Rechtliche Risiken und Versicherungsschutz bei der Nutzung von Exoskeletten im Arbeitsumfeld
Exoskelette sind eine aufstrebende Technologie, die den menschlichen Körper bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten unterstützt. Trotz ihrer Vorteile werfen insbesondere aktive Exoskelette, die über einen eigenen Antrieb verfügen, rechtliche Fragen auf. Was passiert bei einem Arbeitsunfall trotz sachgemäßer Verwendung? Wer trägt die Verantwortung und wie ist der Versicherungsschutz geregelt? Henning Wündisch, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Rödl & Partner, beleuchtet die rechtlichen Aspekte und gibt einen Überblick über die Haftungsregelungen und den Versicherungsschutz bei der Nutzung von Exoskeletten im Arbeitsumfeld.
GIT SICHERHEIT: Exoskelette sind keine völlig neue Technologie. Dennoch wirft der Umgang gerade bei aktiven Exoskeletten, also solchen mit eigenem Antrieb, auch Fragen auf, nicht zuletzt wenn es um die rechtlichen Risiken für Unternehmen geht. Angenommen es kommt zu einem Arbeitsunfall trotz der sachgemäßen Verwendung eines Exoskeletts, wer ist in diesem Fall rechtlich zu belangen und wie ist es um den Versicherungsschutz bestellt?
Henning Wündisch: Der Einsatz von Exoskeletten zur Unterstützung des menschlichen Körpers bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten nimmt in den vergangenen Jahren stetig zu. Mehrere Studien belegen, dass Exoskelette für die Muskulatur oder Körperteile, die sie unterstützen sollen, entlastend wirken. Ob damit aber auch langfristig Beschwerden oder Erkrankungen der Muskulatur oder des Bewegungsapparats vermieden oder reduziert werden können, ist noch nicht hinreichend belegt, auch wenn die derzeitigen Studien bereits gute Erkenntnisse für diese Annahme bieten.
Sollte es beim Einsatz eines vom Arbeitgeber als Arbeitsmittel zur Verfügung gestellten Exoskeletts zu einem Arbeitsunfall kommen, gilt nichts anderes als bei jedem anderen vom Arbeitgeber für die Arbeit zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel, wie einem Akkuschrauber oder einer Bohrmaschine. Nach dem sogenannten Prinzip der Haftungsablösung stellen die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen den Arbeitgeber bei Arbeitsunfällen und Berufserkrankungen von der zivilrechtlichen Haftung frei, d. h. verunfallte oder erkrankte Beschäftigte sowie deren Angehörige und Hinterbliebene können ihre Ansprüche nicht gegen den Arbeitgeber geltend machen, sondern diese werden von der Berufsgenossenschaft reguliert. Dies setzt voraus, dass der Einsatz von Exoskeletten mit der zuständigen Berufsgenossenschaft als präventive Maßnahme des Arbeitsschutzes abgestimmt ist.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, d. h. die Nutzung von Exoskeletten eingeführt hat und dabei bestehende und bekannte Risiken bewusst ausgeblendet wurden. Resultiert der Arbeitsunfall hingegen aus einem Produktfehler, z. B. bei einem fehlerhaften Exoskelett oder einer Fehlfunktion, könnten nach Produkthaftungsrecht gegebenenfalls auch Regressansprüche gegen den Hersteller bestehen. Problematisch dürfte hierbei allerdings sein, dass für Exoskelette im Industriebereich bislang noch keine Produktnorm existiert.
Neben Risiken können Exoskelette umgekehrt natürlich auch Arbeiterinnen und Arbeiter, gerade in körperlich fordernden Berufen, massiv entlasten und zu einer Verbesserung der Gesundheit und zu mehr Sicherheit beitragen. Die Nutzung persönlicher Schutzausrüstung (PSA), wie z. B. Sicherheitsschuhe, ist in Deutschland und vielen anderen Ländern aus eben diesen Gründen seit Jahren gesetzlich geregelt. Wie gestaltet sich die Rechtslage in Hinsicht Exoskelette? Können die Mitarbeiter eines Betriebs in ähnlicher Weise dazu verpflichtet werden, ein Exoskelett zu tragen?
Henning Wündisch: Grundsätzlich kann der Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungs- und Direktionsrechts Arbeitsverfahren und Arbeitsbedingungen seiner Beschäftigten einseitig bestimmen und gestalten. Darüber hinaus hat er nach Arbeitsschutzrecht und Unfallverhütungsvorschriften sogar die Pflicht, die arbeitsbedingten Gefahren seiner Beschäftigten zu beurteilen, geeignete Schutzmaßnahmen festzulegen und, so erforderlich, persönliche Schutzausrüstung bereitzustellen.
Hierbei muss der Arbeitgeber allerdings auch die möglicherweise negativen Auswirkungen der Nutzung von Exoskeletten mit in Betracht ziehen. Zwar sollen diese besonders arbeitsbedingten Belastungen und damit Berufskrankheiten vorbeugen, allerdings ist, wie eingangs bereits erwähnt, gerade die Langzeitwirkung noch nicht hinreichend erforscht. Eine Arbeitshilfe für die Gefährdungsbeurteilung beim Einsatz von Exoskeletten an Arbeitsplätzen steht auf der Internetseite des Institutes für Arbeitsschutz (IFA) zum Download zur Verfügung. Dabei legen die derzeit bestehenden Möglichkeiten zum Einsatz von Exoskeletten eine Einordnung als personenbezogene bzw. personengebundene Maßnahme nahe, sodass Exoskelette nach dem sogenannten TOP-Prinzip an dritter Stelle geeigneter Schutzmaßnahmen stehen und zunächst technische und organisatorische Maßnahmen ausgeschöpft werden sollten, bevor es zum Einsatz von Exoskeletten kommt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Thema Unfallversicherung: Kann der Einsatz eines Exoskeletts für geringere Beiträge bei der Unfallversicherung sorgen, wenn dadurch Risiken bei Arbeitsabläufen minimiert werden?
Henning Wündisch: Berechnungsgrundlage für die Beiträge der Unfallversicherung sind neben dem Finanzbedarf des jeweiligen Unfallversicherungsträgers die Gefahrenklassen der jeweiligen Gewerbezweige sowie die Arbeitsentgelte der Versicherten. Hierauf könnte der Einsatz von Exoskeletten lediglich mittelbaren und nachgelagerten Einfluss haben, indem die vom Unfallversicherungsträger gezahlten Leistungen in einem bestimmten Gewerbezweig dadurch sinken, dass es durch den Einsatz der Exoskelette in diesem Gewerbe zu einer Reduzierung der arbeitsbedingten Arbeitsunfälle und Gesundheitsschädigungen kommt und dadurch die Gefahrenklasse dieses Gewerbezweigs sinkt. Dieser Effekt würde sich allerdings erst verzögert und auch nicht unternehmensindividuell zeigen. Zudem würde sich der Einsatz durch ein einzelnes Unternehmen kaum bemerkbar machen, sondern erst bei einer gewissen Durchdringung innerhalb des Gewerbezweigs.
Allerdings können die Unfallversicherungsträger auf die berechneten Beiträge anhand der der anzuzeigenden Versicherungsfälle des jeweiligen Unternehmens Nachlässe sowie unter Berücksichtigung der vom Unternehmer getroffenen Maßnahmen Prämien gewähren, um das tatsächliche Unfallgeschehen sowie die individuellen Maßnahmen des jeweiligen Unternehmens in die Berechnung einfließen zu lassen. Auf diese Weise könnte der Einsatz von Exoskeletten Einfluss auf die Beiträge zur Unfallversicherung haben.
Auch im neuen Postgesetz ist festgehalten, dass Pakete mit mehr als 20 kg Gewicht nicht mehr von einem einzelnen Zusteller ausgeliefert werden können – es sei denn, er hat ein geeignetes (technisches) Hilfsmittel dabei; käme ein Exoskelett hier in Frage? Könnten in diesem oder ähnliche Zusammenhängen Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen auf den Einsatz von Exoskeletten im Zuge der Arbeitssicherheit in Zukunft bestehen?
Henning Wündisch: Was im Sinne des neuen Postgesetzes als geeignetes technisches Hilfsmittel zu verstehen ist, ist derzeit regulatorisch noch nicht konkretisiert. Eine entsprechende Rechtsverordnung mit Kriterien für die Geeignetheit des Hilfsmittels existiert derzeit ebenso wenig, wie eine Produktnorm für Exoskelette. Auch lassen sich aus der Gesetzesbegründung zur Novellierung des Postgesetzes keinerlei Anhaltspunkte ableiten. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass Exoskelette in absehbarer Zeit als eines dieser vom Postgesetz genannten technischen Hilfsmittel anerkannt werden.
Natürlich sind Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz zentrale Bestandteile der Aufgabenstellung sowohl der Gewerkschaften als auch der Betriebsräte auf Unternehmensebene, sodass Gewerkschaften nicht nur im Rahmen von Tarifverhandlungen, sondern insbesondere über ihre präventive Arbeit mit den betrieblichen Interessenvertretungen sowie über ihre Beteiligung in den staatlichen Arbeitsschutzausschüssen, u.a. für Arbeitsstätten (ASTA), Arbeitsmedizin (AfAMed) und Betriebssicherheit (ABS), in denen die staatlichen Regelwerke zum Arbeitsschutz erarbeitet werden, einen erheblichen Einfluss auf den Einsatz von neuen Technologien im Bereich der Arbeitsschutzprävention und deren weitere Entwicklung ausüben können und hoffentlich auch werden.
Hier geht’s zur Arbeitshilfe für die Gefährdungsbeurteilung beim Einsatz von Exoskeletten.