Raus aus der Brandmelde-Bubble

Die Themenkomplexe rund um die digitale Transformation, den Fachkräftemangel und Smart Buildings sind allgegenwärtig.

Die größten Herausforderungen und Chancen der Brandschutzbranche diskutierte Moderator Andreas Seltmann aus der Perspektive von Herstellern, Planern, Betreibern und Errichtern auf den WIN>DAYS 2021, der virtuellen Messe Wiley Industry Days.

Der WIN>DAYS-Talk zu den Topthemen des Brandschutzes – geleitet von Businessmoderator Andreas Seltmann und begleitet von Co-Host Lisa Holland von GIT SICHERHEIT – war selbst ein Zeichen der allgemein fortschreitenden Digitalisierung: Es fand als Online-Panel statt, einem inzwischen allen vertrautes und geläufiges Format. Die engagierte Debatte machte den Zuschauern und Zuhörern auf interessante Weise und mehr als nur schlagworthaft deutlich und anschaulich, welche Aufgaben der Branche derzeit unter den Nägeln brennt.

Nach Begrüßung durch Lisa Holland von GIT SICHERHEIT als Veranstalter der WIN>DAYS, stellte Andreas Seltmann die Teilnehmer kurz vor – und wandte sich zunächst an Dennis Schmidt von der Volkswagen AG. In seiner Doppelfunktion als Planer und Betreiber unternahm er zum Start der Runde eine zusammenfassende Darstellung der für ihn derzeit größten Herausforderungen im anlagentechnischen Brandschutz.

WIN>DAYS 2022 - virtuelle Kongressmesse für Safety und Security. 15.-17. Februar 2022


Komplexe Anforderungen im VW-Werk in Hannover
Als erfahrender Elektroingenieur mit reichlich gesammelter Erfahrung im Bereich Brandmeldetechnik, Sprachalarm und Einbruchmeldeanalgen ist Dennis Schmidt bei VW als Koordinator und Fachplaner für Brandmeldeanlagen im Bereich Nutzfahrzeuge in Hannover tätig. Der dortige Wechselschichtbetrieb von bis zu 18 Schichten führe zu einem sehr hohen Koordinations- und Abstimmungsaufwand beim Bau und Betrieb von Anlagen, aber auch deren Instandhaltung und Wartung. Die verschiedenen Industriegebäude auf dem Gelände ließen sich nicht nach Schema F planen – vielmehr müsse man sich jeweils spezielle Konzepte ausdenken und diese dann auch mit den Behörden abstimmen.

Sehr spannend und herausforderungsvoll sei zudem der Umstand, dass für jedes der vielen einzelnen Gebäude jeweils einen eigenen Verantwortlichen gibt – werksintern Betreiber genannt. Diese müssten in die Planung jeweils mit einbezogen werden, was vor allem auch bedeute, ihnen den Sinn der Maßnahme zu erläutern und näherzubringen. Man habe zwar eine flächendeckende Überwachung des Werkgeländes – aber es würden eben häufig für neue Projekte alte Gebäude abgerissen und neue aufgebaut: eine lebende Struktur.

Ergänzend fragte ihn Moderator Andreas Seltmann nach Chancen und Möglichkeiten, die sich gerade aus dieser Komplexität für ihn ergeben. Diese sah Dennis Schmidt deutlich darin, dass man im Projektverlauf in diesem komplexen Rahmen erkennen könne, dass man Prozesse auch vereinfachen könne – auch gewerkeübergreifend. So strebe man derzeit beispielsweise Brandfallsteuermatrizen für jede Halle an, damit im Brandfall die nötigen Sicherheitsmechanismen und Prozesse möglichst schnell eingeleitet werden könnten. Auch etwa für die Produktion ließen sich solche Möglichkeiten der Vereinfachung erkennen, denn in der Zusammenarbeit bei der Bearbeitung solcher Themen entstünden viele neue Ideen.

Speziell in Bezug auf die Brandmeldetechnik, so Dennis Schmidt, sei es so, dass viele Dinge die man eingerichtet habe, gar nicht in der entsprechenden Norm abgebildet seien. Da müsse man sich von vornherein Gedanken darüber machen, wie man den Brandschutz so organisiere, dass das Ergebnis für den Betreiber auskömmlich ist und gleichzeitig der Brandschutz und die Behörde mitgingen, so dass insgesamt eine aktive Überwachung gewährleistet sei. Dies sei alles durchaus verzwickt, aber im Ergebnis erreiche man eine Optimierung der Prozesse.

Neutralität – und Über­nahme von Verantwortung
Dr. Peter Burnickl, dessen international tätiges Unternehmen etwa 200 Mitarbeiter beschäftigt, griff das Thema mit seiner Sicht auf – ebenfalls von Andreas Seltmann nach den für ihn derzeit „anstrengendsten“ Themen befragt. Als Ingenieur und Planer sei man in seinem Unternehmen häufig zu seinem Leidwesen zur Neutralität gezwungen. Man müsse häufig neutral ausschreiben und dann an den billigsten Anbieter vergeben. Er betone bewusst, dass es dann tatsächlich um den „billigsten“, keineswegs um den als wirtschaftlichsten sich ergebenden Anbieter gehe. Das enerviere ihn sehr, da er schon oft vom ersten Tag an die damit verbundenen Probleme sehe. Dazu komme die extreme Herstellerneutralität sowie die im Brandschutz schier unüberblickbaren Zertifizierungen und Zulassungen. Der „Dokumentationswahnsinn“ – der bei Durchsetzung von BIM (Building Information Modeling, Arbeitsmethode für vernetzte Planung, Bau und Bewirtschaftung von Bauwerken mithilfe von Software) vielleicht einmal besser werde – sei ein „Arbeitsbeschaffungs-Drama“.  

Ein gutes Beispiel dafür sei das Projekt „ESO Supernova“, ein neues Planetarium in Garching bei München. Man habe am Schluss die Brandschutz-II-Abnahme wegen einer Lüftungsregelklappe nicht bekommen. Dahinter stecke das Problem, dass niemand bereit sei, Verantwortung zu übernehmen. Er appelliere, als Ingenieure und Fachleute für ihr Tun ebendiese Verantwortung stärker zu übernehmen. Irgendwann müsse man sagen, dass ein Projekt so wie es realisiert sei aus fachlicher Sicht sicher sei. Man könne beurteilen, dass der jeweilige Gebäudekomplex nicht wegen einer einzigen Klappe abbrenne. Die Realität sei aber, dass man keine Unterschrift auf die Papiere bekäme.    

Andreas Seltmann pflichtete dieser Einschätzung ausdrücklich bei. Zu Sachverstand und gesunder Risikoabschätzung gehöre eben auch, dass man Verantwortung übernehme. Er gab das Wort weiter an Christian Kühn, Geschäftsführer des Systemhauses Schlentzek & Kühn, der sich auch ehrenamtlich in Normungsgremien betätigt.

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BIM und Fachkräfte­mangel
Christian Kühn beschäftigt unter anderem die Kompliziertheit baulicher Vorschriften, insbesondere der MVV TB (Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen, bauordnungsrechtlich relevante Veröffentlichung des Deutschen Institutes für Bautechnik, die die technischen Regeln für Planung, Bemessung und Ausführung von Bauwerken und für Bauprodukte in einer Regelung zusammen führt) – und damit verbunden der Umstand, dass die Verbreitung von BIM nicht schnell genug voranschreite. Man tausche sich gerne mit den Planern aus, merke aber, dass auch diese Unterstützung brauchten. Die Markterfahrung spiele hier eine wesentliche Rolle. In der Krise habe man festgestellt, dass sich viele Gebäude veränderten im Sinne von Nutzungsänderungen. Auch in seinem Unternehmen führe man den Kampf um die Auswahl von Anbietern – nicht immer sei das Billigste das Richtige.

Mit dem Fachkräftemangel sprach Christian Kühn ein weiteres drängendes Problem an. Dieses bestehe schon lange und unabhängig von der Coronakrise. Dieses sei teils hausgemacht. Es sei aber auch so, dass während der Krise die Weiterbildungsmöglichkeiten bei den Herstellern eingeschränkt seien, da vieles auf Präsenz aufbaue. Das werde allen Beteiligten noch „auf die Füße fallen“. Bei den Schülern wiederum fehle es zudem oft an den Voraussetzungen. Diese Löcher zu stopfen, erfordere die Verstärkung von Partnerschaften im Bereich Bildung.

Die Digitalisierung gerade innerhalb der Branche sei, so Christian Kühn, eine Herausforderung, die sich etwa bei Lieferproblemen und der Logistik, aber letztlich entlang der gesamten Wertschöpfungskette bemerkbar mache. Hier gebe es viel zu tun, gerade jetzt, da schnell Ressourcen und Konditionen ausgetauscht werden müssten.
Andreas Seltmann bekräftigte die Wichtigkeit der digitalen Wertschöpfungskette als Thema der Branche und gab den Ball weiter an Marcus Kiwus, der bei Securiton den Vertrieb im Bereich Brandschutz und insbesondere Sonderbrandtechnik leitet. Von Hause aus Elektrotechniker, hat er vor seinem Wechsel in den Vertrieb reichlich praktische Erfahrungen, u.a. als Servicetechniker, gesammelt.

Fokus auf Digitalisierung
Auch für Marcus Kiwus ist die Digitalisierung eines der Hauptthemen. Covid-19 habe gezeigt, wie schnell man sich diesbezüglich anpassen könne. Die Vorzüge der Digitalisierung zeigten sich bereits im Kleinen bei Maßnahmen der Entstörung und Instandhaltung beim Kunden. Bei Securiton lege man den Fokus stark auf die entsprechende Digitalisierung der Anlagen. Die vielen Vorteile wolle man technisch einfach besser nutzen.

Normativ müsse man bei diesem Thema allerdings noch an der deutlichen Vereinfachung arbeiten. Die Cloudanbindung von Brandmeldezentralen sei technisch heute ohne weiteres machbar – das Problem liege eher, wie schon Peter Burnickl festgestellt habe, in der Budgetierung seitens des Endkunden. Dort wolle man die Technik – diese müsse aber auch rechnerisch darstellbar sein. Die Vorteile ergäben sich dabei nicht nur für den Endkunden, sondern auch für die eigenen Mitarbeiter, gerade hinsichtlich des Fachkräftemangels. Technische Optimierung sei daher erforderlich.

Man könne inzwischen digitale Instandhaltungsunterlagen führen und habe die Möglichkeit, alle Daten der Anlage über das iPad auszulesen. Sei die Anlage schon mal in der Cloud, könne man dem Endkunden am Ende der Welt alle Funktionen bereitstellen. Dort könne er auf den letzten Sonderbrandmelder schauen – und man könne gegebenenfalls kurzfristig Maßnahmen einleiten. Errichter und Instandhalter könnten, bevor sie sich entschieden zum Kunden zu fahren, prüfen, worin das Problem bestehe. Dies sei kosteneffizient und ökologisch, da man Fahrtzeiten spare.

Die Thematik der Digitalisierung und Vernetzung setze sich dann fort in Richtung Standardprotokolle. Die zur Verfügung stehenden Daten können dann auch anderen Gewerken zur Verfügung gestellt werden.

Moderator Andreas Seltmann stimmte dem zu, verbunden mit dem Appell, die Chancen der Technik zu nutzen, um die Effizienz zu steigern. Damit übergab er das Wort Frank Einlehner, Sales Manager Fire bei Carrier Fire & Security. Er ist insbesondere bezüglich Brandmelde- und Sprachalarmierungsanlagen langjährig erfahren und grenzüberschreitend tätig.

Umdenken angemahnt
Frank Einlehner mahnte für die gesamte Branche ein Umdenken an. Gerade als Hersteller merke man, wie die Digitalisierung immer mehr voranschreite. Dem Planer müssten gewerkeübergreifende Schnittstellen zur Verfügung gestellt werden. Für ihn, so Frank Einlehner, sei es vor allem wichtig, dass man sich durch die Digitalisierung auf den Bedarf der zukünftigen Generation einstelle, die damit viel stärker verbunden sei. Gerade deshalb müsse man sie weiter vorantreiben.  

Andreas Seltmann stellte ergänzend noch einmal die Frage, wie smart und digital man sich denn insgesamt das Gebäude künftig wünsche.

Dennis Schmidt sieht in seinem Umfeld, dass das Thema bereits stark umgesetzt sei – auch durch den Wandel zur Industrie 4.0. Er wünscht sich vor allem, dass das Thema BIM richtig Fahrt aufnehme. Dies würde sehr vieles vereinfachen im baulichen Ablauf. Jeder habe zu jeder Zeit alle Informationen und könne seine jeweilige Planung dem anpassen. Meetings und viel Hin und Her würden dadurch obsolet.

In seinem Unternehmen sei man bereits auf einem guten Weg. Von Brandmeldezentrale bis Lüftung werde alles mit einer Steuermatrix angesteuert, man arbeite über eine Glasfaseranbindung. Es müsse möglich sein, die Daten auf der Cloud zu speichern – es müsse eine richtige Infrastruktur geschaffen werden. Ziel sei es, die gesammelten Daten gewerkeübergreifend zu verwenden – derzeit passiere hier gar nichts. Man sei in der Brandmelde-Bubble, so Dennis Schmidt, und mit der Digitalisierung noch ganz am Anfang.

Peter Burnickl bemerkte, dass BIM durchaus schon Fahrt aufgenommen habe – problematisch sei vielfach aber noch die Kompatibilität zu Open BIM. Hier sei man in Deutschland noch weit zurück. Auch hier gelte: Technisch sei sehr viel möglich, aber es werde nichts entschieden.

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KI noch am Anfang
Frank Einlehner ergänzte, dass es aus Herstellersicht einen Unterschied mache, ob man am Ende oder am Anfang in ein Projekt einbezogen werde. Habe man gleich von Anfang an mit dem Planer zu tun, könne man viel mit einbringen. Mancher Partner oder Facherrichter habe aber nicht alle Daten, so dass die richtige Lösung die für alle funktioniert nicht so leicht zu erreichen sei. Interessant seien auch die Entwicklungen hinsichtlich der Künstlichen Intelligenz – diese seien aber noch im Anfangsstadium.

Dem pflichtete Marcus Kiwus von Securiton bei. KI werde uns alle in allen Bereichen einholen. Man sei schon dabei, eine gewisse Intelligenz in die Melder einzubringen. Ein kleines Beispiel sei etwa, dass die Empfindlichkeit des Rauchsensors verändert werde, wenn die Temperatur steige. Die Dinge müssten so miteinander vernetzt werden, dass sie in alle Richtungen einfach kommunizierbar seien. Ihm sei es beispielsweise nicht nur wichtig, dass Daten aus einem bestimmten Gewerk herausgeschickt würden – er wolle auch Daten aufnehmen können.

Ein einfaches Beispiel dafür sei ein Multisensormelder den er im Büro habe. Er habe etwa eine automatische und hochpräzise Temperaturerkennung verbaut. Warum, fragt Marcus Kiwus, könne nicht das Gewerk Brandmelder dem Gewerk Rollos die Temperatur schicken? Man brauche nicht drei Thermostate, die alle das Gleiche machen. Dort müsse man hinkommen. Insgesamt steige in der Industrie überall die Effizienz – damit müsse man geschwindigkeitsmäßig standhalten. Das werde eine Herausforderung der man sich stellen müsse, die man dann aber auch erfolgreich meistern werde.

Link zum Video des Brandschutz-Talks auf GIT-SICHERHEIT.de: finden Sie hier

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