Katastrophenschutz: Interview mit Albrecht Broemme, Präsident des THW
Das Technische Hilfswerk (THW) ist eine Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums. 99 Prozent der rund 80.000 THW-Angehörigen sind Freiwillige. Fahrzeuge, Boote...
Das Technische Hilfswerk (THW) ist eine Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums. 99 Prozent der rund 80.000 THW-Angehörigen sind Freiwillige. Fahrzeuge, Boote, Einsatzgerät und gut ausgebildete Helferinnen und Helfer sind Grundlage der hohen Effizienz des THW - in Deutschland und in der Welt. Unser wissenschaftlicher Schriftleiter Heiner Jerofsky sprach mit Albrecht Broemme, einem erfahren Brand- und Katastrophenschützer und Chef des THW.
GIT-SICHERHEIT: Wir haben uns beim Sommerfest des Bundespräsidenten in Berlin getroffen, bei dem Ihre Helferinnen und Helfer für ihr ehrenamtliches Engagement beim Flusshochwasser 2013 geehrt wurden. Gibt es so was wie ein Leitbild oder Leitsätze für Sie, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Albrecht Broemme: Wir haben im THW im vergangenen Jahr nach ausführlicher Diskussion auf allen Ebenen und in allen Teilen Deutschlands neue Leitsätze verabschiedet und eingeführt. Ein Leitbild ist für jede Organisation wichtig, weil es gemeinsame Werte verständlich zusammenfasst und damit Orientierung bietet. Es darf natürlich nicht nur am „Schwarzen Brett" ausgehängt werden, sondern muss auch gelebt werden. Ein Leitsatz lautet zum Beispiel: „Wir begeistern junge Menschen für das THW und zur Übernahme von Verantwortung." Damit ist gemeint, dass das THW seine Jugendarbeit ernst nimmt und sich als ein Ort versteht, an dem sich junge Menschen entwickeln und ihre Fähigkeiten in der Gesellschaft entfalten können.
Wie muss man sich Ihren gesetzlichen Auftrag, Organisation und Ziele Ihrer Bundesbehörde vorstellen?
Albrecht Broemme: Den Auftrag des THW hat der Gesetzgeber im THW-Gesetz formuliert: Neben dem Zivilschutz gibt es die technisch-logistische Hilfe bei Katastrophen, öffentlichen Notständen und Unglücksfällen größeren Ausmaßes auf Anforderung der für die Gefahrenabwehr zuständigen Stellen. Außerdem wird das THW im Auftrag der Bundesregierung auch im Ausland eingesetzt. Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind in 668 THW-Ortsverbänden organisiert, werden dort ausgebildet und sind dort vielfältig in Gefahrenabwehr eingebunden. Bundesweit sind rund 800 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit befasst, die Arbeit des THW zu organisieren, zu steuern, zu unterstützen und weiter zu entwickeln. Die Ziele des THW wurden in einem sogenannten Zielepapier zusammengestellt. Es handelt sich um Planungsgrößen hinsichtlich der Einsatz- und Leistungsfähigkeit des THW, bezogen auf Szenarien, die für das THW in Deutschland oder im Ausland relevant sind.
Als ehemaliger Chef der größten deutschen Feuerwehr haben Sie viel Erfahrung für Ihre jetzige Tätigkeit mitgebracht. Sind Sie bei heutigen Einsätzen auch noch selber vor Ort? Wie muss man sich Ihre tägliche Arbeit beim THW vorstellen?
Albrecht Broemme: Die tägliche Arbeit für mich als THW-Präsident ist die Arbeit am Schreibtisch bzw. am Laptop. Die meisten Tage im Jahr - und hierzu zählen auch Wochenenden - bin ich in Deutschland oder im Ausland unterwegs, denn Gespräche und eigene Wahrnehmungen sind auch mit den neuen Medien nicht zu ersetzen. Bei Einsätzen bin ich nur noch selten „vor Ort", meistens wenn sie länger dauern. Statt der Einsatzleitung im konkreten Fall habe ich die Gesamtverantwortung für die Einsatzfähigkeit des THW.
Nach welchen Kriterien sind die THW-Einheiten und -Fachgruppen bundesweit gegliedert?
Albrecht Broemme: Als Bundesorganisation sind wir bei der Dislozierung der Züge und Fachgruppen nicht an kommunale oder andere politischen Grenzen gebunden, zumal alle im Einsatz erforderlichen Einheiten bundesweit zusammengezogen werden könnten. Das THW plant nach einem Pyramidenmodell: alle Ortsverbände haben eine gleiche Grundausstattung, die sogenannten Technischen Züge sowie eine oder mehrere Fachgruppen. Jede der 66 THW-Geschäftsstellen betreut zirka 10 Ortsverbände. Innerhalb jeden Geschäftsstellen-Bereiches gibt es alle Fachgruppen, wie z. B. Beleuchten, Räumen, Pumpen grundsätzlich mindestens einmal. Besonders teure und selten benötigte Fachgruppen werden von den acht Landesverbänden solchen Ortsverbänden zugewiesen, die z. B. für Trinkwasser oder Brückenbau besonders geschult sind. Bei der Auswahl der Standorte werden örtliche Gefährdungen und Einsatzmöglichkeiten somit berücksichtigt.
Welche besondere technische Ausrüstung, wie Fahrzeuge, Spezialwerkzeuge oder anderes Einsatzgerät, steht einem „Technischen Zug" im operativen Einsatz i.d.R. zur Verfügung und wie viele „Technische Züge" sind derzeit einsatzbereit?
Albrecht Broemme: Das THW hat ein breites Einsatzspektrum, das von der Rettung von Menschen und Tieren, dem Sichern bedeutender Sachwerte, der Unterstützung zur Aufrechterhaltung kritischer Infrastrukturen, der Schadenbekämpfung bei Naturereignissen bis hin zu speziellen Anforderungen der allgemeinen Gefahrenabwehr reicht. Wir haben insgesamt 725 Technische Züge - sie sind die Basiseinheit aller THW-Ortsverbände für Grundleistungen in technischer Hilfe. Diese werden durch Fachgruppen ergänzt. Beispiele sind die Fachgruppen Räumen, Ortung, Elektro- und Trinkwasserversorgung, Infrastruktur, Wasserschaden/Pumpen, Sprengen, Brückenbau sowie Fachgruppen mit operativen Führungs-, Kommunikations- und Logistik-Fähigkeiten). Ein THW-internes Leitungs- und Koordinierungssystem sorgt dafür, dass bei Anforderungen die richtigen Kräfte mit den richtigen Mitteln zur richtigen Zeit am gegebenen Ort verfügbar sind - und das bundes-, EU- und weltweit.
Ist Ihre funktechnische Ausrüstung vergleichbar mit den Berufsfeuerwehren (BOS-Funk) und ist eine Umstellung auf Digitalfunk geplant oder erfolgt? Sind sie bei Einsätzen in Deutschland an die örtlichen Rettungsleitstellen der Feuerwehr angebunden?
Albrecht Broemme: Das THW ist bundesweit in die Gefahrenabwehr und den Katastrophenschutz sowie deren Leitstellen eingebunden. Hierzu müssen wir auch die dafür erforderlichen Anforderungen bei der Alarmierung und in der Kommunikation der BOS erfüllen. Die Umstellung auf den Digitalfunk ist beim THW weit fortgeschritten. So wurden dieses Jahr bereits mehr als 10.000 digitale Handfunkgeräte (HRT) an die Ortsverbände ausgegeben und sind in Betrieb. Ab Anfang 2014 werden Zug um Zug rund 7.000 digitale Endgeräte für Fahrzeuge (MRT), Feststationen (FRT) und Koffergeräte (MRT-K) ausgeliefert, die dann im Laufe des Jahres in Betrieb gehen. Auch die zentrale Taktisch-Technische-Betriebsstelle (TTB) in der THW-Leitung ist seit Dezember 2013 in Betrieb. Unsere Analog-Funk-Fähigkeiten werden solange noch versucht, aufrecht zu erhalten wie sie in den Ländern im Einsatz sind.
Welche Ausstattungen, wie Einsatzbekleidung und Schutzausrüstung gehören zur persönlichen Ausrüstung Ihrer Helferinnen und Helfer?
Albrecht Broemme: Für den Dienst im THW erhalten alle Angehörigen je nach Aufgabe bzw. Funktion aus Bundesmitteln beschaffte THW-Bekleidung. Diese besteht aus:
- Einsatzschutzbekleidung, zugeschnitten auf die einsatztaktischen Anforderungen des THW
- Arbeitsschutzbekleidung, zugeschnitten für alltägliche Anforderungen des THW
- Dienstbekleidung, unsere „Uniform" für öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen - seit 2012 in „Friedrich-Blau"
- Jugendbekleidung, die im Design an das Bekleidungskonzept der Einsatzschutzbekleidung angelehnt ist
- Besondere Schutzbekleidung für spezielle Einsatzzwecke, z. B. der Wetterschutzanzug
- Auslandsbekleidung, abgestimmt auf Anforderungen anderer Klimazonen
- Koch-/Küchenhelferbekleidung, die aus Gründen der Hygiene und der Arbeitssicherheit vorgeschrieben ist
- Zusätzlich zu der aus Bundesmitteln bereitgestellten Bekleidung kann privat eine Tagesdienstbekleidung erworben werden
Das THW hat als Grundlage eine „Richtlinie über die Bekleidung und Kennzeichnung im Technischen Hilfswerk" aufgestellt, die aktuellen Erfordernissen angepasst wird.
Kommen bei bestimmten Einsätzen moderne Atemmasken bzw. Atemschutzgeräte und Gasmessgeräte zum Einsatz?
Albrecht Broemme: Das THW ist in verfügt in jedem Ortsverband über Atemschutz- und Messgeräte. Im THW gelten für den Einsatz und für die Ausbildung dieselben Leistungskriterien im Atemschutz wie für die Feuerwehren. Die Mess- und Spürausstattung ist allerdings auf das Einsatzspektrum des THW beschränkt und nicht so umfangreich wie bei anderen Katastrophenschutzeinheiten.
Wie viele Rettungssuchhunde werden für die Suche nach vermissten oder verschütteten Personen für Einsätze im In- und Ausland ausgebildet und trainiert?
Albrecht Broemme: Rettungshunde gehören zur THW-Fachgruppe Ortung. Ein Rettungshundeteam besteht aus einem THW-Helfer bzw. einer Helferin und einem Rettungshund. Derzeit gibt es im THW 215 Rettungshunde in Ausbildung und Training, die über das Bundesgebiet verteilt sind. Darüber hinaus hat das THW begonnen, mit zehn Rettungshundeteams beim „Mantrailing", der Flächensuche nach Vermissten, mitzuarbeiten.
Welche Berufe und Kenntnisse sind für THW-Helfer von Vorteil und welche Aus- und Fortbildungsmaßnahmen bietet die Bundesschule an?
Albrecht Broemme: Das THW bietet prinzipiell für Jedermann die Möglichkeit, sich einzubringen. Zwar sind berufliche Kenntnisse in einschlägigen Fachgruppen (z. B. Elektroversorgung, Gas-Wasser-Installation, Ingenieurwesen) von Vorteil, doch auch die Rechtsanwältin, der Bürokaufmann, die Schülerin oder die Hausfrau sind beim THW willkommen. Sie werden über die Grund- und Fachausbildung je nach Eignung und Interesse befähigt und somit für THW-Einsätze qualifiziert. An der THW-Bundesschule werden Aus- und Fortbildungsmaßnahmen angeboten, die auch zivilberuflich anerkannt sind: z. B. Thermisches Trennen und Schweißen, Verlegen von PVC, Baggerfahren oder die Eignung zum Ausbilder. Das THW ist also weder eine Einrichtung nur für Handwerker noch nur für Wissenschaftler. Tatsächlich wird das THW erst durch die Vielfalt der beruflichen Qualifikationen seiner Helfer und Helferinnen so vielseitig und effizient einsetzbar.
Wo und wie oft können die unterschiedlichen Einheiten für Zivil- und Katastrophenschutz realistisch üben und trainieren?
Albrecht Broemme: In jedem Ortsverband gibt es regelmäßig ein bis viermal pro Monat Ausbildungen und Übungen. Sie finden grundsätzlich abends oder am Wochenende, also außerhalb der üblichen Arbeitszeit statt. Hierzu erstellt jeder Ortsverband halbjährlich einen Ausbildungsplan, der die verschiedenen Themenschwerpunkte umfassen soll, hierzu gehören auch wiederkehrende Belehrungen und technische Überprüfungen. Darüber hinaus gibt es Übungen mit mehreren Ortsverbänden oder auf Ebene eines Landesverbandes. International beteiligt sich das THW an EU-Übungen und Ausbildungen der UN-Organisationen. Zwar leidet jede Übung unter einer gewissen Übungskünstlichkeit, doch sind die Übungsszenarien von realen Schadensereignissen abgeleitet. Und wenn sich die Einsatzkräfte erst einmal auf die Übung „eingelassen" haben, ist schnell vergessen, dass die Situation nicht „echt" ist. Ich handele nach dem Grundsatz: „Ohne Übungen werden Einsätze zu Experimenten." Üben kann man nie zu viel.
Die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V. (vfdb) hat über ihre Stiftung „SaveInno" das Markenzeichen „Safety - Made in Germany" kreiert. Was verstehen Sie darunter?
Albrecht Broemme: Bei Einsätzen und Übungen im Ausland setzt das THW meistens dieselben Geräte ein, die wir auch in Deutschland benutzen. Dies sind oft deutsche Produkte, die im Ausland entweder bereits bekannt oder noch gänzlich unbekannt sind. Da es uns als Bundesbehörde verwehrt ist, einzelne Produkte hervorzuheben oder gar zu bewerben, ist ein Gütesiegel für bewährte Produkte im Zivil- und Katastrophenschutz eine neutrale und somit gute Lösung. In meiner Eigenschaft als Präsidiumsmitglied unterstütze ich deshalb die vfdb, dieses Gütesiegel zu definieren und an den Start zu bringen.
Was wünschen Sie sich für den THW und für sich persönlich für das neue Jahr?
Albrecht Broemme: Ich wünsche mir für das THW allzeit genügend motivierte, gut ausgebildete und hoch motivierte Helferinnen und Helfer sowie genügend Haushaltsmittel, das Notwendige auch finanzieren zu können. Für mich wünsche ich mir Gesundheit und gelegentlich etwas Zeit für mich selber.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke.
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