Gefahrenabwehr und Prävention bei Infraserv Höchst

Der Standort Industriepark Höchst des Betreibers Infraserv Höchst hat eine eigene Eisenbahn, einen eigenen Hafen und eine eigene Feuerwehr. Sie ist mit ihren 4,6 Quadratkilometern eine veritable Stadt in der Stadt – mit 90 Unternehmen der Chemie- und Pharmabranche. 22.000 Menschen sind hier beschäftigt. Infraserv Höchst ist Standortentwickler sowie Experte für chemienahe Dienstleistungen – und ist Betreiber des Industriestandorts. Die Abteilung Gefahrenabwehr Prävention des Bereichs Site Management wird geleitet von Linda Voigtländer. GIT SICHERHEIT hat mit ihr gesprochen.

Linda Voigtländer, Leiterin der Abteilung Gefahrenabwehr.  © Infraserv Höchst
Linda Voigtländer, Leiterin der Abteilung Gefahrenabwehr. © Infraserv Höchst

GIT SICHERHEIT: Frau Voigtländer, vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen für unser GIT SICHERHEIT-Interview. Als Leiterin der Abteilung Gefahrenabwehr Prävention bei Infraserv Höchst dürften Sie eine volle Agenda haben. Könnten Sie zum Einstieg Ihren Aufgabenbereich skizzieren?

Linda Voigtländer:
Ich danke Ihnen für die Einladung zum Interview und berichte gern über den sehr abwechslungsreichen Aufgabenbereich. Der Industriepark Höchst in Frankfurt am Main ist wie eine Stadt in der Stadt, mit eigener Energieversorgung, mit einem Arbeitsmedizinischem Zentrum und einer Feuerwehr, einem Hafen und einer Eisenbahn. Das 4,6 Quadratkilometer große Industrieareal ist Standort von mehr als 90 Unternehmen, die 22.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen. Damit die Chemie- und Pharmafirmen sich auf ihre Kerngeschäfte konzentrieren können, stellt Infraserv Höchst als Standortbetreiber viele Infrastrukturleistungen zur Verfügung. Dazu gehören unter anderem Energie- und Rohstoffversorgung, Entsorgungsleistungen und Umweltschutz-Services, eine Logistik-Infrastruktur und ein umfangreiches Angebot an Sicherheitsdienstleistungen.

Meine Abteilung, die Gefahrenabwehr Prävention, gehört zum Bereich Site Management, der für die Gefahrenabwehr (GA), die öffentliche Infrastruktur und weitere allgemeine Services im Industriepark Höchst verantwortlich ist.


Wie ist das Ganze aufgebaut?

Linda Voigtländer:
Die Gefahrenabwehr-­Organisation gliedert sich in die GA-Prävention und die GA-Intervention (Werkfeuerwehr, Notfallmanagement und Gefahrenabwehrmeldezentrale). Ziel der integrierten Gefahrenabwehrorganisation der Infraserv Höchst ist der Schutz von Personen, Anlagen und Umwelt im Industriepark.

Zu meiner Abteilung gehören die Betriebe Unternehmenssicherheit, Besucher- und Ausweismanagement, Ermittlungs- und Sonderdienste, Sicherheitstechnik und Projektmanagement. Mit unseren ca. 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Eigenpersonal decken wir ein umfangreiches Leistungsportfolio ab. Zu unseren Hauptaufgaben gehören die Erstellung von Zutrittsberechtigungen, die Durchführung von Zugangs- und Zufahrtskontrollen, die Abwicklung logistischer Prozesse und die Mitwirkung in der integrierten Alarm- und Gefahrenabwehrorganisation des Industrieparks Höchst. Dazu kommen Kontroll- und Streifendienste, die Aufnahme und Bearbeitung von Straftaten im Industriepark Höchst, die Durchführung von Lauschabwehrmaßnahmen sowie der rechtlich und datenschutzkonform zulässigen Zusammenarbeit und dem daraus resultierenden Informationsaustausch mit den zuständigen Polizei- und Zollbehörden. Weitere Aufgaben sind die Präventionsarbeit durch Beratung, Schulung und Sensibilisierung von Unternehmen und deren Mitarbeitern mit dem Ziel der Vorbeugung von Straftaten sowie dem frühzeitigen Erkennen von Schwachstellen und das Administrieren und Betreiben von Sicherheitssystemen.


Seit wann sind Sie im Bereich Sicherheit tätig? Könnten Sie uns ein wenig über Ihre vorherigen Stationen erzählen? Was hat Sie für das Thema Sicherheit begeistert?

Linda Voigtländer:
Tatsächlich hatte ich bereits in meiner Kindheit den Wunsch, mich für Sicherheit einzusetzen, am liebsten in einer Polizeiuniform. Nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema habe ich mich entschlossen, nach dem Abitur eine Ausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit zu machen. So kam ich 2006 von der Mecklenburgischen Seenplatte nach Frankfurt am Main, wo ich an einem Assessmentcenter teilnahm und danach bei Infraserv Höchst meine dreijährige Ausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit begann. Während der Ausbildung hatte ich die Möglichkeit, alle Security-relevanten Abteilungen zu durchlaufen. Ich wurde unter anderem im Tag- und Schichtdienst der Unternehmenssicherheit, im Ermittlungsdienst, beim Besucherempfang und in der Sicherheitstechnik eingesetzt. Als ich nach der Ausbildung übernommen wurde, war ich zunächst in der Unternehmenssicherheit am größten Zufahrtstor tätig und habe danach vier Jahre im kaufmännischen Bereich gearbeitet, wobei ich Erfahrungen mit SAP und in diversen betriebswirtschaftlichen Prozessen sammeln konnte.

Berufsbegleitend habe ich in diesem Zeitraum mit Unterstützung eines IHK-Begabtenförderungsprogramms, das ein Teilstipendium beisteuerte, Securitymanagement studiert und mit dem Bachelor of Business Administration abgeschlossen. 2017 übernahm ich bei Infraserv Höchst meine erste Führungsposition als Leiterin der Unternehmenssicherheit mit 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich hatte zum Glück einen erfahrenen Kollegen an meiner Seite, der mich tatkräftig unterstützte. Dieser Schritt war in jedem Fall eine spannende Herausforderung für mich. Der eine oder andere mag dann auch gedacht haben: „Sieh an, das war einmal unsere Azubine.“ Nach kurzer Zeit hat sich die neue Konstellation gut eingespielt, so dass ich die Gesamtleitung des Betriebes übernommen habe und seit 2020 meine heutige Position als Leiterin der gesamten Abteilung Gefahrenabwehr Prävention innehabe.


Wie schätzen Sie bei Infraserv Höchst die Sicherheitslage derzeit ein, soweit es Industriepark Höchst betrifft? Welche Gefahren sind für Sie derzeit am vordringlichsten? Welche Trends sehen Sie diesbezüglich?

Linda Voigtländer:
Wir haben eine hybride Gefahrenlage. Vordringliche Themen sind der Schutz der Kritischen Infrastruktur, Cyberkriminalität, Ausweisdokumentenfälschung, Sabotage, unberechtigte Zutritte (Ausweisweitergabe, Perimeterübertritt), Unterschlagung von Transportgütern und Diebstahl von Edelmetallen. Wir berücksichtigen zusätzlich die allgemeine Sicherheitslage und sicherheitspolitische Situation und leiten entsprechende Maßnahmen ab.

Einen Trend beobachten wir bei der Fälschung von Ausweisdokumenten. Wir arbeiten mit Dokumenten-Prüfgeräten und können durch den Einsatz moderner Technik ge- oder verfälschte Ausweisdokumente identifizieren und Vorfälle bei der Polizei melden. Das führte schon mehrfach zu Verhaftungen durch die Polizei. Wir stellen fest, dass die Hemmschwelle zu kriminellen Handlungen sinkt und sind stetig dabei, Aktivitäten im Bereich Awareness unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu steigern (Eigensicherung, taktisches Vorgehen, etc.).


Infraserv sichert ja nicht nur das Gelände in Höchst, sondern ist auch Anbieter von Facility-Management und Safety- und Security-Lösungen für Drittunternehmen an. Wird das alles von Ihrer Abteilung aus gemanagt oder wie muss man sich das vorstellen?

Linda Voigtländer:
Mit unseren Facilities Services haben wir bei Infraserv Höchst eine eigene Organisationseinheit, die in verschiedenen Regionen Deutschlands aktiv ist und viele Facility Management-Leistungen für die Kunden anbietet, insbesondere für Firmen aus dem Chemie- und Pharmabereich. Gleiches gilt für viele andere Leistungen aus den Bereichen Umweltschutz, Genehmigungsmanagement, Logistik, Arbeitsschutz oder Arbeitsmedizin, um beispielhaft nur einige Arbeitsgebiete zu nennen. Auch das Know-how unserer Security-Fachleute ist gefragt. Wir beraten viele Kunden innerhalb und außerhalb des Industrieparks Höchst und sind auch operativ für die Unternehmen tätig. Zusätzlich zu den bereits genannten Leistungen, die wie als Standortbetreiber erbringen, unterstützen wir Unternehmen beispielsweise durch Objektschutz, die Online-Überwachung gebäudetechnischer Anlagen, Beratungsleistungen bei Themen wie Brandschutz oder IT-Security. Auch diese Aufzählung ist bei weitem nicht komplett, das Portfolio der Leistungen ist noch sehr viel umfangreicher und vielfältiger.


Eines der Tore wird gerade vollständig umgebaut. Könnten Sie das Projekt ­einmal skizzieren? Wie wird sich das neue Tor vom alten unterscheiden?

Linda Voigtländer:
Die Baumaßnahmen sind erforderlich, um Teile der technischen Anlagen zu erneuern und das Sicherheits-niveau in Bezug auf Safety und Security noch weiter zu verbessern. Der neue Straßenbelag ist für Fahrzeuge mit erhöhter Traglast, also für Schwerlasttransporte ausgelegt. Wir steigern die Effizienz der Sicherheitsprozesse an den Toren, wobei wir auch den Personalaufwand reduzieren. Damit sparen wir Kosten, aber mit der Überprüfung der notwendigen Personalressourcen reagieren wir auch auf den Fachkräftemangel. Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber, der viel zu bieten hat, aber auch uns fällt es zunehmend schwerer, freie Stellen zeitnah zu besetzen. Weiterhin implementieren wir Abfertigungsgondeln, die eine bidirektionale Abfertigung des Verkehrs ermöglicht.

Zudem wird Tor Süd durch die baulichen Veränderungen kundenfreundlicher gestaltet. Dazu gehört die Möglichkeit eines barrierefreien Zugangs.

Bleiben wir noch etwa beim Zutritt: Wie in vielen Bereichen der Sicherheit auch, spielt die Digitalisierung eine wichtige Rolle auch beim Besucherzutritt, dem Anmeldeprozess, der Sicherheitsbelehrung, etc. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Linda Voigtländer:
Das ist korrekt. Auch wir haben in verschiedenen Projekten digitale Lösungen für Zutrittsprozesse erarbeitet und entwickeln diese Prozesse kontinuierlich weiter. Dazu gehört z. B. die Anschaffung von Terminals für einen Self-Check-in für Besucher und logistische Prozesse. Die Terminals werden einen biometrischen Abgleich zwischen Person und Ausweisdokument ermöglichen und die notwendigen Zugangsdokumente erstellen. Um Wartezeiten zu minimieren, werden wir außerdem die Online-Voranmeldung erweitern.

Die für den Zutritt zum Industriepark notwendige Sicherheitsschulung kann ohnehin schon seit langem online durchgeführt werden.


Arbeiten Sie auch mit externen ­Dienstleistern zusammen? Wie ist hier Ihre Philosophie?

Linda Voigtländer:
Bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern handelt es sich komplett um Eigenpersonal. Das sichert eine beständig hohe Qualität und minimiert die Fluktuationsquote. Die Kollegen verfügen teilweise über langjährige Erfahrung, die in einem so komplexen Konstrukt wie dem Industriepark sehr wertvoll ist. Natürlich bleiben auch wir vom Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel nicht verschont und beschäftigen uns intensiv mit dem Thema Personalgewinnung. Hier sind wir mit unserer Tochtergesellschaft Provadis, dem größten Aus- und Weiterbildungsunternehmen Hessens, glücklicherweise hervorragend aufgestellt. Provadis ist seit mehr als 25 Jahre erfolgreich, auch bei der Rekrutierung von Auszubildenden, die dort in mehr als 40 Berufen auf einem sehr hohen Niveau ausgebildet werden. Zum Start des Ausbildungsjahres hat das Unternehmen 640 neue Azubis aufgenommen, darunter allein 87 Infraserv-Azubis. Wir haben zudem langjährig etablierte Beziehungen zu verschiedenen Dienstleistern und arbeiten bei Bedarf sehr vertrauensvoll mit externen Partnern zusammen.


Lassen Sie uns über ein paar aktuelle Projekte sprechen: Da wäre zum Beispiel das sehr aktuelle Thema Drohnen. Welche Rolle spielen sie für Infraserv Höchst?

Linda Voigtländer:
Drohnen werden bei Infraserv Höchst bereits in verschiedenen Bereichen eingesetzt, z. B. bei der Werkfeuerwehr, im Umweltschutz zum Sammeln von Messdaten, bei den Facilites Services zur Objektbefliegung (Zustand von Gebäuden), aber auch im Securitybereich zur Standortanalyse für feste Kamerainstallationen (Blickwinkelkontrolle), etc.


Sie befassen sich gerade mit Tests zu teilautonomen Drohnenflügen. Wie sieht das genau aus und welche Ziele verfolgen Sie damit?

Linda Voigtländer:
Wir befinden uns aktuell in einem Projekt zum Thema „Drohnengestützter Perimeter-Schutz“. Teilautomatisierter Drohnenflug bedeutet, dass die Drohne selbstständig startet und landet und auf festdefinierten Flugrouten die Perimeterüberwachung übernimmt. Abweichungen vom festgelegten Soll-Zustand werden per Alarm gemeldet. Es gibt eine Aufnahmenübertragung zur Gefahrenabwehrmeldezentrale (GAMZ). Der Drohnenpilot ist immer ein ausgebildeter Standort-Mitarbeiter und kann bei Bedarf die Steuerung übernehmen. Weitere zukünftige Einsatzmöglichkeiten könnte in der Unterstützung im Einsatzfall bestehen, beispielsweise durch die Ausrüstung mit einer Wärmebildkamera. Auf diese Weise könnten Einsatzkräfte im Ereignisfall unterstützt werden, auch bei Einbruchalarmen, der Eigensicherung und der Ausleuchtung durch LED- Scheinwerfer. Auch bei Verkehrsunfällen könnten Drohnen zum Einsatz kommen, beispielsweise für Fotoaufnahmen. Neue Möglichkeiten ergeben sich zudem im Bereich der automatischen Detektion mit Unterstützung von KI-Technologie.


Drohnen seitens Dritter sind ja eine nicht nur potentielle Gefahr für Unternehmen und solche Standorte wie dem Ihren. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein und welche Strategie verfolgen Sie hier?

Linda Voigtländer:
Wir beobachten den Markt in Bezug auf die Drohnenabwehr und nutzen die bislang bestehenden Möglichkeiten. Natürlich besteht hier eine Gefährdungslage, doch wir sind mit unserer Perimeterüberwachung auch hier gut aufgestellt.


Ebenfalls eins Ihrer aktuellen Projekte: Sie wollen weg vom digitalen Bündelfunk – hin zur Nutzung des Push-to-Talk-Technologie – sprich, zur Nutzung des Mobilfunknetzes zur Sprachnachrichtenübermittlung. Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen, wie ist dieses Projekt organisiert und wie ist hier der Stand...?

Linda Voigtländer:
Der analoge Bündelfunk ist aus unserer Sicht nicht zukunftsfähig. Daten werden nicht ausreichend verschlüsselt, die Reichweite ist beschränkt auf Grund der Funkzellen, der Standard ist veraltet. Bei Push to talk, also der Zusammenführung von drei Endgeräten auf ein mobiles Gerät (Pager, Funkgerät, Handy auf Smartphone), gibt es keine Abhängigkeit von begrenzten selbstbetriebenen Funkzellen, die Reichweite ist unbegrenzt (gemäß Ausbaustufe Mobilfunknetz), WLAN-Verbindungen können genutzt werden, das Gerät ist handlicher. Wir befinden uns in der Testphase und arbeiten an der Optimierung der Schnittstelle zu unserer GAMZ. GPS-Tracking wird möglich, die Möglichkeit von Statusmeldungen gemäß analog öffentlichem BEOS-Funk wird aktuell implementiert.


Was steht im kommenden Jahr noch auf Ihrer Agenda?

Linda Voigtländer:
Wir haben, wie Sie sehen, so viele Projekte, dass uns auch im nächsten Jahr nicht langweilig wird. Natürlich arbeiten wir fortlaufend an Digitalisierungsoptionen und entwickeln uns stetig weiter.


Vielen Dank für das Gespräch, Frau Voigtländer.

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Infraserv GmbH & Co. Höchst KG

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