das Gebäude sich uns offenbaren kann, dass es physische Realität in Form digitaler Abbilder aufzeigt. Wir gewinnen Transparenz über die Leistung der Systeme wie Heizung, Lüftung und Kühlung, von denen wir ja wollen, dass sie möglichst effizient zusammenwirken.
Was treibt diese erwünschte Digitalisierung des Gebäudes in der Praxis voran?
Andreas Mauer: Es geht auch hier um das große und wichtige Thema Nachhaltigkeit, zu dem gerade auch die Gebäudebranche einen positiven Beitrag leisten kann. Voraussetzung, den Betrieb von Gebäuden so umweltverträglich und effizient wie möglich zu gestalten, ist zunächst, Transparenz über alle Abläufe im Gebäude zu erhalten, wie bereits erwähnt. Den Servicetechnikern kommt hier eine Schlüsselrolle zu, da sie verantwortlich für den Betrieb der Gebäudetechnik sind. Um Ineffizienzen zu entdecken, darzustellen und zu optimieren, brauchen die Servicetechniker Transparenz über alle Abläufe im Gebäude, so dass sie zielgerichtete Maßnahmen zur Optimierung ergreifen können. Das kann also nur auf Basis einer verlässlichen Datengrundlage geschehen, die wir als Bosch Building Technologies Gebäudeeigentümern, -betreibern und -nutzern in Form bestimmter IoT-Services zur Verfügung stellen können. Neben dem steigenden Umweltbewusstsein sind es auch die zunehmenden Pflichten zum ESG-Reporting, in denen die Gebäudeeigentümer Auskunft über die Nachhaltigkeit ihrer Gebäude geben. Zudem sind es die steigenden Energiekosten, die bei uns für eine stetig steigende Zahl an Aufträgen sorgt. Mit anderen Worten: War früher ein auf Effizienz und Umwelt ausgerichtetes Handeln in der Gebäudebranche ein „nice to have“, ist es nun ein „must“.
Wir sprechen von Digitalisierung. Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz (KI) in diesem Zusammenhang – und was ist der Unterschied zu „smarter“ Technik?
Andreas Mauer: Auf eine Formel gebracht: Da, wo smarte Technik aufgrund der vorherrschenden Komplexität an ihre Grenzen kommt, wird der Einsatz von KI interessant. Als smarte Technik würde ich Experten-Know-how und Testergebnisse bezeichnen, die in Regeln zur automatischen Steuerung von Gebäudetechnik übersetzt wurden – also zum Beispiel unter bestimmten Bedingungen das Licht automatisch zu löschen etc. Diese eher einfachen Regeln reichen jedoch in einem großen, modernen Gebäude nicht mehr aus, um der Komplexität zu begegnen, die sich aus der Kombinatorik unterschiedlicher Gebäudebereiche und Gewerke ergeben. Das geht von der Beleuchtung im Eingangsbereich, über Zutrittsmanagement bis hin Heizung, Lüftung und Klima. Voraussetzung für den Einsatz von KI in der Gebäudesteuerung ist die Erschaffung eines so genannten digitalen Zwillings. Diesen bauen wir bei Bosch Building Technologies, indem wir hierzu relevante Gewerke eines Gebäudes sowie die Topologie des Gebäudes selbst in semantische Modelle (sog. digitale Ontologien) übertragen, die später von der KI ausgewertet werden können. Damit kann man dann Antworten auf wichtige Fragen erhalten wie etwa: In welchen Räumen hier am Standort Grasbrunn weicht die Temperatur um zwei Grad von der gewünschten ab und welchen Grund dafür gibt es? So kann man schnell feststellen, ob alles ordnungsgemäß funktioniert oder ob Wartungs- oder Reparaturarbeiten vorgenommen werden müssen, um die vorhandene Technik optimal auszusteuern. Das nützt der Umwelt und dem Geldbeutel. Da die Ergebnisse aller Messpunkte unseres digitalen Zwillings aufgezeichnet werden, kann man auch Ereignisse aus der Vergangenheit in die Analyse von Optimierungspotenzialen mit einbeziehen und erhält so ein umfassenderes und genaueres Bild.
...die KI kann mit anderen Worten komplexe Fragen zum Gebäudebetrieb beantworten...
Andreas Mauer: Richtig. Die KI kann in unserem digitalen Zwilling zum Beispiel Anomalien im System entdecken und feststellen, dass etwa bestimmte Raumtemperaturen nicht zu denen passen, die in der jeweiligen Jahreszeit normal sind. Jetzt mal als „Tekkie“ gesprochen: Wir projizieren Domänenwissen in Ontologien, die wir in einem digitalen Ausführungskontext zu einem digitalen Agenten machen, und erschaffen damit ein lernendes System, das Deep Reinforcement Learning verwendet. Anders ausgedrückt: Wir bringen das Expertenwissen von heute in eine digital ausführbare Form mit einem Meister der Optimierung von morgen. Hier fängt KI an zu schwingen und nachvollziehbare Mehrwerte zu liefern.
Bosch hat ja bereits vor einiger Zeit die digitale Service-Suite „Nexospace“ eingeführt. Wie weit bildet sie schon das ab, was Sie sich vorstellen?
Andreas Mauer: Nexospace basiert auf einer ganzen Reihe digitaler Bausteine. Dazu gehört die Konnektivität des Gebäudes mit seinen Gewerken, durch die dann eine Systemintegration im jeweiligen Projektkontext erfolgt. Über den digitalen Zwilling des Gebäudes kann diese Integration standardisiert werden und zu jedem Zeitpunkt relevante Domänen zusammen betrachtet werden. Hierdurch können wir kontinuierlich überwachen, lernen, vorausschauen, analysieren und in Zukunft auch simulieren.
Perspektivisch sehe ich eine gute Chance, die Technik so weiterzuentwickeln, dass wir Szenarien wie dieses erfolgreich abbilden können: Würde sich beispielsweise der Ministerpräsident mit hundert Leuten für den nächsten Tag zum Besuch eines Unternehmens anmelden, dann könnte man vorab simulieren, was das für den Bedarf an Tischen, Catering, Heizung, Lüftung und Klima bedeutet. Das ginge dann von der Steuerung der Gebäudetechnik bis hin zum proaktiven Beschaffen von Ersatzteilen, einschließlich der Einplanung eines Servicetechnikers mit möglichst kurzem Anfahrtsweg.
Angenommen, Sie bekommen einen Auftrag von einem Bankgebäude in Frankfurt – wie lange würde es denn dauern, einen digitalen Zwilling zu erstellen...?
Andreas Mauer: Das kommt drauf an. Arbeitet der Kunde bereits mit Building Information Modeling, kurz BIM, einem Prozess zur digitalen Darstellung eines Gebäudes, kann der digitale Zwilling auf dieser Grundlage durch unsere Werkzeuge aufgebaut werden. Dieser Prozess läuft dann hochautomatisiert. Anders sieht es dann aus, wenn es zum Beispiel Papierpläne gibt. Solche Formate müssen aktuell noch aufwendig überführt werden in solche, die die Maschine versteht. In Zukunft soll dieses Onboarding bereits mit Hilfe von KI geschehen – also mit kognitiven Modellen, die aus PDF-Dateien oder gescannten Papieren die relevanten Informationen herausholen. Wir arbeiten gerade an einem „Onboarding-Co-Piloten“, in den wir Künstliche Intelligenz einbauen, die diese Transferleistung erbringt. Das ist insbesondere deshalb sinnvoll, weil BIM bislang noch zu wenig verbreitet ist – und wenn, dann ist die Sicherheitstechnik oft nicht darin erfasst. Wesentlich fortschrittlicher ist das in Skandinavien und England, wo alle neuen Planungen mit BIM arbeiten müssen.
Lassen Sie uns noch mal auf die Vorteile schauen, die den einzelnen Nutzern durch diese Innovationen winken...
Andreas Mauer: Hier unterscheiden wir ja die drei großen Os – also den Owner, den Operator und den Occupant – sprich, den Eigentümer, den Gebäudebetreiber und die konkreten Nutzer, die sich vor Ort in unterschiedlichen Rollen bewegen. Der Eigentümer will ein attraktives Objekt in seinem Immobilien-Portfolio haben, er möchte, dass möglichst viele Mieter bleiben und viele neue dazukommen. Damit verbunden ist der Ansporn, seine Investition planen zu können – also, wo soll er investieren, wo etwas Neues bauen –, am besten nachhaltig nach ESG-Kriterien geplant oder saniert. Für den Betreiber ist wichtig, wo etwas eventuell kaputt ist, wo es zu warm oder zu kalt ist, etc. Außerdem muss er Wartungsarbeiten etwa an Brandmeldern regelmäßig durchführen – und er muss letztlich dafür sorgen, dass der Nutzer glücklich ist. Diese Stimmigkeit ist insbesondere für junge Menschen, die in einem Gebäude arbeiten, wichtig: Zugänglichkeit, Intelligenz, wie einfach kann ich einen Besprechungsraum buchen? Gibt es eine App dafür? Und wie sieht es mit der Konnektivität aus?
Mit unserer digitalen Service-Suite Nexospace haben wir uns auf den Weg gemacht, alle drei relevanten Gruppen zu überzeugen: Ein digitales Gebäude wirkt auf die Nutzer motivierend und steigert für Eigentümer und Betriebsverantwortliche Komfort, Effizienz und Nachhaltigkeit. All das kann ich erreichen, wenn ich ganzheitlich an das Konzept herangehe und die Prozesse, denen der Nutzer folgt, sowie die Interaktion der Gewerke transparent abbilde und damit echte Physik digital auswerte. Das gilt für ein kleines Schulgebäude genauso wie für ein Bürohochhaus.
Herr Mauer, wir sprechen hier ja gerade per Video-Meeting, ich selbst sitze jedenfalls gerade nicht im Verlag. Sehen Sie nicht einen gewissen Bedeutungsverlust vor allem bei Büro- und Verwaltungsgebäuden – Stichwort Corona, Home-Office, mobiles Arbeiten, etc.?
Andreas Mauer: Die Arbeitswelt hat sich in der Tat vollkommen verändert. Hybrides Arbeiten und der Einsatz smarter und intelligenter Systeme machen es möglich, dass Gebäudebereiche flexibler verwendet werden können. Beispielsweise kann man sich dafür entscheiden, bedarfsbezogen einzelne Gebäudebereiche anzumieten. Die Frage der Investition in kommerziell genutzten Gebäuden ändert sich deshalb gerade sehr stark. Das hat auch Implikationen für die Sicherheitstechnik, da eine flexiblere Nutzung auch die Anforderungen an die Sicherheit verändert. Wir wollen all das auch in unserem neuen Headquarter in Neuperlach aufzeigen, das wir voraussichtlich Ende dieses Jahres beziehen werden. Damit nehmen wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung wahr, da wir dort CO2-neutral arbeiten werden.
Wie weit sind wir mit der Digitalisierung von Gebäuden im DACH-Raum? In den USA und China ist man wohl schon erheblich weiter...?
Andreas Mauer: In den USA – aber auch dort nicht etwa überall – gibt es Bereiche, in denen man experimentierfreudiger ist, gerade im IoT-Bereich. Das Gleiche gilt für bestimmte Zentren in China mit Leuchtturmprojekten. Insgesamt muss man feststellen, dass der Bereich der kommerziellen Gebäude eher konservativ ist. Es kommt aber aktuell viel Bewegung in die Gebäudebranche durch den Willen zur Nachhaltigkeit – sie treibt das Geschehen stark an. In Europa sind übrigens die Niederländer, Engländer und vor allem Skandinavier umtriebiger als der DACH-Raum. Im DACH-Raum gibt es immer noch relativ viel Skepsis, gerade bei der Frage, ob eine Investition noch für den Bauherren selbst etwas bringt – oder etwas später kommenden Nutzern. Die Folge ist, dass wir hier stärker in der Pflicht stehen, Nachweise für diesen Nutzen aufzuzeigen.
Jetzt haben wir sehr viel über Visionäres gesprochen. Wie weit in die Zukunft planen Sie – und welche nächsten größeren Schritte gehen Sie in welchen Zeitabständen...?
Andreas Mauer: Die ganzen Themen, die wir besprochen haben, sind absolute Kernelemente unserer Strategie bei Bosch Building Technologies. Wir wollen immer mehr perfekt integrierte intelligente Systeme bauen. Dabei schauen wir immer nach vorne, bauen Baustein auf Baustein zusammen mit unseren Kunden. Das Streben nach Nachhaltigkeit verstärkt den Anspruch, dass sich Umgebungen ändern müssen, um ihren Zweck zu erfüllen.
Meist gelesen
Konzernsicherheit und Krisenmanagement bei Carl Zeiss
Risikobasierter Sicherheitsansatz: "Wer alles schützen will, schützt nichts." GIT SICHERHEIT im Interview mit Sven Franke, Head of Security, Crisis Management & BCM bei Carl Zeiss.
Phoenix: der erste Barfuß-Sicherheitsschuh auf dem Markt
Baak bringt mit "Phoenix" nach fünf Jahren Entwicklungsarbeit den ersten Barfuß-Sicherheitsschuh auf den Markt.
Coded Processing: Funktionale Sicherheit ohne spezielle Hardware ermöglichen
Im Interview mit GIT SICHERHEIT erläutern Claudio Gregorio (Innotec) und Martin Süßkraut (Silistra Systems) wie die Technologie funktioniert.
Kommunale Sicherheit: Gespräch mit der Düsseldorfer Ordnungsdezernentin Britta Zur
Öffentliche Sicherheit der Stadt Düsseldorf im Zusammenspiel von Ordnungsamt und Polizei: Ordnungsdezernentin Britta Zur im Interview über die Kriminalitätsentwicklung, Gefahrenabwehr und Fußball-EM 2024.
General Product Safety Regulation (GPSR): Was regelt sie und welche Akteure müssen sich damit befassen?
Neue EU-Produktsicherheitsverordnung (GPSR) ab 13.12.2024: Wichtige Änderungen und Anforderungen für Verbraucherprodukte